Benachteiligte Stadtviertel Raus aus der Armut
In benachteiligten Stadtteilen wie dem Rollbergeviertel in Berlin-Reinickendorf vererbt sich die Armut über die Generationen. Doch es gibt Wege heraus, wie das Mathildenviertel in Offenbach zeigt.
In Berlin gibt mehr als 40 Quartiere, in denen besonders viele arme Menschen wohnen, darunter das Rollbergeviertel im Bezirk Reinickendorf mit gut 6000 Einwohnern und einem Migrationsanteil von 48 Prozent. Die Kinderarmut liegt mit 60 Prozent weit über dem Berliner Durchschnitt von knapp 27 Prozent. Die Zukunftschancen der Kinder sind dort begrenzt, Armut "vererbt" sich in vielen Familien.
Im Mathildenviertel in Offenbach hatte man lange Zeit mit ähnlichen Problemen zu kämpfen: arme Familien, mehr als 90 Prozent mit Migrationshintergrund, Sprachschwierigkeiten der Kinder bei der Einschulung. Für die gut 9600 Einwohner war es lange ein "Teufelskreis" - der aber inzwischen erfolgreich durchbrochen wurde.
Berliner Staatssekretärin verspricht Hilfe
Berlins Staatssekretärin Ülker Radziwill (SPD) ist schon zum dritten Mal im Rollbergeviertel in Reinickendorf. Sie ist bei der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung für die Quartiersentwicklung verantwortlich. Dass sich in der Siedlung etwas ändern muss, weiß sie. Das Viertel verwahrlost immer mehr: Die Häuser wurden seit Jahrzehnten nicht saniert, Spielplätze und Grünanlagen brauchen dringend eine Überholung. Ratten und Müll sind ein Problem. Seit mehr als 20 Jahren regiert die SPD Berlin, in dieser Zeit ist das Viertel immer weiter abgerutscht. Im Interview mit rbb24-Recherche verspricht die Staatssekretärin mehr Unterstützung für die Anwohner, wie schon Bausenator Andreas Geisel vor einigen Monaten.
Offenbach bezieht Einwohner ein
Marcus Schenk ist stolz auf das, was sich im Offenbacher Mathildenviertel verändert hat. Ob Straßen, Plätze oder Häuser, hier habe sich alles verbessert, sagt er. Neue Wohnungen entstanden, darunter Eigentums- und Studentenwohnungen. In einer alten Druckerei wurde Platz geschaffen für StartUps, das lockte junge Leute ins Mathildenviertel.
"Zur Jahrtausendwende war das Quartier total runtergekommen", berichtet Schenk, der sich hier mehr als zehn Jahre um das Quartiersmanagement gekümmert hat. "Es gab viele Brachen, Dreck, Drogen und Zerstörung." Inzwischen habe sich das Viertel jedoch zu einem Wohnort entwickelt, der geradezu hip sei. Die Kinderarmut - eines der wichtigsten Indizien für die soziale Situation der Bewohner - geht immer weiter zurück. Zurückzuführen sei das nicht zuletzt auf ein lebendiges Quartiersmanagement. "Es dauerte etwa drei Jahre, bis wir das Vertrauen der Menschen im Kiez hatten", sagt er über die Anfänge. Heute gibt es in einem Gemeindezentrum Sprachkurse, Lebensberatung, Kochabende, Graffiti-Workshops. Viele dieser Aktivitäten entstanden gemeinsam mit den Anwohnerinnen und Anwohnern.
Berlin: Kampf auf verlorenem Posten
Auch im Rollbergeviertel kümmern sich Mieterinnen und Mieter um ihr Umfeld, doch es ist mehr der Versuch zu retten, was noch zu retten ist. Das versprochene Gemeindezentrum lässt auf sich warten. Im Kirchenzentrum "Face" versuchen zwei Sozialarbeiterinnen mit Teilzeitstellen den hohen Beratungsbedarf Tausender Menschen zu stillen. "Wir sind zu wenige", sagt Sozialarbeiterin Dorothea Schmidt, "und wir haben nicht genügend Räume".
In den Überresten der Grünanlagen kämpft Rentnerin Renate Thiele gegen die Verwahrlosung. Sie sammelt regelmäßig Müll - auf die Stadtreinigung oder die städtische Wohnungsbaugesellschaft GEWOBAG, der seit 2019 die Mehrzahl der Gebäude gehört, setzt sie keine Hoffnung mehr. "Ich kann es nicht ertragen, dass das Viertel immer mehr verschmutzt", sagt sie.
Das Quartiersmanagement im Rollbergeviertel ist seit 2021 im Aufbau. Land und Bezirk wollen hier einen Begegnungsort für die Menschen schaffen und lokale Initiativen unterstützen. Auf die Frage, wann es hier richtig losgehen soll, antwortet Staatssekretärin Radziwill: "Es braucht natürlich immer auch ein bisschen Zeit, bis sich das Team zusammenstellt." An einem Konzept, das jetzt umgesetzt werden soll, sei auch schon geschrieben worden.
Offenbach: Deutsch lernen in der Kita
Der Migrationsanteil im Mathildenviertel beträgt mehr als 90 Prozent. In den Familien unterhält man sich meist in der Muttersprache der Eltern. Für die Kinder ist das spätestens in der Schule ein Handycap, dass sich langfristig auswirken kann. Die Kommune ist aktiv dagegen vorgegangen: Für die Drei- bis Sechsjährigen beträgt die Kita-Quote 98 Prozent, in fast allen städtischen Kitas gibt es zusätzliche Sprachunterstützung. Den Erfolg spüren Eltern wie Tuba Aydin: "Meine Tochter ist seit September hier in der Kita und hat nur Türkisch gesprochen. Mittlerweile spricht sie sogar mit mir Deutsch."
All das kostet Geld, weiß Susanne Pfau, die Leiterin des Kommunalen Jobcenters "Mainarbeit". Geld, das die verschuldete Kommune eigentlich nicht hat. Doch die Stadt hat Prioritäten gesetzt. "Trotz knapper Kassen wird am Aufbau und Ausbau von neuen Kindertagesstätten nicht gespart", sagt Susanne Pfau. "Dafür wurde woanders gekürzt. Tatsächlich leistet sich Offenbach kein Theater, kein Hallenbad mehr und für die Straßenerneuerung steht auch nicht so viel Geld zur Verfügung."
Berlin: Familien bleiben in der Armut stecken
Im Berliner Rollbergeviertel dagegen klagen Eltern, Sozialbetreuer, Lehrer und Lehrerinnen über fehlende Kitaplätze. 70 Prozent der Kinder in der "Grundschule in den Rollbergen" haben Sprach- oder Lernprobleme bei der Einschulung. "Ich gebe mir große Mühe", sagt Lehrerin Angela Garling, "und ich mag meine Arbeit sehr, aber ich kann das nicht ausgleichen". Sie sieht, wie sich die Probleme von Generation zu Generation fortsetzen. "Ich habe schon wieder Kinder von Kindern, die ich früher hatte und da ist es das gleiche Prinzip, das sich fortsetzt." Die Eltern können den Kindern wenig mitgeben auf ihrem Weg in die Zukunft: "Sie kommen aus der Armut nicht raus."
Offenbach: Jobcenter als Motor
In Offenbach gibt es seit gut 20 Jahren ein breit angelegtes Förderpaket für Menschen, die Unterstützung brauchen. Der Anstoß kam vom Jobcenter. "Die Arbeitslosenquote war hoch", sagt die heutige Leiterin Susanne Pfau. "Die Stadt beschloss, nicht nur Sozialhilfe an diejenigen zu zahlen, die arbeitslos sind, sondern sie besser zu unterstützen, um sie wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren."
Ein "Rund-um-Paket" zu dem auch gehört, dass notorische Schulschwänzer aus dem Regelschulbetrieb genommen und in kleinen Gruppen unterrichtet werden. Langzeitarbeitslose erlernen im Sozialkaufhaus Luise den Umgang mit Kundinnen und Kunden und werden auf die Rückkehr in den Arbeitsmarkt vorbereitet. Oder sie arbeiten als sogenannte Rundgänger, erfassen und sammeln Müll im Quartier - um wieder einen geregelten Alltag zu haben. Arbeitslosigkeit und Kinderarmut sind immer noch hoch, aber durch all diese Maßnahmen konnte der Trend umgekehrt werden. Beides geht seit Jahren zurück. Das Viertel wurde auch wieder attraktiv für neue Bewohner, die soziale Mischung ändert sich langsam.
Im Berliner Rollbergeviertel wartet man indes auf konkrete Maßnahmen: Gemeindezentrum, mehr Kita-Plätze - all dies sei in Planung.