Fragen und Antworten Was ist die Anastasia-Bewegung?
Sie geben sich ökologisch und naturnah, folgen aber einer gefährlichen Ideologie. Was steckt hinter der Anastasia-Bewegung, die auf russischen Romanen basiert und antisemitische Vorurteile bedient?
Was ist die Anastasia-Bewegung und woher kommt sie?
Die Bewegung kommt aus Russland und basiert auf einer zehnbändigen Romanbuchreihe des russischen Autors Wladimir Megre. Er berichtet in diesen Büchern von der fiktiven Begegnung mit einer Frau namens Anastasia. Sie ist eine erfundene Person - aber er beschreibt alles so, als wäre es real. Als wäre Anastasia echt. Das geht so weit, dass er sogar mit ihr ein Kind gezeugt haben will. Russland ist also der Ursprungsort dieser Bewegung, und es gibt auch einige russische Gurus, die neben dem Autor wichtig sind.
Gibt es Antisemitismus und Rassismus in den Anastasia-Büchern?
"Die Bücher, auf die diese Bewegung zurückgeht, transportieren kulturellen Rassismus und Antisemitismus. Er kommt eher beiläufig hinzu, um beispielsweise zu erklären, was an der modernen Welt alles schiefläuft", sagte Rechtsextremismus-Experte Matthias Quent dem rbb im Frühjahr 2019. "Das sind ideologische Muster, die wir auch aus dem Nationalsozialismus kennen. In denen wird erklärt, die moderne Gesellschaft sei dem Untergang geweiht und wir müssten uns zurückziehen auf die heimatliche Scholle oder auf Familienlandsitze. Durch die Hintertür wird dann argumentiert, wer für diese angeblichen Zerstörungen verantwortlich sei und wie das richtige, angeblich natürliche Leben - nämlich auf eine Ordnung der Ungleichheit zwischen 'Rassen' - auszusehen habe."
Wie verbreitet ist Anastasia?
Bundesweit soll es 17 Siedlungsprojekte geben, allein in Brandenburg existieren mindestens vier. Am weitesten fortgeschritten ist das Siedlungsprojekt "Goldenes Grabow" in Ostprignitz-Ruppin. Nach Recherchen des ARD-Magazins Kontraste gehören den Siedlern dort mindestens 84 Hektar Land.
Wie werden Mitglieder rekrutiert?
Wer im 2015 gegründeten "Goldenen Grabow" siedeln will, muss sich in einem langen Aufnahmeprozess bewähren. Erfolgreiche Bewerber erhalten ein kleines Stück Land in der Nähe eines Wohnhauses, auf dem die Neuankömmlinge ein Jahr lang beweisen müssen, dass sie es ernst meinen mit dem Leben als Selbstversorger. Wollen sie danach auf ein größeres Grundstück umziehen, um dauerhaft in Grabow zu bleiben, müssen sie sich darum erneut bewerben. Die strikten Regeln sorgen dafür, dass die Gruppe in Grabow sich nur langsam vergrößert.
Doch auf schnelles Wachstum kommt es den Siedlern eigentlich nicht an. Sie denken über Generationen hinweg. Was sie heute aufbauen, sehen sie als Grundstein für etwas, das in 500 Jahren ausgereift sein wird. Unter sich zu sein und den Nachwuchs im eigenen Geiste zu erziehen, ist der erste Schritt. Zugleich ermöglicht die Langsamkeit den Gründern, genau auswählen zu können, wer im Dorf auf eines der bereits gekauften Grundstücke ziehen darf. So ist sichergestellt, dass tatsächlich nur Gleichgesinnte ins "Goldene Grabow" ziehen.
Hat Anastasia Kontakte in die rechte Szene?
Ja. "Personelle und strukturelle Überschneidungen zu anderen rechtsradikalen Milieus, zum Beispiel zu den Identitären oder auch dem sogenannten Reichsbürgermilieu, sind keine Überraschung. Denn sie alle predigen den Ausstieg aus der liberalen Demokratie. Sie gehen von einem dekadenten Niedergang der liberalen Gesellschaft aus und wollen eine Neuerschaffung einer angeblich besseren Ordnung vorantreiben - die nach ethnischen, völkischen und nach rassistischen Kriterien strukturiert ist", sagte Rechtextremismus-Experte Quent 2019 dem rbb.
Kontakte in die rechte Szene lassen sich unter anderem durch Fotos des Anastasia-Festivals 2015 belegen, welches auf dem Gelände des "Goldenen Grabow" stattfand. So spielte Sonnhild Sawallisch in der Band, die dort anlässlich einer Hochzeit musizierte. Sawallisch trat bereits auf rechten Demos zur Asylpolitik auf und gehört zum sogenannten "Bund für Gotterkenntnis". Verfassungsschutzbehörden stufen den Verein als rassistisch, antisemitisch und antidemokratisch ein. Im Oktober 2020 haben Recherchen des ARD-Magazins Kontraste weitere Verbindungen zu Rechtsextremen aufgezeigt.
Welche rechte Strategie verfolgt Anastasia?
"Die Strategie ist, durch Einsickern, durch Normalisierung auch bisher unauffällige Bürger von rechtsradikalen und völkischen Ideen zu überzeugen. Bis hin, dass man versucht, sie für eine Dorfwehr zu mobilisieren, also Parallelstrukturen und parastaatliche Strukturen aufzubauen. Diese sollen zum einen als Protestbewegungen gegen die offizielle Politik fungieren, aber zum anderen auch Rückfallstellungen sein. Sie sollen eigene Strukturen bilden, aus denen heraus dann, […] auch organisierte Angriffe auf die politische Ordnung stattfinden können. Das ist erklärte Strategie, das ist eine Gefahr", so Rechtsextremismus-Experte Quent.
Diese Strategie trage sich bis hinein in die AfD. Björn Höcke schreibe, er träume von entsprechenden Dorfgemeinschaften in Ostdeutschland, die eines Tages zu Ausfallstellungen werden sollen, um die moderne Demokratie anzugreifen und abzuschaffen. "Es gibt große Berührungspunkte von diesen völkischen, zum Teil rechtsesoterischen Bewegungen und Sekten bis hinein in die radikale und populistische Rechte in Deutschland", so Quent.
Kann es Anhänger geben, die die politische Ausrichtung nicht bemerken?
"Man kann sich nicht über Wochen, Monate oder gar Jahre zurückziehen auf Familienlandsitze und in einem solchen ideologischen Umfeld leben und wirken, ohne mitzukriegen was dort politisch transportiert wird", sagte Quent 2019 dem rbb. "Wie die Außenwelt und die moderne Gesellschaft verächtlich gemacht werden. Wie Minderheiten zum Teil diskriminiert und wie Verschwörungstheorien geprägt werden. Und wie Verschwörungsdenken vermittelt wird, um darzustellen, warum die eigene Lebensweise die richtige sei - und alle anderen falsch. Wer dort mitmacht, stimmt zumindest schweigend solchen Ideologien zu."
Warum funktioniert diese harmlos wirkende Fassade von Anastasia so gut?
"Ich denke, dass die Anastasia-Bewegung ein ganz großes Bedürfnis in unserer Zeit bedient", sagte der Sektenbeauftragte der Evangelischen Kirche, Matthias Pöhlmann, im Gespräch mit Kontraste. "Es ist die Sehnsucht nach einer Naturnähe, nach ökologischem Wirtschaften, nach einem ein Ausstieg aus dieser modernen Gesellschaft. Das ist aber nur die äußere Fassade dieser Bewegung. Die Nebenwirkungen und Risiken dürfen nicht unterschätzt werden."