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Zehntausende Bahnmitarbeiter Boni für Beschäftigte trotz Milliardenverlust

Stand: 19.04.2024 09:25 Uhr

Die Deutsche Bahn wird rund 42.000 Mitarbeitern eine "Erfolgsbeteiligung" für das Jahr 2023 auszahlen. Die Summe beläuft sich nach NDR-Informationen insgesamt auf einen Betrag in mittlerer dreistelliger Millionenhöhe.


Das Jahr 2023 ist für die Deutsche Bahn geprägt von einer "unbefriedigenden betrieblichen Situation", heißt es in einer internen Mitteilung des Konzerns, die dem NDR vorliegt. Die Ziele für Pünktlichkeit wurden erneut deutlich verfehlt. Unterm Strich steht am Ende des Geschäftsjahres ein Verlust von 2,4 Milliarden Euro.

Dennoch erhalten Zehntausende Bahn-Mitarbeiter am kommenden Donnerstag eine "Erfolgsbeteiligung". Die DB bestätigte die anstehende Auszahlung. Eine Führungskraft, die selbst von der Zahlung profitiert, kritisiert die Vergütungspraxis als nicht leistungsgerecht und bezeichnet das Unternehmen als "Mitnahmeladen".

Trotz tiefroter Zahlen erhalten demnächst zehntausende Bahnmitarbeitende Bonuszahlungen

Stefanie Dodt, NDR, Mittagsmagazin, 19.04.2024 12:10 Uhr

Zwischen 15 und 35 Prozent des Jahresgehalts

Zu den Empfängern gehören rund 34.700 Tarifkräfte, 4.100 Leitende Angestellte und 3.400 außertarifliche Arbeitnehmende der DB - also beispielsweise die Gruppenleiter der Lokführer, IT-Experten oder Leiter im Bereich Instandhaltung. Die meisten erhalten zwischen 15 und 35 Prozent des Jahresgehalts, im Schnitt eine niedrige fünfstellige Summe.

DB-Sprecher Achim Stauß sagte dem NDR, dass die Auszahlung vertraglich festgelegt und gerechtfertigt sei: "Mitarbeiter, die sich das ganze Jahr für die Bahn einsetzen, die unter schwierigen Bedingungen arbeiten müssen, haben einen Anspruch darauf, finanziell belohnt zu werden." Er könne aber verstehen, wenn es aus Kundensicht aufgrund der schlechten betrieblichen Qualität ein "Störgefühl" gebe.

Der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Stefan Gelbhaar, sagte: "2023 war ein schwieriges Jahr für die Bahn - da ist es schwer vermittelbar, dass die Mitarbeiterbeteiligung so ausgezahlt wurde, als wenn es ein gutes Jahr gewesen wäre". Der DB-Vorstand musste 2023 auf seine Boni verzichten, da das Unternehmen die Strompreisbremse in Anspruch genommen hat, hatte aber für 2022 die Erfolgsprämien erhalten - und nachträglich nach Auslaufen der Strompreisbremse ausgezahlt.

Boni-Verbot ausschließlich für "Mitglieder der ersten Führungsebene"

Die Bahn hatte mehr als 50 Millionen Euro der Hilfen vom Bund in Anspruch genommen. Das Gesetz sieht in solchen Fällen ein Boni-Verbot für "Geschäftsleitung" und "Aufsichtsorgane" vor. Das Bundesverkehrsministerium teilte dazu auf Anfrage mit, dass damit ausschließlich "Mitglieder der ersten Führungsebene" gemeint seien. Bei Aktiengesellschaften wie der Deutschen Bahn also "sämtliche Vorstandsmitglieder". Die Auszahlung der Erfolgsbeteiligung für die Zehntausenden Mitarbeiter ist also offenbar nicht betroffen.

Der jährliche Bonus ist für die rund 42.000 Bahn-Mitarbeiter, etwa 20 Prozent der Belegschaft in Deutschland, eine erfolgsabhängige Ergänzung des Fixgehalts. Die Personalkosten der Bahn haben sich 2023 auf insgesamt rund 19 Milliarden Euro belaufen.

Die Höhe der Zahlung hängt davon ab, ob das Unternehmen sowie teilweise der einzelne Mitarbeiter zuvor festgelegte Ziele erreicht haben. Interne Unterlagen, die dem NDR vorliegen, zeigen: Die Auszahlung erfolgt in diesem Jahr, obwohl die Leistung des Konzerns im Bereich Kundenzufriedenheit und Pünktlichkeit im Regio- und Fernverkehr die des Vorjahres noch unterschreiten.

Das ist unter anderem möglich, weil die Ziele für 2023 niedriger gesteckt waren als im Vorjahr. So lag das Ziel für Kundenzufriedenheit im Jahr 2022 noch bei 74,1 Prozent. Im Jahr 2023 waren es nur noch 70 Prozent. Und selbst dieses niedrigere Ziel wurde gerissen.

Schlechte Werte bei der Pünktlichkeit

Bei der Pünktlichkeit im Fernverkehr liegt das Ziel für das Jahr 2023 sogar noch unterhalb des sogenannten "Knock-Out-Wertes" für 2022. Dieser Wert beschreibt die Grenze unterhalb der für eine Kennzahl kein Bonus gezahlt wird. Dennoch wurden im Regio- und Fernverkehr selbst diese niedrigeren Zielwerte noch unterschritten. Lediglich im Güterverkehr hat die Bahn bei Pünktlichkeit besser abgeschnitten als geplant.

Für eine DB-Führungskraft ist die Kalkulation wenig nachvollziehbar. "Ziele müssen erreichbar aber auch ambitioniert sein. Aus Kundensicht sind schon die Zielwerte eine Katastrophe, wir erreichen sie trotzdem nicht, und bekommen trotzdem noch mehr Bonus als letztes Jahr."

Der Berechnung zufolge fließen außerdem die Faktoren "Frauen in Führungspositionen" und die wirtschaftlichen Ziele mit ein, beide Ziele wurden demnach übererfüllt. Die Ziele werden vom DB-Aufsichtsrat für den Vorstand festgelegt, dieser überträgt sie anschließend auf die internen Bonus-Empfänger.

Auch bei den wirtschaftlichen Kennzahlen hatte dieser aufgrund der Inflation und den hohen Kosten für Investitionen in die Infrastruktur bereits im Vorfeld ein niedrigeres Ziel definiert. Der Verlust ist demnach geringer als erwartet. Das finanzielle Ziel gilt damit als übertroffen.

Persönliche Ziele wichtig

Maßgeblich für die Höhe des individuellen Bonus sind zusätzlich bei Führungskräften und außertariflich Beschäftigten die persönlichen Ziele. Wurden diese vollständig erreicht, wird ihnen jetzt eine Erfolgsbeteiligung von 95,5 Prozent des Maximalwerts ausgezahlt - das ist mehr als im Vorjahr. Bei den Tarifkräften fließt diese persönliche Bewertung nicht mit ein, sie bekommen pauschal eine sogenannte Jahresabschlussleistung von 15 Prozent ihres Jahresgehaltes.

In den Jahren der Pandemie hatten sich die Boni für die Zehntausenden Beschäftigten etwa halbiert - die Ziele waren deutlich unterschritten worden und der Vorstand hatte Gebrauch von einem "Ermessensfaktor" gemacht, der die Auszahlung um 20 Prozent nach unten oder oben korrigieren kann.

Bahn-Sprecher Achim Stauß betonte, dass dieses Ermessen für "außergewöhnliche, nicht planbare Ereignisse" gedacht sei - wie es in der Pandemie der Fall war. "In der aktuellen Situation wäre es unangemessen gewesen, diesen Ermessensfaktor zu ziehen - auch wenn wir rote Zahlen hatten. Das lag ja auch vor allem daran, dass wir im Jahr 2023 für den Bund erheblich in Vorleistung gegangen sind. Dafür wollten wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schlichtweg nicht bestrafen".

Kritik daran kommt vom grünen Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar, der auch im DB-Aufsichtsrat sitzt. "Wenn es ein besonders schwieriges Jahr ist, die Bilanz nicht hinhaut, die Pünktlichkeitswerte nicht gut sind, die Kundenzufriedenheit heruntergegangen ist - dass sich das im Ermessen überhaupt nicht wiederfindet, das löst schon Fragezeichen aus".

Neues Nachhaltigkeitsziel

Die EVG, die ebenfalls im Aufsichtsrat vertreten ist, wollte sich auf Anfrage nicht äußern, ebenso wie die Bundestagsabgeordneten Dorothee Martin (SPD) und Bernd Reuther (FPD), die für die Bundesregierung im Aufsichtsrat sitzen.

Die Bahn-Unterlagen zeigen: Für das kommende Jahr spielt die Leistung der Bahn bei Pünktlichkeit, Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit noch eine geringere Rolle für die die Bonuszahlungen. In 2024 fließen diese bei der Berechnung der Erfolgsbeteiligung statt mit 20 Prozent nur noch mit 15 Prozent ein.

Zusätzlich gibt es ein neues Nachhaltigkeitsziel, das mit 15 Prozent gewichtet wird. Die persönliche Leistung fällt in diesem Jahr für einen Teil der Boni-Empfänger noch stärker ins Gewicht - mit 25 statt bislang 20 Prozent. Einzelne Ziele können allerdings dann nicht mehr wie bisher, mit bis zu 200 Prozent übererfüllt werden, sondern mit maximal 150 Prozent in die Berechnung einfließen.

Stefanie Dodt, NDR, tagesschau, 19.04.2024 14:31 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 19. April 2024 um 09:06 Uhr.