Organisierte Kriminalität Ein "Dieb" als Kronzeuge
Die "Diebe im Gesetz" sehen sich als Elite unter den russischen Kriminellen. Sie kooperieren normalerweise nicht mit der Polizei und Justiz. Laut Recherchen von NDR und WDR hat in Mecklenburg-Vorpommern einer von ihnen umfangreich ausgesagt.
Sie nennen sich "Diebe im Gesetz", stammen meist aus Russland oder einer der anderen Ex-Sowjet-Republiken. Und sie verstehen sich als Elite unter den Kriminellen. Ihr Geschäft ist der Drogen- und Waffenhandel, Schutzgelderpressung oder Betrügereien. Laut Mythos ist dieser Verbrecherorden in den Straflagern von Stalin entstanden.
Ihre Körper schmücken die "Diebe" oft mit markanten Tätowierungen. Sterne auf den Knien, oder Kirchtürme auf dem Rücken, jeder Turm steht symbolisch für eine Verurteilung.
Wer ein "Dieb" ist, soll einem strengen Ehrenkodex folgen. Dazu zählt, dass die Zugehörigkeit zu diesem Orden nicht geleugnet werden darf, zudem sollen "Diebe" keine Familie gründen, damit Frau und Kinder nicht alleine bleiben, falls es zu einer Gefängnisstrafe kommt. Vor allem aber verpflichten sie sich, niemals mit der Polizei oder Justiz zu kooperieren.
Aleksej G. aus Rostock hat zumindest diese Regel gebrochen. Nach Recherchen von NDR und WDR hat der 39-jährige gebürtige Russe umfangreich gegenüber den Strafverfolgern in Mecklenburg-Vorpommern ausgesagt und dabei Einblicke in die Strukturen der Organisierten Kriminalität geliefert. Er ist inzwischen Kronzeuge in Verfahren gegen andere Drogenhändler aus Norddeutschland, gilt als stark gefährdet und befindet sich im Zeugenschutzprogramm.
Ein ungewöhnlicher Fall, denn das Bundeskriminalamt (BKA) listet Aleksej G. bereits seit 2013 als "Dieb im Gesetz" - und diese schweigen zumeist, wenn sie mit den Gesetzeshütern in Kontakt kommen. "'Diebe im Gesetz' bilden eine Parallelgesellschaft mit eigener soziokultureller und kriminalitätsideologischer Prägung, strukturbestimmenden Regeln und internem Sanktionssystem", so steht es in einem Aktenvermerk des Landeskriminalamtes Mecklenburg-Vorpommern.
Hinweis einer V-Person
Im April 2022 war Aleksej G. nach dem Hinweis einer V-Person, eines angeworbenen Informanten, in Rostock wegen des Verdachts des Rauschgifthandels festgenommen worden. Den deutschen Behörden ist G. kein Unbekannter, die Liste der Vorstrafen ist lang. Gefährliche Körperverletzung, Erpressung und immer wieder: Besitz von und Handel mit Betäubungsmitteln.
Diesmal waren die Beweise offenbar erdrückend, und Aleksej G. kooperierte schließlich mit den Strafverfolgern - und belastete weitere Beschuldigte in anderen Rauschgiftverfahren. In den vergangenen Monaten wurde G. umfangreich von Ermittlern und Staatsanwälten vernommen. NDR und WDR konnten die Vernehmungsprotokolle und Gerichtsakten einsehen und auswerten.
In mehreren Vernehmungen im November und Dezember 2022 berichtete G. den Ermittlern des LKA Mecklenburg-Vorpommern, wie das Geschäft mit den Drogen in Norddeutschland ablaufen soll. Der Kronzeuge erzählte, dass er die Drogen, die er weiterverkauft habe, offenbar von anderen "Dieben im Gesetz" bezog.
Drogen offenbar in Erdlöchern
Aus Berlin, aber auch Spanien und den Niederlanden würden die Drogen laut G. von Kurieren in speziell präparierten Autos nach Deutschland geliefert. Die Übergaben fänden dann unter anderem auf Supermarktparkplätzen in Rostocker Neubauvierteln statt. Gelagert wurden die Drogen anschließend offenbar in Erdlöchern oder in Kellern von Leuten, die dafür Geld bekämen.
G. gab gegenüber den Ermittlern außerdem an, dass Mitglieder der "Diebe im Gesetz" auch im Waffenhandel aktiv seien. Danach sei ein AK 47-Sturmgewehr in Deutschland für unter 1.000 Euro zu bekommen.
Kommuniziert habe Aleksej G. mit den anderen Kriminellen über speziell verschlüsselte Handys, die in den vergangenen Jahren unter den Namen SkyECC und Encrochat bekannt geworden sind. Der Kronzeuge verriet den Ermittlern die geheimen Aliasnamen, unter denen seine ehemaligen Komplizen in den Chats aktiv gewesen sein sollen.
Konflikte offenbar mit Gewalt gelöst
Was die Akten auch zeigen: Konflikte innerhalb dieser kriminellen Strukturen werden offenbar mit blanker Gewalt gelöst. Ein Zwischenhändler, der aus dem Geschäft aussteigen wollte, wurde laut eigenen Aussagen unter einem Vorwand in eine Wohnung gelockt und zusammengeschlagen. Mit einem Revolver sei "Russisch Roulette" mit ihm gespielt worden, sagte der ebenfalls beschuldigte Drogenhändler in einer Vernehmung, und ihm sei mit "Tschetschenen" gedroht worden, die seiner Familie etwas antun würden.
Nach den umfangreichen Vernehmungen von Aleksej G. Ende vergangenen Jahres beantragte die Staatsanwaltschaft Rostock, den Russen in Zeugenschutz zu nehmen. Der zuständige Staatsanwalt begründete dies damit, dass G. gefährdet sei, weil er ein führendes Mitglied der "Diebe im Gesetz" in Berlin belastet habe.
Außerdem habe G. auch ungewollt Besuch eines Anwaltes bekommen. Der Staatsanwalt spekulierte in seinem Schreiben weiter, dass dieses Treffen möglicherweise das Aussageverhalten des Kronzeugen beeinflussen sollte.
Das Landgericht Rostock verurteilte Aleksej G. im September schließlich wegen Drogenhandels zu sechseinhalb Jahren Gefängnis. Eine vergleichsweise milde Strafe. Er hatte gestanden, mit Kokain und Cannabis im Wert von fast 1,8 Mio Euro gehandelt zu haben. Sein Anwalt, der frühere DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel, sagte auf Anfrage, dass Aleksej G. nun ein anderer Mensch sei. Ein guter Mensch.