Deutsches Engagement in Argentinien Der Kettensägenmann und seine Unterstützer
Argentiniens Präsident Milei steht für ein extrem-libertäres Staatsverständnis, Sozialabbau, er leugnet den Klimawandel. Jetzt erhält er einen Preis der deutschen Hayek-Gesellschaft. Die FDP-nahe Naumann-Stiftung kooperiert mit Stiftungen, die Milei nahe stehen.
Am Samstag erhält der ultrarechte argentinische Präsident Javier Milei in Hamburg die Hayek-Medaille der gleichnamigen Gesellschaft. Mit der Auszeichnung sollen, so die Hayek-Gesellschaft, Persönlichkeiten geehrt werden, die sich um die "Idee der Freiheit herausragende Verdienste erworben" haben.
Die Gesellschaft sieht sich in der Tradition des Ökonomen Friedrich August von Hayek, einem der geistigen Väter des Neoliberalismus. Der Streit um eine Abgrenzungsregelung zur AfD führte vor einigen Jahren zum Austritt von führenden FDP-Politikern. Die Gesellschaft teilt dazu mit, dass es in Deutschland keine wissenschaftliche Vereinigung gebe, die Mitglieder einer bestimmten Partei kategorisch ausschließt. Zu Milei heißt es, er sei ein Kenner der "zentral auf Gewaltfreiheit ausgerichteten Denkschule" rund um Hayek.
Milei will den Staat von innen zerstören
Der argentinische Präsident gilt als politische Ausnahmeerscheinung: Er beleidigt, bricht diplomatische Gepflogenheiten und verkündet offen, dass er "den Staat von innen" zerstören will. Für seine Ideen wird er nicht nur in rechtskonservativen, neoliberalen Kreisen geschätzt, sondern auch im Umfeld der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF).
Milei bezeichnet sich als "Anarchokapitalisten" und "libertär". Er leugnet den Klimawandel und ist gegen Abtreibungen. Der Staat soll sich auf Polizei, Militär und Justiz beschränken, alles andere regelt der Markt. Auf Wahlkampfveranstaltungen schwang er eine Kettensäge, mit der er symbolisch den Staat zerlegen will. Mit radikalen Kürzungen soll Argentiniens drastische Inflation gesenkt und die Schuldenkrise gelöst werden.
Bereits kurz nach der Wahl schaffte er 13 Ministerien ab, darunter die für Arbeit, Bildung, Soziales, Frauen und Umwelt. Trotz Massendemonstrationen hält Milei bislang an seinem Konzept fest. Am 12. Juni brachte er ein "Notstandsgesetz" durch den Senat. Wenn auch der Kongress zustimmt, kann der Präsident ein Jahr lang einzelne Gesetze ohne das Parlament verabschieden. Außerdem wurden Privatisierungen der Wasser- und Energieversorger, sowie der Abbau von Umwelt- und Arbeitsrechten beschlossen.
Kooperation mit Organisationen im Umfeld Mileis
Nach Informationen von rbb24 Recherche pflegten Mitarbeiter der Stiftung in Argentinien über Jahre enge Beziehungen zum Umfeld Mileis und ihm selbst. Noch 2022 wurde sein Einzug in den Kongress auf dem argentinischen Twitterkanal der Stiftung gelobt. Seit er sich als Präsidentschaftskandidat öffentlichkeitswirksam in Szene setzte, distanzierte sich die Stiftung von ihm, räumt aber Kooperationen mit Organisationen ein, die Milei nahe stehen.
Während die Polizei am 12. Juni Demonstrationen gegen das "Notstandsgesetz" mit Tränengas und Gummigeschossen unterband, sprach Milei im nur einen Kilometer entfernten Luxushotel Hilton als Ehrengast bei einer Konferenz neoliberaler Stiftungen. Nach Mileis Rede gab es lauten Beifall. Im Publikum saß auch einer der führenden Mitarbeiter der FNF in Argentinien. Organisiert wurde das Treffen von der Stiftung "Libertad y Progreso", mit der die FNF nach eigenen Angaben "eine Partnerschaft" unterhält.
Verbindungen zu Mileis Ziehvater
Seinen kometenhaften Aufstieg verdankt Milei auch einem politischen Netzwerk, zu dem neoliberale Stiftungen wie "Federalismo y Libertad" und "Libertad y Progreso" gehören. Sie werben offen mit ihrer Nähe zum Präsidenten und kooperieren mit der FNF, wie diese rbb24 Recherche auf Anfrage bestätigte.
Eine zentrale Figur des radikalen argentinischen Neoliberalismus und der FNF eng verbunden, ist dabei Alberto Benegas Lynch: Ökonom und politischer Ziehvater von Milei. Lynch ist Präsident des akademischen Rates des FNF-Partners "Libertad y Progreso", der auch die Tagung im Hilton organisierte.
"Lynch hat Milei vor allem in seinen Positionen zum rechten Kulturkampf beeinflusst", sagt Paula Litvatchky vom argentinischen Zentrum für Sozial- und Rechtswissenschaften CELS. Die FNF bestätigt, dass sie mit "Libertad y Progreso" gelegentlich Veranstaltungen zu wirtschaftspolitischen Themen durchführe. Man beteilige "sich jedoch nicht an Veranstaltungen, bei denen Präsident Milei" im Mittelpunkt stehe.
Wie eng die Beziehungen der FNF zu Mileis Ziehvater Lynch waren, zeigt sich an zwei Büchern aus dem Jahr 2022, auf denen das Logo der FNF prangt (Los liberales somos progresistas (Spanish Edition) eBook : Benegas Lynch (h), Alberto: Amazon.de: Kindle-Shop ): eins über Liberalismus, das andere eine Hommage an Lynch mit einem Beitrag Mileis.
Kontakte zu Ultrarechten
Aktive und ehemalige Mitarbeiter der FNF haben nicht nur enge Kontakte ins radikal neoliberale Umfeld Mileis, sondern auch ins ultrarechte Milieu. Einer ist Marcelo Duclos, bis 2022 Kommunikationschef der FNF in Argentinien. Duclos ist Milei-Biograph und spielte Ende Mai den Bass, als Milei vor Tausenden Menschen als "Rocksänger" auftrat.
Auch Duclos' Nachfolger, der aktuelle Pressereferent der FNF, Angelo Bardini, war noch vor Arbeitsbeginn bei der FNF im Oktober 2021 Teil einer Delegation. Sie traf sich in Europa mit Santiago Abascal, dem Chef der spanischen rechtsextremen VOX, und dem rechtsextremen französischen Politiker Eric Zemmour. Organisiert wurde die Reise von der spanischen Stiftung "Fundación Disenso", die der VOX-Partei nahesteht.
Die FNF erklärt dazu auf Anfrage, dass Duclos bereits vor Mileis Präsidentschaftskandidatur die FNF verlassen habe und die FNF keinen Einfluss auf Duclos' heutige Milei-Unterstützung ausübe. Zu seinem Nachfolger Bardini verweist die FNF darauf, dass dessen Recherchereise vor seiner Anstellung bei der FNF stattfand. Warum Bardini trotzdem eingestellt wurde, kommentiert die Naumann-Stiftung nicht.
Internationale Vernetzung
Auch Milei selbst sieht sich als Teil internationaler rechtsextremer Kreise. Er unterzeichnete 2021 - wie weitere Akteure aus dem Netzwerk der FNF in Südamerika - die "Carta de Madrid", eine von VOX initiierte Grundsatzerklärung von Rechtspopulisten, die sich eine internationale Vernetzung zum Ziel setzen.
Die FNF erklärt auf Anfrage von rbb24 Recherche, dass sie "ihre Partnerorganisationen darüber informiert hat, dass eine Zusammenarbeit mit VOX und der Fundación Disenso nicht im Einklang mit den Werten (…) der Stiftung steht und eine Zusammenarbeit ausschließt."
Wenn Milei am Wochenende die Hayek-Medaille überreicht wird, dann könnte er im Publikum sowohl auf Hans-Georg Maaßen als auch auf einen Referatsleiter der FNF für Transatlantische Beziehungen und Lateinamerika treffen: der Referatsleiter ist Mitglied im hayekschen Milei-Fanclub und hielt vor einiger Zeit einen Vortrag über Milei im Berliner Club. Für die FNF ist sein Engagement "privater Natur". Es gebe keine Zusammenarbeit mit der Hayek-Gesellschaft.
Autoritärer Neoliberalismus
Die Betonung der Wirtschaftsfreiheit und zugleich autoritäre Tendenzen seien kein Widerspruch, sagt Dieter Plehwe vom Wissenschaftszentrum Berlin, der zu neoliberalen Netzwerken und Think Tanks forscht: "Für meine Begriffe kann man am Neoliberalismus sehen, dass demokratische Rechte eingeschränkt werden für Wirtschaftsfreiheit. Wenn sie der untergeordnet werden, dann ist eine Grenze überschritten. Das ist der Übergang zum autoritären Neoliberalismus." Auch Klimapolitik werde als Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit gesehen und dadurch von radikalen neoliberalen Kreisen - wie Milei - abgelehnt.
Trotzdem erhält der argentinische Präsident Zuspruch aus liberalen Kreisen. Für Luciano Santander Hoces von der FU Berlin ist das kein Widerspruch: "Dass er mit einem solch radikalen Programm und unpopulären Forderungen wie Rentenkürzungen Wahlen gewinnen konnte in Argentinien, das den ausgeprägtesten Sozialstaat in Südamerika hat, macht ihn auch international so interessant, auch für deutsche politische Stiftungen." Selbst die Relativierung der Verbrechen der neoliberalen Militärdiktatur Ende der 1970er-Jahre, als mehr als 22.000 Personen ermordet wurden, scheint Mileis Akzeptanz nicht zu schaden.
Wie weit Milei bei der Umsetzung seiner Vorstellungen kommt, hängt auch vom Koalitionspartner ab, dem rechten Flügel der konservativ-liberalen Partei PRO unter Führung der Innenministerin Patricia Bullrich, die die Koalition möglich gemacht hat. In einem TV-Interview erklärte sie, dass die FNF für ihren politischen Werdegang nach rechts entscheidend gewesen sei.
Die Recherche wurde durch ein Stipendium des Netzwerk Recherche unterstützt.