Teure Krebsmedikamente Lukrative Geschäftsmodelle für Apotheken
Obwohl der Gesetzgeber es verhindern wollte, wächst die Zahl der Arztpraxen, die unter wirtschaftlichem Einfluss von Apothekern stehen. Es geht um lukrative Geschäfte vor allem mit teuren Krebsmedikamenten. Minister Lauterbach sieht Gefahren für Patienten.
Mehr als 100 Medizinische Versorgungszentren (MVZ) sind mittlerweile direkt oder indirekt in der Hand weniger Apotheker. Das zeigt eine deutschlandweite Auswertung von WDR, NDR, "Süddeutscher Zeitung" und dem ARD-Magazin Monitor.
Das liegt offenbar auch an den hohen Gewinnmargen, die Apotheker unter anderem mit Rezepten für Krebsmedikamente erzielen können. Mit der Zubereitung eines einzigen Infusionsbeutels für Krebspatienten können Apotheker in wenigen Minuten mehrere Hundert, teils sogar Tausend Euro extra verdienen, wie Recherchen von NDR, WDR, SZ und Monitor zeigten. Entsprechend begehrt sind die Rezepte für die Krebsmedikamente bei jenen Apothekern, die die Infusionsbeutel zubereiten.
Kreatives Umgehen des Kaufverbots
In der Vergangenheit kamen immer wieder Fälle ans Licht, bei denen einzelne Apotheker Krebsärzte sogar bestochen haben sollen, um an die Rezepte zu gelangen. Eine andere Form, von den gut bezahlten Krebsinfusionen zu profitieren, kann der Kauf eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) mit Krebsärzten durch Apotheker sein, die Krebstherapien herstellen.
Zwar ist es seit 2012 nicht mehr erlaubt, dass Apotheker solche MVZ gründen. Dies dürfen nur noch Ärzte selbst, Krankenhäuser, Dialyse-Zentren oder Kommunen. Doch einige Apotheker haben offenbar einen Weg gefunden, dieses Verbot kreativ zu umgehen: Indem sie etwa über Beteiligungen an einem Unternehmen ein Krankenhaus kaufen, das dann wiederum zahlreiche MVZ betreiben kann.
Gefahr für Patienten
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will solche Geschäftsmodelle im Gesundheitswesen verhindern, die zunehmend auch für Finanzinvestoren attraktiv sind, die davon profitieren wollen. Er sagt, es dürfe "grundsätzlich nicht erlaubt" sein, dass Apotheker Arztpraxen über Beteiligungen an Medizinischen Versorgungszentren erwerben können. "Wir wollen keine von Investoren betriebenen MVZ, erst recht keine, wo der Investor ein Apotheker ist", sagt Lauterbach im Gespräch mit NDR, WDR, SZ und Monitor. Denn eine "Vermengung mit Verschreibungsgewinnen, die astronomisch sind", berge auch eine Gefahr für Patienten, wenn am Ende möglicherweise nur deshalb bestimmte Krebsmedikamente eingesetzt würden, "weil sie im Vergleich zu ihren besseren Alternativen den meisten Gewinn abwerfen".
Der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, Wolf-Dieter Ludwig, sieht ebenfalls die Gefahr für ein schädliches Anreizsystem: "Wenn es diese MVZ gibt, wo Ärzte quasi die Rezepte nur an eine Apotheke überreichen, besteht zumindest theoretisch die Möglichkeit, dass ein Arzt eher Medikamente verschreibt, die einen besonders hohen Profit versprechen als Medikamente, die möglicherweise genauso gut wirksam sind, aber wo der Profit deutlich niedriger ist, weil diese Präparate schon lange im Markt sind." Um diese Interessenkonflikte zu verhindern, hält Ludwig eine strikte Trennung von Arztpraxen und Apotheken für unerlässlich.
Verdacht der Bestechung und des Betrugs
Um diese strikte Trennung geht es unter anderem auch in einem Ermittlungsverfahren, bei dem seit 2019 gegen drei Apotheker ermittelt wird, die mit dem Hamburger Herstellungsbetrieb Zytoservice in Verbindung stehen. Es geht auch um den Verdacht der Bestechung im Gesundheitswesen und des Betrugs. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Es ist eines der größten derzeit laufenden Ermittlungsverfahren im Gesundheitswesen. Im Fokus stehen mehr als 40 Personen, auch Ärztinnen und Ärzte, die im Verdacht stehen, dass sie sich haben bestechen lassen. Dabei soll Zytoservice widerrechtlich Medizinische Versorgungszentren gegründet haben, obwohl das Apothekern seit 2012 nicht mehr erlaubt sei.
Direkter Zugriff auf lukrative Rezepte?
Laut Staatsanwaltschaft sei es den Beschuldigten im Prinzip darum gegangen, dass die Firma Arztsitze erwerbe, indem sie sich an MVZ beteilige - um damit gegen wirtschaftliche Vorteile einen direkten Zugriff auf den Arzt - und damit auch auf lukrative Rezepte - erhalten zu können. Weil ihnen aber bewusst gewesen sei, dass genau das nicht erlaubt ist, hätten sie beschlossen, diese Vorschrift zu umgehen und ihre Beteiligung zu verschleiern, glaubt die Staatsanwaltschaft.
Dafür hätten die beschuldigten Apotheker beschlossen, über Zytoservice eine Mini-Klinik zu kaufen: die Stadtteilklinik Hamburg. Das Magazin "Stern" berichtet, später seien die Beteiligungen mehrfach verändert und die Konstruktion umgebaut worden, so dass die Apotheker, die Zytoservice ursprünglich gegründet hatten, zumindest auf dem Papier weiter weg rückten von der Beteiligung an der Stadtteilklinik.
Die Stadtteilklinik betreibt mittlerweile mindestens 19 Medizinische Versorgungszentren (MVZ) in Deutschland. Die gewollte Trennung von Arztpraxis und Apotheke werde so praktisch umgangen, kritisiert auch der Bundesgesundheitsminister.
Entlastende Gutachten
Eine Anwältin weist für zwei der drei Apotheker die Vorwürfe als ungerechtfertigt zurück. Es handle sich lediglich um eine Ermittlungshypothese der Staatsanwaltschaft, die durch kein Ermittlungsergebnis bestätigt worden sei. Es gebe zahlreiche entlastende Gutachten. Man gehe von einer Verfahrenseinstellung aus. Sämtliche MVZ hätten schließlich alle notwendigen behördlichen Genehmigungen erhalten. Der dritte beschuldigte Apotheker antwortete nicht auf eine entsprechende Anfrage.
Unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit bestätigt der Verband der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker (VZA) eine Zunahme großer Herstellungsbetriebe in der Branche. Das wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) hat exklusiv für NDR, WDR, SZ und Monitor ausgerechnet, wie viele Krebsinfusionen in Deutschland inzwischen nicht mehr in der Apotheke vor Ort hergestellt werden und stattdessen aus einem großen Herstellbetrieb stammen, teilweise verbunden mit viel längeren Anfahrtzeiten. Im vergangenen Jahr sei bundesweit mehr als ein Drittel aller Krebsinfusionen aus solch großen Herstellungsbetrieben gekommen.
Der Verband der Zytostatika-Hersteller sieht die Umwälzungen in der Branche kritisch. Eine große Zahl von Zytostatika-Apotheken habe in den vergangenen Jahren aufgeben müssen, weil die Ärzte ihre Rezepte großen Herstellbetrieben oder Krankenhausapotheken gegeben hätten, sagt VZA-Präsident Klaus Peterseim. Über die Motive wolle er nicht spekulieren.
Auch Peterseim warnt vor Gefahren für die Patienten: "Je mehr von diesen selbstständig und unabhängig geführten niedergelassenen Apotheken vom Markt verschwinden, deren Herstellungslabore für die Versorgung der Bevölkerung nicht mehr zur Verfügung stehen, umso schlechter, umso gefährlicher für die Menschen, die auf so etwas angewiesen sind."