Rettungskräfte arbeiten am Unfallort nach einem Verkehrsunfall auf einem Bahnübergang.
Exklusiv

Tod am Bahnübergang Die unterschätzte Gefahr

Stand: 28.03.2023 05:16 Uhr

Bei Unfällen an Bahnübergängen sind vergangenes Jahr so viele Menschen ums Leben gekommen wie seit 2010 nicht mehr. Die Ursache liegt fast immer beim Straßenverkehr. Aufklärung, aber auch mehr Sicherheitsmaßnahmen könnten helfen.

Von Christoph Heinzle, Brid Roesner und Isabel Lerch, NDR

Seit den 1950er-Jahren ist die Zahl der Bahnübergänge vor allem durch Streckenstilllegungen und -verkauf um etwa die Hälfte zurückgegangen und die Zahl der Unfallopfer massiv gesunken. Doch seit etwa zehn Jahren stagniert die Entwicklung.

Nach 2010 hat die Deutsche Bahn AG (DB) zwar fast ein Fünftel der damals knapp 20.000 beschrankten und unbeschrankten Bahnübergänge abgebaut, das Niveau der Unfallzahlen hat sich aber praktisch nicht verändert. Das ergab eine Auswertung von Daten der Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung (BEU), die dem NDR vorliegen. Demnach starben auf bundeseigenen Strecken im vergangenen Jahr 42 Menschen bei 146 Unfällen, 165 wurden verletzt.

Unfälle an Bahnübergängen an staatseigenen Bahnstrecken im Jahr 2022
Bundesland Unfälle Getötete Verletzte
Baden-Württemberg 12 3 26
Bayern 34 10 26
Berlin 1 0 1
Brandenburg 9 5 10
Bremen 0 0 0
Hamburg 1 0 2
Hessen 11 4 14
Mecklenburg-Vorpommern 2 1 9
Niedersachsen 20 2 17
Nordrhein-Westfalen 27 8 25
Rheinland-Pfalz 13 4 18
Saarland 0 0 0
Sachsen 4 0 4
Sachsen-Anhalt 2 0 2
Schleswig-Holstein 5 3 7
Thüringen 5 2 4

Fehlverhalten von Verkehrsteilnehmern Hauptgrund

Bahnübergänge sind die unfallträchtigsten Stellen im Zugverkehr. Tote und Verletzte sind häufig, wenn Straßenfahrzeuge oder Fußgänger mit Zügen kollidieren. "Jeder Unfall ist einer zu viel und jeder Unfall ist tragisch", sagte DB-Sprecher Achim Stauß dem NDR. "Aber die absolute Zahl ist ja im Vergleich zu dem, was sonst im Straßenverkehr passiert, immer noch recht gering." Auch gemessen an der Zahl der Bahnübergänge seien rund 140 Kollisionen pro Jahr "ein sehr geringer Wert".

Für die Bahn scheint die Analyse klar: Ursache der Unfälle ist in mehr als 97 Prozent Fehlverhalten von Straßenverkehrsteilnehmern. So werden bei mehr als einem Drittel der Unfälle geschlossene Halbschranken umfahren.

Experten sehen Verbesserungspotential

Doch Verkehrswissenschaftler, Bahningenieure und nicht zuletzt Beteiligte und Betroffene in Kommunen an unfallträchtigen Strecken und Übergängen meinen, ein Mehr an Sicherheitsmaßnahmen vor allem durch die Deutsche Bahn könnte viele Unfälle vermeiden helfen. Wer durch Lichter gewarnt und durch Schranken aufgehalten wird, wird zur Einhaltung der Regeln und Vorschriften gezwungen, so die Idee.

Doch technische Modernisierung, Aus- und Umbauten sind teuer, kosten rasch siebenstellige Summen. Planungs- und Genehmigungsprozesse dauern meist sehr lange, auch und besonders in der Diskussion mit dem Streckenbetreiber DB Netz, so die Erfahrung von Kommunalpolitikern.

15 Jahre vergeblich gewartet

Beispiel Vechta, das sich seit mittlerweile 15 Jahren mit zunehmender Verzweiflung um zusätzliche Sicherung an Bahnübergängen bemüht. Die Stadt liegt an der besonders unfallträchtigen Regionalbahnstrecke zwischen Delmenhorst und Osnabrück. Allein an zwei Übergängen in Vechta ereigneten sich seit Beginn der Verhandlungen mit der DB neun Unfälle mit drei Toten.

An einem der Übergänge gibt es eine Schranke, aber nur für Autos, nicht an dem daneben verlaufenden Radweg - immer wieder Ursache für Unfälle. Verändert wurde bislang aber nichts. "Man schreibt und schreibt und schreibt", sagt Bürgermeister Kristian Kater und beklagt ein Übermaß an Bürokratie im Dialog mit der Deutschen Bahn. "Am Ende muss die Lösung einfach da sein. Und da müssen wir in Deutschland einfach schneller sein."

Bahnsprecher Stauß äußert Verständnis, "aber das Ganze muss natürlich eingebettet sein in das Regelwerk der Straßenverkehrsordnung. Da bitten wir in einigen Fällen noch um Geduld." Im Raum Vechta gebe es aber jetzt Bewegung. In diesem Jahr wird eine Schranke gebaut, für einen weiteren Übergang laufen Planungen.

Massiver Modernisierungsstau

Deutsche Bahn, Bundesverkehrsministerium und die für Straßen zuständigen Träger in Ländern und Kommunen investieren jährlich Millionensummen für die Beseitigung von Bahnübergängen und die technische Modernisierung. Doch der Bedarf ist riesig, ein erheblicher Teil der Anlagen ist nach Einschätzung der Deutschen Bahn modernisierungsbedürftig. Und die Hälfte der Unfälle passiert an Übergängen, die nicht technisch gesichert, also nicht mit Lichtzeichen oder Schranken ausgestattet sind.

Andere Länder sind da schon weiter, beobachtet Eric Schöne, Verkehrswissenschaftler und Experte für Bahnübergangssicherheit an der TU Dresden. In Großbritannien etwa werde "jeder Unfall und auch jeder Beinaheunfall untersucht, ausführlich dokumentiert, auch öffentlich. Und zu jedem Unfall werden auch Vorschläge unterbreitet, wie man solche Ursachen bekämpfen kann." Doch dazu fehlt es in Deutschland an Daten. Reagiert werden kann dann erst, wenn es wirklich kracht.

Eric Schöne

Eric Schöne forscht an der TU Dresden zur Sicherheit an Bahnübergängen.

Günstige Lösungen setzen sich nicht durch

Und auch schnelle, preisgünstige Lösungen gibt es in Deutschland kaum. Fahrbahnteiler etwa, die das Umfahren von Halbschranken verhindern oder erschweren würden, findet man bisher nur im Ausland, so Schöne. Das stroboskopartig blitzende PeriLight-System warnt Straßenfahrzeuge nur im Projektfilm der Entwickler vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) - für den Einsatz im Bahnübergangsalltag fand sich kein Hersteller.

So ruhen einstweilen große Hoffnungen auf Verkehrserziehung und der Aufklärungkampagne "Sicher drüber". Rund 700 Aktionen vor allem in Schulen hat die Deutsche Bahn mit mehreren Partnern seit 2020 durchgeführt. Ein Videoclip soll besonders Jüngere vor der Todesgefahr am Bahnübergang warnen. Mit 46.000 Aufrufen in fünf Jahren ist er aber nicht gerade ein Hit auf YouTube.

Christoph Heinzle, Christoph Heinzle, NDR, 28.03.2023 07:04 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 28. März 2023 um 08:07 Uhr.