"Operation Ironside" Polizei trickste Kriminelle mit App aus
Bei weltweiten Polizeieinsätzen wurden mehr als 800 Verdächtige festgenommen. Mit einer verschlüsselten App glaubten Kriminelle, sicher kommunizieren zu können. Sie ahnten nicht, dass die Polizei das Programm entwickelt hatte.
"Operation Ironside" war ein Täuschungsmanöver im Zweiten Weltkrieg. Die Alliierten tricksten dabei die Nazis aus, ließen die Wehrmacht im Jahr 1944 glauben, die britische Marine würde bald an der nordfranzösischen Küste anlanden. Um den Deutschen die fingierten Information zuzuspielen, benutzten die Briten mehrere Doppelagenten.
In dieser Woche nun wurde eine weitere "Operation Ironside" bekannt. Der Name ist wohl eine bewusste historische Anlehnung, denn auch diesmal geht es um ein Täuschungsmanöver - und um einen wohl bisher beispiellosen Schlag gegen das Organisierte Verbrechen. Europol und das FBI nennen die gleiche Aktion "Operation Trojan Shield".
Trügerische Sicherheit
Jahrelang sollen Kriminelle weltweit die Handy-App "Anom" genutzt haben, um Drogen- und Waffengeschäfte in großem Stil und sogar Auftragsmorde abzuwickeln. Sie hielten das verschlüsselte Programm wohl für abhörsicher, tatsächlich aber war es wohl eine Falle: Das amerikanische FBI und die australische Bundespolizei AFP hatten die App manipuliert. Die Ermittler konnten die Chats in Echtzeit mitlesen.
Am Montag rückten schließlich mehrere Tausend Polizei- und Zolleinsatzkräfte in mindestens sechzehn Ländern rund um den Globus aus, durchsuchten zahlreiche Wohnungen, Büros und Lagerhallen und nahmen weltweit 800 Tatverdächtige fest. Acht Tonnen Kokain, fünf Tonnen Cannabis und zwei Tonnen Crystal Meth konnten sichergestellt werden. Außerdem fanden die Fahnder insgesamt mehr als 140 Millionen US-Dollar.
Auch in Deutschland seien am Montag mehr als 150 Objekte durchsucht und mehr als 70 Personen festgenommen worden, wie das Bundeskriminalamt (BKA) und die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main mitteilten. Mehr als 120 Kilogramm Marihuana, 25 Kilogramm Haschisch, drei Kilogramm Heroin, ein Kilogramm Kokain, mehr als 6000 Cannabis-Pflanzen und 20 Waffen sowie Bargeld in Höhe von 250.000 Euro seien sichergestellt worden. "Bislang konnten in diesem Ermittlungskomplex über 20 Ermittlungsverfahren gegen mehr als 80 Tatverdächtige eingeleitet werde", so die Behörden.
Ein Handyservice nur für Kriminelle
Begonnen hat die ungewöhnliche Operation mit der manipulierten Kommunikationsplattform vor rund drei Jahren. Im März 2018 zerschlug das FBI den kanadischen Handyanbieter Phantom Secure, der Kriminelle weltweit mit angeblich abhörsicheren Telefonen ausgestattet hatte.
Mehr als 20.000 Nutzer hatte die Firma zuletzt, die rund 2000 US-Dollar pro Handy und für die halbjährliche Nutzung der verschlüsselten App gezahlt haben sollen. Darunter waren nach Angaben der Ermittler ausschließlich Verbrecher, vor allem Rauschgifthändler. Firmenchef Vincent Ramos wurde wegen Unterstützung der Drogengeschäfte und Geldwäsche zu neun Jahren Gefängnis und einer Zahlung von 80 Millionen US-Dollar verurteilt.
Vom Mittäter zum Informanten
Der FBI-Außenstelle in San Diego gelang es durch die Zerschlagung von Phantom Secure schließlich, einen Informanten anzuwerben, der offenbar einer Gefängnisstrafe entgehen wollte und deshalb bereit war, mit den US-Behörden zusammenzuarbeiten. Der Informant hatte zuvor Phantom Secure und Krypto-Handys des Anbieters Sky Global an kriminelle Netzwerke weiterverkauft und war nun dabei selbst ein neues Produkt zu entwickeln - "Anom" genannt.
Die angeworbene Quelle bot dem FBI an, diese neue App bei den Ermittlungen nutzen zu können und schlug zudem vor, er könne sein bestehendes Kundennetz auch gleich dafür benutzen, das Programm zu verbreiten. Für seine Tätigkeit soll der Informant, der selbst schon einmal sechs Jahre wegen Drogenhandels im Gefängnis saß, laut US-Gerichtsunterlagen eine Belohnung von 120.000 US-Dollar erhalten haben, außerdem noch einmal rund 60.000 US-Dollar Spesen.
Hintertür für Ermittler
Die FBI-Ermittler hatten nun Zugriff auf eine Krypto-App, die in kriminellen Kreisen augenscheinlich als sicher galt und daher schnell viele neue Nutzer fand. In Zusammenarbeit mit der australischen Bundespolizei AFP gelang es den amerikanischen Ermittlern "Anom" so zu programmieren, dass sie fortan heimlich alle Chatnachrichten mitlesen, Fotos und Videos empfangen konnten. Die Amerikaner nannten diesen heimlichen Lauschangriff "Operation Trojan Shield", in Australien hieß er "Operation Ironshield".
Die Website der Firma wurde inzwischen von den Behörden beschlagnahmt und abgeschaltet.
Die Kriminellen ahnten offenbar nichts davon, dass sie teils jahrelang unfreiwillig eine staatliche Überwachungs-App benutzten. Die Behörden hatten zur Täuschung eigens eine vermeintliche Firmenwebseite für "Anom" eingerichtet, inklusive YouTube-Kanal und Facebook-Auftritt.
"Anom unterstützt keine Überwachungsmaßnahmen", hieß es auf der Seite. Nur Behörden in Panama seien berechtigt, die Daten des Unternehmens anzufordern, ganz grundsätzlich aber speichere man keine Daten der Nutzer. "Es ist unsere Geschäftspolitik, Nutzer unverzüglich darüber zu informieren und ihnen eine Kopie von jeder zivilen oder staatlichen Anfrage zukommen zu lassen."
Überwachung machte Drogenrazzien möglich
Mehr als 9000 Nutzer soll "Anom" zuletzt gehabt haben, die meisten davon laut FBI in Deutschland, den Niederlanden, Spanien, Australien und Serbien. Über die App sollen Drogengeschäfte in riesigem Ausmaß abgewickelt worden sein, etwa die Lieferung von mehreren Tonnen Kokain aus Ecuador nach Belgien und in die Niederlande. Einige dieser Aktionen konnten durch die Behörden gestoppt und Rauschgift sichergestellt werden. Auch Attentate seien durch die Überwachung von "Anom" verhindert worden, sagten australische Ermittler am Dienstag in einer Pressekonferenz.
Unklar bleibt allerdings, wie viele Verbrechen möglicherweise nicht verhindert werden konnten. Immerhin sollen die Ermittler auf mehr als 25 Millionen Datensätze Zugriff gehabt haben. Auch die juristische Verwertbarkeit der Informationen in Deutschland könnte noch ein Streitpunkt vor Gericht werden.
Kriminelle empfahlen App weiter
Den australischen Ermittlern gelang zwischenzeitlich nach Recherchen von "News Corp Australia" ein besonderer Coup: Sie schafften es, dass einige der meistgesuchten Verbrecher des Landes die App nicht nur selbst nutzen, sondern das vermeintlich sichere Programm auch noch weiteren Kriminellen empfahlen und verkauften. Zu den größten Verbreitern von "Anom" soll demnach ein ehemaliger Rocker-Boss aus Australien gehören, der sich seit einigen Jahren unter anderem in der Türkei aufhalten soll.
In Australien gibt es für Drogenfahnder seit Jahren eine besondere Herausforderung: Unter Kriminellen, darunter Motorradgangs, aber auch südamerikanische und asiatische Netzwerken, gilt es aufgrund der Inselsituation und der strengen Grenzkontrollen als äußerst lukrativ, Rauschgift in das Land zu schmuggeln. Der Straßenverkaufswert von importierten Drogen ist in Australien vergleichsweise hoch. Kokain etwa kostet dort oftmals ein vielfaches dessen, was in den USA oder Europa dafür gezahlt wird.