Die Grund- und Oberschule in Burg (Spreewald).
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Rechtsextreme Vorfälle in Brandenburg Hitlergruß auf dem Abiball

Stand: 25.05.2023 14:19 Uhr

Im April machten Lehrer aus Brandenburg mit einem Brandbrief auf rechtsextreme Vorkommnisse im Umfeld einer Schule aufmerksam. Inzwischen wurden weitere Fälle gemeldet. Auch andere Schulen sind laut rbb-Recherchen betroffen.

Von Silvio Duwe und Anne Grandjean, rbb

Als anonyme Lehrer im April in einem Brandbrief rechtsextreme Vorfälle an einer Schule in Brandenburg anprangern, beginnt das Rätselraten. Auf welche Schule beziehen sich die Verfasser? Das Schreiben löst bundesweit Entsetzen aus.

Damals ist noch nicht bekannt, dass sie die Oberschule in Burg (Spreewald) meinen. Es geht um Hitlergrüße, um Hakenkreuzschmierereien und rassistische Beschimpfungen. Bianca B. kam das bekannt vor. "Es gab Vermutungen, dass es unsere Schule sein könnte", sagt sie dem ARD-Politikmagazin Kontraste und rbb24 Recherche. "Burg ist aus meiner Sicht kein Einzelfall."

Ihr Sohn Jakob besucht die neunte Klasse des Erwin-Strittmatter-Gymnasiums im rund 40 Kilometer entfernten Spremberg. Er berichtet von rechtsextremen Vorfällen im Umfeld seiner Schule. "Schüler kleben sich Klebestreifen als Hitler-Bart auf und machen Hitlergrüße und die anderen grüßen zurück." Menschen mit dunklerer Hautfarbe würden als Ratten beschimpft und ihnen gesagt, dass sie "zurückgehen" sollen. "Leute, die sich dagegen positionieren, werden ausgegrenzt", sagt Jakob.

Rechtsextreme Jugendkultur

Auch in Spremberg sollen Schüler Hakenkreuze an Wände geschmiert und in Tische geritzt haben, wie weitere Jugendliche erzählen, mit denen Kontraste und rbb24 Recherche gesprochen haben. Zudem liegen Screenshots aus der dem internen Whatsapp-Chat einer Klasse vor.

In der Gruppe teilen Schüler etwa ein Hitler-Meme mit der Aufschrift: "Du bist lustig, dich vergas ich zuletzt". Sie stimmen darüber ab, ob Weiße das N-Wort sagen dürften. Nicht nur ist die Mehrheit der an der Umfrage Teilnehmenden dafür, ein Drittel stimmt für die wohl mindestens genauso rassistische Antwortoption "monkey", also "Affe". Allein im zweiten Schulhalbjahr wurden dem zuständigen Schulamt in Cottbus nach eigenen Angaben 15 rechtsextreme Vorfälle gemeldet.

Meinungsführer und Mitläufer

Wer mit Jugendlichen der beiden Schulen in Burg und Spremberg spricht, dem offenbart sich ein Muster. Da gebe es diejenigen, die gefestigte rechtsextreme Meinungen vertreten. Unter den Gleichaltrigen sollen sie als "cool" gelten. "Die zeigen ihre Positionen, die zeigen, wozu sie fähig sind. Davor haben einige Schüler Angst", sagt eine Burger Schülerin. "Und manche machen mit, weil sie wissen: Wenn nicht, werden sie ausgeschlossen oder gar beleidigt." Immer wieder ist die Rede von "Mitläufern".

Erwin-Strittmatter-Gymnasium in Spremberg

Am Erwin-Strittmatter-Gymnasium in Spremberg wurden rassistische Memes geteilt und Hakenkreuze geschmiert.

Für manche könnte der Rechtsradikalismus ein Weg sein, um dazuzugehören, sich als Teil einer Gruppe zu fühlen. Ein Foto etwa, das im April durch Medienberichte über die Vorfälle in Burg bekannt wurde, zeigt Schüler der Oberschule, wie sie mit dem Hitlergruß für die Kamera posieren. Sie sind erst zwischen 13 und 15 Jahre alt. Entstanden ist das Bild auf einem Sportplatz im Cottbuser Ortsteil Sielow. Die Burger Schulleiterin teilte am Dienstag mit, sie habe sich dazu entschieden, keine Anfragen von Medien zu beantworten.

Schüler, die den Hitlergruß zeigen

Kontraste und rbb24 Recherche liegen zwei weitere Fotos aus dem unmittelbaren Umfeld einer Schule vor, diesmal geht es um ein Cottbuser Gymnasium. Die Aufnahmen sollen beim Abiball entstanden sein. Wieder zeigen junge Menschen den Hitlergruß.

"Rechtsextreme Ideologie wird in der Region seit Generationen weitergegeben", sagt Anne Brügmann, Projektkoordinatorin der "Opferperspektive" in Potsdam. Der Verein berät Menschen, die von rechter Gewalt betroffen sind. Jene, die zu Beginn der 1990er-Jahre an rassistischen Ausschreitungen und Angriffen auf eine Geflüchtetenunterkunft beteiligt waren, seien ab 2015 wieder bei rechten Kundgebungen mitgelaufen - teilweise mit ihren Kindern, so Brügmann.

Heute stünden Väter und Söhne mitunter gemeinsam wegen rechter Straftaten vor Gericht. Brügmann führt das unter anderem auf die mangelhafte Aufarbeitung der "Baseballschlägerjahre" zurück, wie die Nachwendezeit in Ostdeutschland wegen der rechten Gewalt genannt wird.

Rechtsextreme in der Mitte der Gesellschaft

Im Süden Brandenburgs ist die rechtsextreme Szene nicht nur ideologisch fest verankert und beeinflusst Jugendliche. Die Ideologie dringe vor bis in die Mitte der Gesellschaft, sagt Brandenburgs Verfassungsschutzchef Jörg Müller. Eine Verbindung aus alten Rechtsextremisten, neuen Rechten, Hooligans, Türstehern und Gewerbetreibenden ergebe ein "toxisches Gebilde". In Deutschland gebe es so etwas nicht häufig.

Nach Informationen von Kontraste und rbb24 Recherche sollen zum Beispiel Schüler der Oberschule in Burg ihren Abschluss im vergangenen Jahr im "Deutschen Haus" gefeiert haben - auf den ersten Blick eine gepflegte Touristengaststätte mit Biergarten und Veranstaltungssaal.

Abiball in einschlägiger Gaststätte

Betreiber ist Daniel G. Fotos zeigen ihn 2018 auf einer als "Trauermarsch" beworbenen rechtsextremen Kundgebung in Chemnitz und bei der Anreise zum "Kampf der Nibelungen", einem rechtsextremen Kampfsportevent im sächsischen Ostritz. Offenbar pflegt G. bis heute Kontakte in die rechtsextreme Kampfsportszene. Anfang Mai dieses Jahres reiste G. zur "European Fight Night" nach Ungarn, wo hunderte Neonazis zusammenkamen.

Auch das Deutsche Haus wird als Versammlungsort der Szene genutzt. So fand dort im Sommer 2022 ein Verlagstreffen des Jungeuropa-Verlags statt. Die Referenten stammten aus dem Umfeld des "Instituts für Staatspolitik", der "Identitären Bewegung" und des Vereins "Einprozent" - allesamt vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistische Bestrebungen eingestuft. "Das Deutsche Haus in Burg ist für uns ganz klar ein Anlaufpunkt für Rechtsextremisten", sagt Jörg Müller, Brandenburgs Verfassungsschutzchef. "Es wird ja betrieben von einem bekannten Rechtsextremisten."

Zwar soll die Oberschule in Burg mittlerweile ein Schreiben verfasst haben, laut dem sie eine erneute Abschlussfeier im Deutschen Haus nicht gutheiße. Die Entscheidung darüber liegt am Ende aber offenbar bei den Eltern.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 26. Mai 2023 um 10:20 Uhr.