Umweltverband in der Krise Massive Finanzlücken beim WWF
Dutzenden Angestellten beim WWF Deutschland soll betriebsbedingt gekündigt werden. Nach Recherchen von NDR, WDR und SZ werden offenbar zentrale Abteilungen geschlossen, im Etat klafft demnach ein Millionenloch.
Es scheint eine absolute Notbremse des WWF-Vorstandes zu sein: Angesichts steigender Kosten und immer knapper werdender Ressourcen sei man verpflichtet, "kurzfristig die wirtschaftliche Stabilität des WWF Deutschland zu sichern", heißt es in einem internen Schreiben, das Ende Juni offenbar an die Mitarbeitenden raus ging.
Hinter verschlossenen Türen hatte der Betriebsrat über Monate mit dem Vorstand des WWF Deutschland über Stellenabbau und Umstrukturierung verhandelt. Das Ergebnis laut interner Unterlagen, die NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung vorliegen: Bis zu 80 der knapp 500 Angestellten sollen offenbar gehen. Zentrale Abteilungen sollen demnach aufgelöst und insgesamt mit diesen Kürzungen 4,5 Millionen Euro im Jahr an Personalkosten eingespart werden.
Seit mehr als 60 Jahren arbeitet der WWF mit seinen Mitarbeitern weltweit an Errichtung und Erhalt von Naturschutzgebieten, bezeichnet sich selbst als "Anwalt der Natur". Finanziert wird diese Arbeit zu weiten Teilen aus Spendengeldern.
Die deutsche Sektion ist innerhalb des WWF-Verbundes die zweitgrößte Einzelorganisation. Laut der offiziellen Bilanz der NGO kamen im Finanzjahr 2023 fast 55 Millionen Euro an Spenden von rund 350.000 Personen zusammen. Eine andere wichtige Einnahmequelle sind öffentliche Aufträge und Unternehmenskooperationen. Insgesamt lagen die Einnahmen laut offiziellen Zahlen zuletzt bei rund 125 Millionen Euro.
Das ist offenbar zu wenig, um die Kosten des WWF Deutschland zu decken. Schon das Finanzjahr 2023 hatte der WWF Deutschland mit einem Minus von 1,9 Mio. Euro abgeschlossen. Es konnte nur mit Hilfe von Rücklagen gedeckt werden, so die veröffentlichte Bilanz.
Kein "Weiter so"
Dokumente, die NDR, WDR und SZ vorliegen, zeigen, wie dramatisch sich die Finanzsituation beim WWF Deutschland seitdem offenbar verschärft hat. In diesem Jahr könnte sich der Verlust auf mindestens fünf Millionen Euro erhöhen. So steht es in einer internen Präsentation des Vorstandes an die Mitarbeitenden. Deshalb müsse man jetzt schnell handeln.
In einem weiteren internen Brief des Vorstandes an die Belegschaft von Anfang Juli, an die "Lieben Pandas", ist zu lesen, ein "Weiter so" könne es angesichts der "finanziellen Faktenlage" nicht geben. Wenn man jetzt nicht die geplanten Einsparungen beim Personal vornehme, könne das Defizit zum Finanzjahr 2025 auf neun Millionen Euro anwachsen, so die interne Prognose.
Gemessen am Defizit, das der WWF-Vorstand derzeit laut der internen Unterlagen prognostiziert, ist dies offenbar aber immer noch zu wenig. Deshalb sollen weitere Einsparungen geplant sein - etwa die Verkleinerung der Büroflächen oder die Abgabe der Verwaltung von Schutzgebieten an andere Naturschutzorganisationen.
Derzeit besitzt der WWF Deutschland direkt oder mit Partnern rund 38.000 Hektar an Naturschutzflächen, die er eigentlich zu "Urwäldern von morgen" entwickeln wollte. Nun soll die Pflege und Verwaltung wohl an andere Naturschutzverbände ausgelagert werden, offenbar um Personalkosten zu sparen.
Die internen Unterlagen legen auch nahe, dass der oberen Führungsebene die Finanzierungsprobleme offenbar lange bekannt waren. Schon vor mehreren Jahren hatte der damalige Vorstand demnach eine Unternehmensberatung mit einem Gutachten zur Analyse der Kostenstrukturen beauftragt. Die Ausarbeitung des Gutachtens verzögerte sich aber offenbar. Seitdem hatte der WWF Deutschland zusätzliche Mitarbeiter eingestellt, die nun möglicherweise ebenfalls von einer Kündigung betroffen sein könnten.
Schwächung "bis ins Mark"
Viele der Angestellten treffen die Umbaupläne unvermittelt und überraschend. Das Vertrauen in die Führung sei seitdem gebrochen, sagt eine beim WWF angestellte Person, die anonym bleiben möchte. NDR, WDR und SZ liegt ein Schriftwechsel zwischen der WWF-Belegschaft, dem Vorstand und dem Stiftungsrat vor. Die Briefe der Mitarbeitenden sollen bis zu 299 Unterzeichner haben. Darin heißt es unter anderem: "Aktuell erleben wir die geplante Konsolidierung als Angriff auf die ureigene Identität des WWF." Die ausgewählten Bereiche abzuwickeln, schwäche die Organisation "bis ins Mark".
Tatsächlich geht der geplante Umbau den Unterlagen zufolge offenbar tief an den Markenkern des WWF. So soll die Abteilung Artenschutz aufgelöst und lediglich vier Personen in andere Abteilungen "umgehängt" werden. Auf Anfrage erklärte der WWF Deutschland, die Schließung des Bereichs bedeute "nicht das Einstellen der Arbeiten zum Thema, sondern die integrierte Fortführung ohne organisatorische Parallelstrukturen."
Auch die Abteilung Landwirtschaft wird es wohl in Zukunft so nicht mehr geben. "Das ist absurd, angesichts der Bedeutung, die die Landwirtschaft fürs Klima hat", meint die im WWF Deutschland angestellte Person. Auch die Abteilung Bildung, über die man bislang viele Menschen für die Themen des WWF erreicht habe, soll es künftig wohl nicht mehr geben.
Kurz nachdem NDR, WDR und SZ den WWF Deutschland angefragt hatten, veröffentlichte die Umweltorganisation eine Presseerklärung zur anstehenden Konsolidierung. Die konkreten Fragen zu den prognostizierten finanziellen Defiziten sowie zur Kommunikation mit der Belegschaft wollte der WWF Deutschland nicht kommentieren. Man sei in einem internen "Diskussions- und Dialogprozess".
Kooperationen mit Unternehmen
Die Kritik der Mitarbeitenden entzündet sich auch an einer anderen wichtigen Einnahmequelle. Über Unternehmenskooperationen erzielte der WWF Deutschland im abgelaufenen Finanzjahr 2023 14 Prozent seiner Einnahmen.
Die Pläne für den Umbau des Umweltverbandes sollen nun vorsehen, dass dieser Teil des Geschäftes ausgebaut werden soll, um so zusätzliche Einnahmen zu generieren. Dabei handelt es sich um Beratungsprojekte, bei denen der Verband Unternehmen in Umweltfragen berät. Diese dürfen im Gegenzug gegen Lizenzgebühren das bekannte Panda-Logo für ausgewählte Werbezwecke nutzen.
Die größte Kooperation besteht schon seit Jahren mit dem Lebensmitteleinzelhändler Edeka. Daneben gibt es viele weitere kleinere Projekte, etwa mit Pepsi oder dem Waschmittelhersteller Procter & Gamble. Diese Lizenzeinnahmen seien für die Arbeit des WWF besonders wertvoll, erklärt ein ehemaliger WWF-Mitarbeiter, der ebenfalls anonym bleiben möchte. Denn sie seien sind nicht zweckgebunden.
Gleichzeitig sind Unternehmenskooperationen innerhalb des WWF seit jeher stark umstritten. Die große Nähe zur Wirtschaft gefährde die Unabhängigkeit, so die Befürchtung. Die nun anstehende Konsolidierung gefährde auch die Glaubwürdigkeit und Reputation des WWF massiv, schreiben die Mitarbeitenden des WWF Deutschland Anfang Juli in einem zweiten Brief an den Vorstand. "Für die daraus entstehenden Konsequenzen tragt Ihr die Verantwortung!"