Ein Labormitarbeiter bereitet PCR-Tests von Patienten auf die PCR-Analyse vor.
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PCR-Tests "Weder sachgerecht noch erforderlich"

Stand: 08.01.2023 17:00 Uhr

Die Labormediziner haben die Gesetze über PCR-Tests beeinflusst – und während der Pandemie Milliarden verdient. WDR, NDR und SZ haben mehr als tausend Seiten interner Ministeriumsunterlagen ausgewertet. Ein Lehrstück über Lobbyismus in der Pandemie.

Von Daniel Drepper, Markus Grill und Sarah Wippermann, NDR/WDR

Der Verein Akkreditierte Labore in der Medizin (ALM) ist der Club der Labore in Deutschland. Im Vorstand sitzen die Chefs der Labor-Riesen Sonic, Limbach, Amedes und Synlab. Die Namen kennt zwar fast niemand, doch jedes Jahr werten diese Firmen viele Millionen medizinischer Proben aus, von Hepatitis, Influenza oder Norovirus bis hin zum Corona-Virus. 

In den vergangenen beiden Jahren herrschte Dank der Pandemie Goldgräberstimmung in der Branche. Die Umsätze stiegen kräftig, die Gewinne explodierten förmlich, wie etwa bei der Firma Sonic Healthcare, die ihren Gewinn von 82 Millionen auf 274 Million mehr als verdreifachen konnte. Verantwortlich seien unter anderem die PCR-Corona-Tests, schreibt Sonic in seinem Jahresbericht. 

Branche für Finanzinvestoren interessant

Hinter mehreren dieser Branchenriesen stehen Finanzinvestoren. So hat mitten in der Pandemie der US-Finanzkonzern Goldman Sachs zusammen mit zwei weiteren Investoren für 1,5 Milliarden Euro die Laborfirma Amedes mit Sitz in Göttingen übernommen.  

WDR, NDR und "Süddeutsche Zeitung" (SZ) haben mehr als tausend Seiten interner Ministeriumsunterlagen ausgewertet, in denen es vor allem um die Vergütung der PCR-Tests ging. Während der Test auf Influenza und ähnliche Erreger mit knapp 20 Euro vergütet wird, erhielten die Labore für den Corona-PCR-Test anfangs 59 Euro von den Krankenkassen. Inzwischen ist der Preis auf rund 30 Euro abgesunken.

Offenbar erfolgreiche Lobbyarbeit

Die Unterlagen zeigen, wie der Lobbyverband ALM etwa erfolgreich daran gearbeitet hat, die Preise möglichst lange hoch zu halten. Auch versuchten sie Tiermediziner, Zahnärzte und Apotheker vom Testen auszuschließen. Und die Dokumente zeigen wie der ALM mit seiner Lobbyarbeit offenbar dazu beigetragen hat, dass Bundesregierung und Krankenkassen bei der Vergütung von PCR-Tests in den vergangenen drei Jahren möglicherweise Milliarden verschwendet haben. 

Bevor das Gesundheitsministerium in der Pandemie neue Gesetze oder Verordnungen erlässt, ist es üblich, dass die Verbände gehört werden, deren Geschäft von den Regelungen betroffen ist. So auch bei den Corona-Tests, für die eigens Testverordnungen erlassen wurden. Auch der ALM als Verband der Laborärzte erhielt alle Referentenentwürfe neuer Testverordnungen vorab. Häufig schickte der ALM-Vorsitzende Michael Müller innerhalb weniger Stunden Änderungswünsche ans Ministerium zurück.

Minister Spahn las persönlich

Dass seine Schreiben häufig den Minister persönlich erreichten, sieht man etwa an handschriftlichen Notizen von Jens Spahn auf Müllers Schreiben, die WDR, NDR und SZ vorliegen. "Bitte im August Videokonferenz organisieren mit ALM", heißt es da etwa. Auf Fragen zum Einfluss der Labor-Lobby auf seine Politik lässt Spahn ausrichten, er habe "keinen Zugang mehr zu Akten, Vorlagen oder Rücksprachen, um die von Ihnen aufgeführten Punkte in der nötigen Detailtiefe nachzuvollziehen oder zu bewerten."

Bereits im April 2020 plante das Gesundheitsministerium, dass auch tierärztliche Labore an der PCR-Testauswertung teilnehmen, um die Kapazitäten zu erhöhen. Am 21. April 2020 schickte deshalb ALM-Chef Müller ein Schreiben an Spahn, in der er sich scharf gegen die geplante Aufnahme wehrte. "Die vorgesehene Erlaubnis für Tierärztinnen und Tierärzte … ist weder erforderlich noch sachgerecht und daher abzulehnen." Den Tierärzten fehlten dafür "die zu leistenden Fähigkeiten und Kenntnisse".

Tierärzte wurden ausgebootet

Die Tierärzte, die seit Jahren etwa bei Hühnern große Mengen an günstigen PCR-Tests durchführen, auch auf verschiedene Corona-Viren, wurden schließlich wieder aus der Testverordnung gestrichen. Vertreter der Veterinärmediziner ärgern sich bis heute darüber - auch weil sie wissen, dass sie die Leistungen günstiger hätten anbieten können und so große Kapazitäten für PCR-Coronatests ungenutzt blieben.

WDR, NDR und SZ haben ALM-Chef Müller insgesamt elf Fragen geschickt, zu seiner Lobbytätigkeit, zu den Preisen für die Testkits, zu den Gewinnen der Labore. Die Fragen haben den ALM-Vorsitzenden Müller am 16. Dezember erreicht. Beantwortet hat Müller bis zum Redaktionsschluss keine einzige der Fragen. Über seine Referentin ließ er ausrichten, dass er für die Beantwortung der Fragen vier Wochen Zeit benötige. 

Direkter Draht zum Minister?

Wie der ALM-Chef vorgeht, zeigte sich beispielsweise im Juni 2020. Der Erweiterte Bewertungsausschuss, ein Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, hat inzwischen festgelegt, dass die Krankenkassen für den PCR-Test ab 1. Juli 2020 nicht mehr 59 Euro bezahlen müssen, sondern nur noch 39,40 Euro. In der Folge müsste auch der Preis sinken, den der Bund für PCR-Tests erstattet - zum Beispiel für Reiserückkehrer oder Menschen mit roter Corona-Warn-App. So sieht es Paragraph 9 der Testverordnung vor.

Am 15. Juni 2020 bittet Müller von der ALM in einem Schreiben jedoch Gesundheitsminister Spahn, "um die Aussetzung der Anwendung des §9". Vier Tage später hakt Müller in einem weiteren Schreiben an den Minister nach und bittet, den Preis nicht abzusenken, weil sonst "kleine Labore in der Fläche die PCR-Untersuchung nicht mehr kostendeckend erbringen können".

Preis wurde nicht abgesenkt

Am 26. Juni 2020 findet ein Gespräch zwischen Spahn und Müller statt, kurz darauf teilt das Ministerium mit, dass die Vergütung des Bundes für den PCR-Test nicht abgesenkt wird, sondern bei 50,50 Euro pro Test bleibt. Spahn will dazu nichts sagen und lässt ausrichten, man soll sich doch an das Ministerium wenden. Doch auch das Ministerium nimmt dieser Tage keine Stellung zu dem Sachverhalt. Im Gespräch sagt der aktuelle Gesundheitsminister Karl Lauterbach: "Wie das in der Zeit meines Vorgängers genau so beschieden wurde, das kann ich nicht sagen. In der Tat war es damals so, dass der Kassenpreis niedriger war, als der Ministeriumspreis."

Am 25. November 2020 will das Gesundheitsministerium eine neue Regelung schaffen, nach der auch Zahnärzte PCR-Tests machen dürfen. Eine entsprechende Formulierung findet sich in §16 der neuen Testverordnung. Nur einen Tag später schreibt Müller ans Ministerium: "Für die Neuaufnahme von … Zahnärzten und Tierärzten sehen wir in den getroffenen Umfang keinen Bedarf." Aus der endgültigen Testverordnung, die vier Tage später veröffentlicht wird, sind die Zahnärzte wieder gestrichen. 

Offenbar weitere erfolgreiche Interventionen

Im Juni 2021 steht erneut eine Änderung der Testverordnung an. Das Ministerium schickt den Referentenentwurf an ALM-Chef Müller. Demnach soll die Vergütung, die der Bund für die PCR-Tests bezahlt und die inzwischen von 50,50 Euro auf 43,56 Euro gesenkt wurde, vom 1. August an noch einmal auf dann 39,16 Euro abgesenkt werden. Müller schreibt prompt ans Ministerium zurück: "Der ALM sieht die erneute Absenkung der Vergütung als nicht sachgerecht an." Er stellt bei einer Kürzung der Vergütung "die Aufrechterhaltung von Überkapazitäten" in Frage und schlägt vor, die Vergütung bei 43,56 Euro zu belassen. In der endgültigen Testverordnung, die wenig später veröffentlicht wird, bleibt der Preis für den Bund bei 43,56 Euro. 

Im November 2021 plant das Gesundheitsministerium, dass auch Hausärzte und Apotheker in ihren Räumen PCR-Schnelltests zum Preis von 30 Euro durchführen dürfen. Ein entsprechender Absatz findet sich in dem Verordnungsentwurf, den das Ministerium an Müller schickt.

Noch am selben Tag schickt Müller seine Stellungnahme zurück. Ärzte und Apotheker seien dafür "weder fachlich ausgebildet" noch seien ihnen die gesetzlichen Rahmenbedingungen bewusst. Deshalb sei der Plan "kritisch zu sehen und abzulehnen". Drei Wochen später wird die neue Test-Verordnung veröffentlicht - die geplanten PCR-Schnelltests für 30 Euro sind wieder gestrichen. 

Lauterbach dankt Laborärzten

Mitte Oktober 2022 findet in Mannheim der Kongress Deutsche Labormedizin statt, ein Branchentreffen der Labormediziner. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach lässt sich mit einer Botschaft einblenden. Der ALM veröffentlicht auf seinem Twitterkanal stolz das Grußwort des Ministers. Lauterbach sagt: "Was hätten wir nur ohne Sie in den letzten Pandemiejahren gemacht?" und er fährt fort: "Besonders möchte ich Ihnen auch dafür danken, dass Sie das BMG jederzeit durch einen konstruktiven Austausch unterstützt haben. Wir konnten uns auf Sie verlassen."

Heute sagt Lauterbach dazu: "Ob die Laborärzte damals in den Verhandlungen mit meinem Vorgänger, Kosten angegeben haben, die de facto gar nicht entstanden sind, das kann ich nicht beurteilen. Wahr aber ist, dass die Laborärzte, die diese Tests durchgeführt haben, uns in der Pandemie unendlich geholfen haben. Diesen Menschen danke ich."

ALM-Chef Müller behauptete in seinen Schreiben mehrfach, dass die Tests bei einer Absenkung der Preise "nicht mehr kostendeckend zu erbringen" seien und sich das "Risiko" erhöhe, "dass medizinische Labore die Sars-CoV2-PCR-Testung einstellen." Eine Drohkulisse mitten in einer Pandemie. Doch als die Preise im Juli 2020 und im Juli 2021 tatsächlich abgesenkt wurden und Müller zuvor wieder vor sinkenden PCR-Kapazitäten gewarnt hatte, stiegen anschließend beides mal die Kapazitäten - offenbar war das Testen auch nach der Absenkung weiterhin lukrativ.