Kontrastmittel Die geheimen Zusatzeinnahmen der Radiologen
Röntgenärzte kaufen Kontrastmittel günstig ein und rechnen sie deutlich teurer ab. Das zeigen Recherchen von NDR, WDR und SZ. Radiologen können so Zehntausende Euro zusätzlich im Jahr verdienen.
Normalerweise wissen die Gesetzlichen Krankenkassen detailliert darüber Bescheid, welche Medikamente ihre Versicherten bekommen und wie teuer diese sind. Bei Kontrastmitteln ist das anders.
Jeder dritte Patient, der eine Untersuchung am Computertomographen (CT) oder Magnetresonanztomographen (MRT) machen lässt, bekommt ein Kontrastmittel verabreicht. "Aber wir wissen weder, welche Kontrastmittel in Deutschland eingesetzt werden, noch wie viel Geld die Krankenkassen dafür ausgeben", sagt Ulrich Schwabe, Herausgeber des jährlichen Arzneiverordnungsreports, der im Auftrag der Krankenkassen erstellt wird. "Kontrastmittel sind für uns eine Black Box."
Dass Kontrastmittel ein höchst profitables Geschäft sind, ist bisher eines der bestgehüteten Geheimnisse der Branche. NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" liegen jetzt erstmals Dutzende Einkaufsrechnungen von Radiologen und Angebote von Pharmafirmen vor, die zeigen, welche enormen Gewinne mit diesen Mitteln möglich sind - und dass Radiologen, die an Kontrastmitteln verdienen, die Präparate offenbar deutlich häufiger anwenden, als jene Ärzte, die damit keine Zusatzeinkommen erzielen.
Lieferung direkt an die Ärzte
Kontrastmittel sind grundsätzlich zwar Arzneimittel, sie werden aber nicht über die Apotheke abgegeben, sondern von Herstellern oder Händlern direkt an die Ärzte geliefert. In den fünf Bundesländern Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Bremen und Hamburg ist es Radiologen gestattet, diese Mittel auf dem freien Markt möglichst günstig einzukaufen und dann zu einer festen Pauschale bei den Krankenkassen abzurechnen.
Der Listenpreis für einen Liter MRT-Kontrastmittel beträgt meist 6000 bis 7000 Euro. Doch dieser absurd hohe Preis wird lediglich Privatpatienten in Rechnung gestellt. In den Ländern mit Pauschal-Vereinbarungen können die Ärzte dagegen etwa die Hälfte des Listenpreises bei den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen, in Bayern zum Beispiel 3900 Euro.
Jeder dritte Patient, der mit einem Computertomographen oder Magnetresonanztomographen untersucht wird, bekommt ein Kontrastmittel.
Das hört sich zunächst nach einer Einsparung an. Tatsächlich aber kaufen die Radiologen die Präparate zu einem noch deutlich niedrigeren Preis ein. So erhielten Radiologen in Bayern von einem Händler zum Beispiel ein Angebot per Fax, dass sie das MRT-Kontrastmittel Dotagraf der Bayer-Tochter Jenapharm zum Preis von 760 Euro je Liter einkaufen können, "lieferbar ab Lager ohne Mengenbegrenzung", wie es in dem Schreiben heißt, das NDR, WDR und SZ vorliegt.
Hohe Zusatzgewinne
Rechnungen belegen, dass Radiologen in Bayern das Mittel tatsächlich zu diesem Preis eingekauft haben - und auch noch darunter. Rechnungen mit ähnlich niedrigen Lieferpreisen liegen aus Praxen in Bremen, Hamburg, Niedersachen und Nordrhein-Westfalen vor. Doch wie sind solche Preise möglich? Der Pharmakonzern Bayer teilt auf Anfrage dazu schriftlich mit: "Wir bitten um Verständnis, dass Jenapharm, ein Tochterunternehmen von Bayer, zu Geschäftsbeziehungen Dritter grundsätzlich keine Stellung nimmt."
Um welche Summen es dabei insgesamt geht, macht folgende Rechnung klar: Wenn ein Radiologe ein MRT-Kontrastmittel für 700 bis 900 Euro pro Liter einkauft und 3900 Euro pro Liter von der Krankenkasse erhält, macht er pro Liter einen Gewinn von 3000 Euro. Im Jahr verbraucht ein Radiologe pro MRT-Gerät etwa 30 Liter. Deshalb kann er auf einen Zusatzgewinn von 90.000 Euro kommen - pro Jahr und pro Gerät. Wobei in vielen Praxen nicht nur ein einziges MRT steht, sondern mehrere. Dazu kommen CT-Geräte, bei denen die Profitmöglichkeiten ähnlich hoch sind.
Pauschalen auch aus medizinischer Sicht umstritten
Detlef Wujciak, Vorsitzender des Berufsverbands Deutscher Radiologen, sagt: "Natürlich haben wir ein Problem damit, wenn Radiologen in einem Ausmaß an Kontrastmitteln verdienen, das relevant ist." Prinzipiell halte er das Modell "nicht für gut".
Gleichwohl hat sich sein Radiologenverband bisher öffentlich nie gegen das Pauschalenmodell gestellt. Im Gegenteil: Radiologenvertreter machen sich genau für diese Zuverdienstmöglichkeit stark, wie zuletzt in Nordrhein, das erst im April dieses Jahres die Abrechnung über Pauschalen ermöglicht hat.
Die zuständige AOK Rheinland/Hamburg, die die Verhandlungen in Nordrhein zusammen mit der Kassenärztlichen Vereinigung geführt hat, lehnt ein Interview zum Thema ab, ebenso die AOK-Chefs in Bayern, Niedersachsen, Westfalen-Lippe, Hamburg wie auch der AOK-Bundesverband.
Doch jenseits der Geldverschwendung sind die Pauschalen auch aus medizinischer Sicht fragwürdig. Denn sie bilden für Röntgenärzte einen Anreiz, mehr Kontrastmittel einzusetzen als nötig. Dabei sind die Präparate nicht unumstritten. Denn sie enthalten häufig den Giftstoff Gadolinium, der vor allem bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion in seltenen Fällen auch schwere Nebenwirkungen hervorrufen kann.
Höherer Verbrauch bei Pauschal-Modell
Eine bisher unveröffentlichte Auswertung von 28 Praxen des "Radiologienetzes Deutschland", in dem nach eigenen Angaben 360 Radiologen zusammen geschlossen sind, zeigt eine Auffälligkeit: Demnach brauchen die Arztpraxen in jenen Bundesländern, die nach dem Pauschal-Modell abrechnen dürfen, 26 Liter pro MRT-Gerät im Jahr, die Praxen, die nicht nach Pauschalen abrechnen, aber nur 13 Liter.
Auf Anfrage teilte dazu die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Bayern mit, diese Auswertung sei ihnen nicht bekannt. "Seit der Umstellung auf das aktuelle Pauschalensystem in Bayern - Abrechnung nach Verbrauch in Milliliter - konnten wir allerdings keinen signifikanten Anstieg des Verbrauchs beobachten.“
Pauschalen könnten "strafwürdig" sein
Nicht nur die Berufsordnung untersagt eigentlich, dass Ärzte an der Verordnung von Medikamenten verdienen, sondern auch das Strafrecht. Der 2016 neu geschaffene Paragraf 299a Strafgesetzbuch verbietet es Ärzten, "einen Vorteil … bei der Verordnung von Arzneimitteln" anzunehmen. Deshalb hält auch Thomas Fischer, ehemals Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, die Pauschalen für "strafwürdig". Diese Konstruktion unterlaufe die Absicht des Gesetzgebers, "dass Ärzte, die sich eigentlich mit der Entlohnung ihrer ärztlichen Tätigkeit zufrieden geben könnten, durch die Entscheidung für ein bestimmtes Kontrastmittel irgendwelche Vorteile erlangen".
Fischer fordert im Gespräch mit NDR, WDR und SZ deshalb die Krankenkassen auf, dieses Modell zu beenden - und den Gesetzgeber, dafür zu sorgen, dass diese Praxis verboten wird. Aber ebenso wie die angefragten AOK-Chefs lehnte auch Gesundheitsminister Jens Spahn ein Interview zu diesem Thema ab.
Gesundheitsminister Spahn lehnte ebenfalls ein Interview ab.
Ministerium: Krankenkassen verantwortlich
Schriftlich teilte das Bundesgesundheitsministerium mit, dass es die Verantwortung bei den Krankenkassen sehe. Sie müssten sich auch bei den Vereinbarungen über Kontrastmittel an das Wirtschaftlichkeitsgebot halten. "Bei Verstößen können die Aufsichtsbehörden der Krankenkassen einschreiten", diese müssten die "Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots im Einzelfall prüfen".
Die AOK Bayern räumte auf Anfrage auch im Namen der anderen bayerischen Krankenkassen ein: "Die aktuelle Auswertung der Zahlen belegt, dass Ärzte zu teils deutlich niedrigeren Preisen Kontrastmittel beziehen, als von den Krankenkassen über die Pauschalen vergütet wird." Deshalb verhandle man nun, um "künftig eine Vergütung auf Grundlage von Marktpreisen zu erreichen". Die für Bereich Westfalen-Lippe zuständige AOK Nordwest schrieb auf Anfrage: "Mit der jetzt bestehenden juristischen Klarheit wird derzeit geprüft, ob eine Ausschreibung von Kontrastmitteln auch für die GKV in Westfalen-Lippe umgesetzt werden kann."