Briefkastenfirmen Deutsche Steueroasen im Visier
Zum Schein konnten sich Unternehmen jahrelang nahezu unbehelligt an Orten mit niedrigen Gewerbesteuersätzen niederlassen. Nach Informationen von NDR, WDR und SZ prüfen nun Bund und Länder die fragwürdige Praxis.
Die Steueroase ist nur einen Mausklick entfernt. Möglich macht es ein Dienstleister in der Kleinstadt Grünwald bei München. Der Anbieter vermittelt an Unternehmen Firmensitze. Ganz einfach zu bestellen, per E-Mail. Der Vorteil: In Grünwald müssen Unternehmen auf ihre Gewinne nicht einmal halb so viele Gewerbesteuern zahlen, wie 500 Meter weiter, in München. Und so dürfte das hier angebotene "Basispaket 1" für manch einen Unternehmer attraktiv erscheinen. Neben dem Briefkasten "im Herzen Grünwalds" können auch Telefon und Post weitergeleitet werden. Das alles für 350 Euro im Monat.
Der Service ist offenbar gefragt. Laut der Auskunftei "Markus" haben sich allein unter den Adressen des Grünwalder Dienstleisters mehr als 300 Unternehmen angesiedelt. In Grünwald gibt es inzwischen fast so viele Firmen wie Einwohner. Und die bayerische Kleinstadt ist längst nicht die einzige Gewerbesteueroase in Deutschland.
Die Stadt Zossen gilt als Gewerbsteueroase.
Ähnlich niedrige Gewerbesteuersätze gibt es beispielsweise in Monheim bei Düsseldorf, Lützen bei Leipzig oder Zossen bei Berlin. Mehr als ein Dutzend Dienstleister bieten deutschlandweit Büroservices an, um mit wenig Aufwand Firmensitze verschieben zu können. Sie werben im Netz sogar teils ganz offen mit "virtuellen Firmensitzen", um "Steuern zu sparen".
Milliardeneinbußen durch Steueroasen
Was in der Werbung wie ein cleverer Zug klingt, um Steuern zu vermeiden, ist für viele Städte und Kommunen ein ernsthaftes Problem. Denn gesamtgesellschaftlich entgehen dem Staat dadurch Steuereinnahmen von rund einer Milliarde Euro im Jahr, schätzt Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit. "Wir sehen einen Unterbietungswettbewerb zwischen den Kommunen, wo am Ende dann Gewinne hin und her verschoben werden, dahin wo der niedrigste Steuersatz ist und wo sich die Kommunen gegenseitig die Einnahmen kaputt machen und am Ende nur die Unternehmen profitieren", so Trautvetter.
Jahrelang war das Thema in der Finanzverwaltung zwar bekannt, aber von der Politik kaum beachtet. Ein Bericht des ARD-Politikmagazins Panorama im vergangenen Frühjahr hat nun für Bewegung gesorgt. Laut hessischem Finanzministerium war der Bericht "Gegenstand einer Erörterung", die nun fortgeführt werden soll, um "Handlungsoptionen" zu ermitteln.
Vertrauliche Bund-Länder-Beratungen
Nach Informationen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) haben die verantwortlichen Steuerexperten von Bund und Ländern in einer vertraulichen Sitzung beschlossen, in den Bundesländern nach Fällen zu suchen. Mit dem Betreff: "Gewerbesteueroasen - Briefkastenfirmen" wurden Finanzämter beispielsweise in Bayern aufgefordert, Fälle zu melden. Ähnliche Abfragen liefen im Herbst auch in hessischen Finanzämtern.
Das nordrhein-westfälische Finanzministerium stellte auf Anfrage klar, dass unrichtige Angaben im Einzelfall den Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllen könnten. "Das gleiche gilt für Dienstleister, die eine Betriebsstätte nur zum Schein und mit dem Ziel einer niedrigeren Gewerbesteuerbelastung vermitteln."
Mögliche Gesetzesverstöße
Tatsächlich könnten die Briefkasten-Firmensitze in vielen Fällen gegen das Gesetz verstoßen. Steuerrechtler, wie Henning Tappe von der Universität Trier, halten - je nach Einzelfall - in der Nutzung von Briefkastenfirmen sogar eine Straftat für möglich: "Was ich nicht machen darf, ist so zu tun, als würde ich meine Geschäftsleitung dahin verlegen und nur ein Schild an der Tür oder einen Briefkasten haben." Denn wer die tatsächlichen Geschäftsentscheidungen woanders treffe, das gegenüber dem Finanzamt aber verschleiere oder gar falsche Angaben mache, könne sich der Steuerhinterziehung strafbar machen.
Auch das Bundesfinanzministerium betont, dass nach "geltender Rechtslage" das bloße Vorhalten eines Briefkastens nicht ausreiche, damit Unternehmen ihre Gewinne an einer Gewerbesteueroase zu Niedrigsätzen versteuern dürfen. Nötig sei eine "Betriebsstätte", also ein Ort an dem Mitarbeiter des Unternehmens tatsächlich arbeiten und wesentliche Geschäftsentscheidungen getroffen werden. Der Bundesfinanzhof, das höchste Finanzgericht Deutschlands, konkretisierte unlängst, was das bedeutet. Demnach ist eine "eigene unternehmerische Tätigkeit mit fester örtlicher Bindung" und einer "Verwurzelung" am Ort notwendig, um eine Betriebsstätte nachweisen zu können.
Im Fokus: Büroserviceunternehmen
So rücken Dienstleister wie die Firmensitz-Vermittlung in Grünewald bei München und ihre Kunden mit ihren "virtuellen Büros" zunehmend in den Blick der Steuerbeamten. Das Landesamt für Steuern in Bayern etwa sieht einem Schreiben zu Folge in "Büroserviceunternehmen" ein "besonderes steuerliches Risiko für eine unzutreffende Festsetzung der Gewerbesteuer".
Während die Politik das Problem nun gerade erst zu entdecken scheint, kämpfen Finanzbeamte aus der Praxis mit ganz anderen Problemen. So spricht ein Finanzbeamter, der anonym bleiben will und für eine Gewerbesteueroase in Brandenburg zuständig ist, von Selbstbetrug. Die "Masse an Firmen" dort könne man mit dem vorhandenen Personal gar nicht vernünftig kontrollieren. Seinem Finanzministerium wirft der Steuerbeamte vor, wegzuschauen.
Finanzministerium will Firmensitze überprüfen
Das Brandenburgische Finanzministerium betont auf Anfrage, man habe die Berichterstattung von Panorama zum Anlass genommen, die Zusammenarbeit mit dem für die Steueroase Zossen zuständigen Finanzamt zu optimieren. "Ziel ist es, die Angaben der Unternehmen zur Geschäftsleitungsbetriebsstätte zu überprüfen, den tatsächlichen Ort der Geschäftsleitung zu ermitteln sowie die Frage nach dem zutreffenden örtlich zuständigen Finanzamt für die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags zu beantworten", so ein Sprecher. Die Maßnahmen seien noch nicht abgeschlossen.
Bundesweit wird es wohl vor allem Personal brauchen, das genau überprüfen kann, was sich hinter den hunderten Firmenschildern verbirgt, die in Zossen, Grünwald und anderen "Gewerbesteueroasen" an Hauswänden prangen.