Netzbetreiber TenneT Hoher Gewinn, keine eigenen Investitionen
Das niederländische Staatsunternehmen TenneT hat über Jahre rund eine Milliarde Euro Gewinn aus dem deutschen Stromnetz gezogen und zugleich kein Kapital in den Ausbau investiert. Nun will die Bundesregierung das Netz kaufen.
Von Katrin Kampling und Karen Münster, NDR
Theo Eilers ist frustriert. Immer wieder werden die Windkraftanlagen des Windmüllers aus Niedersachsen abgeschaltet, weil sonst eine Überlastung des Netzes droht: "Wir könnten mehr Windenergie produzieren, wenn das Netz besser ausgebaut wäre", sagt er. "Jetzt gehen rund 25 Prozent der eigentlich möglichen Leistung verloren."
Dafür ist auch das niederländische Staatsunternehmen TenneT als größter Netzbetreiber in Deutschland verantwortlich. Vor gut 13 Jahren kaufte TenneT das Netz von E.ON für 1,1 Milliarden Euro. Es war ein Schnäppchen, weil E.ON durch neue Regularien gezwungen war, das Netz zu verkaufen. Doch seit Jahren wird der für die Energiewende dringend notwendige Ausbau des deutschen Stromnetzes verschleppt. Welche Rolle dabei die Niederlande spielen, zeigen gemeinsame Recherchen des NDR-Politikmagazins Panorama 3 und des niederländischen Recherchezentrums "Investico".
Verhinderten die Niederlande Investitionen?
Demnach verdienten die Niederlande als Eigentümer des Netzbetreibers TenneT durch Dividenden rund eine Milliarde Euro an der Infrastruktur, investierten aber keinen Cent Eigenkapital in den Ausbau des deutschen Netzes. Insider aus dem TenneT-Umfeld bestätigen im Gespräch mit Panorama 3 und "Investico" den Kapitalmangel des Unternehmens. Sie wollen anonym bleiben, um sich zu schützen. Es sei auffällig, dass TenneT im Vergleich zu den anderen Netzbetreibern weniger bereit war zu investieren, erzählt ein Energieberater: "TenneT hat immer versucht, neue innovative Wege zu finden, wie sie das Netz mit möglichst geringen Kosten funktional halten können."
Auch die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung kritisiert das Verhalten der Niederlande: "Es wurde einfach nur Geld abgezogen und nicht ausreichend investiert." Das sei besonders im Vergleich mit den anderen Netzbetreibern in Deutschland auffällig. Doch ohne Eigenkapital ist der Ausbau nicht zu stemmen. Die Folge: Der Netzausbau stockt extrem. Eine Auswertung der Netzausbaupläne durch Panorama 3 und "Investico" zeigt: Von seinen bis 2022 geplanten Ausbauprojekten in Deutschland setzte TenneT nur ein Fünftel tatsächlich um. Finanziert wurde dieser Ausbau mit Fremdkapital.
TenneT: Bürokratie erschwert Ausbau
TenneT-Geschäftsführer Tim Meyerjürgens sieht den Grund für den schleppenden Ausbau in der deutschen Bürokratie. "Im Wesentlichen liegt es an den Planungs- und Genehmigungsverfahren in Deutschland, die unheimlich komplex sind", sagt er.
Allein die Unterlagen für die Südlink-Stromtrasse - das vielfach verzögerte Großprojekt, das den norddeutschen Windstrom zum industriestarken Süden bringen soll - umfassten mittlerweile zehn Millionen Blatt Papier, so Meyerjürgens. Doch auch er räumt ein: Es sei "politisch durchaus anspruchsvoll" zu erklären, warum Niederländerinnen und Niederländer für den Netzausbau in Deutschland aufkommen sollten.
Schriftlich ergänzt TenneT, es sei ihnen vom ersten Tag an klar gewesen, "dass der niederländische Staat nicht die Kapitalanforderungen von TenneT erfüllen würde". Probleme habe das aber nicht verursacht. Für Energieökonomin Kemfert ist klar: Die niederländische Politik habe einen starken Rechtfertigungsdruck gegenüber den eigenen Bürgerinnen und Bürgern, wenn sie in Deutschland investierten. "Das wäre dann ja Geld gewesen, das man auch in den Niederlanden hätte investieren können", sagt Kemfert.
Verkaufsgespräche zwischen Deutschland und den Niederlanden
Auch TenneT sagt, dass rund 15 Milliarden Euro Eigenkapital nötig wären, um den deutschen Netzausbau zu stemmen - Kapital, das die Niederlande nicht zur Verfügung stellen wollen. Vor diesem Hintergrund verhandelt die deutsche Bundesregierung nun mit den Niederlanden darüber, das TenneT-Netz abzukaufen. Es sei "ein erheblicher weiterer Netzausbau (…) erforderlich", teilt das zuständige Bundeswirtschaftsministerium mit. Zu Details könne man sich aufgrund der laufenden Verhandlungen nicht äußern. Auch das in den Niederlanden zuständige Finanzministerium will sich nicht äußern.
"Dass man kritische Infrastruktur in die Hände der Niederlande gibt, war ein großer Fehler", ist Kemfert überzeugt. Ein Fehler, der jetzt teuer bezahlt werden dürfte: Der Kaufpreis des TenneT-Netzes dürfte nach Schätzungen bis zu 25 Milliarden Euro betragen - und dann ist noch kein einziger Cent in den Ausbau selbst geflossen.