Unterhaltungskonzern Eventim Expansion am Kartellamt vorbei
Der Ticket- und Veranstaltungskonzern Eventim ist Marktführer in Deutschland. BR-Recherchen zeigen, wie das Unternehmen am Kartellamt vorbei seine Marktstellung ausgebaut hat.
Seeed, Scooter, Max Herre, Nura, Patrice und zahlreiche weitere Künstlerinnen und Künstlern sind im Sommer 2020 auf der Homepage der neu gegründeten All Artists Agency zu sehen. Man biete eine "ganzheitliche und vollumfängliche Betreuung" nationaler und internationaler Acts, heißt es dort.
Die Firma ist zwar neu auf dem Markt, in ihr steckt aber viel Erfahrung: Der Ticket- und Veranstaltungskonzern CTS Eventim ist mit an Bord und viele der Mitarbeitenden waren zuvor bei einer anderen Agentur, der Four Artists Booking (FAB).
Das Besondere daran: 2017 wollte Eventim die Four Artists übernehmen. Das Bundeskartellamt untersagte dies. Dennoch hält Eventim 51 Prozent der Anteile an der All Artists Agency - in die Teile der ehemaligen Four-Artists-Belegschaft wechselten.
Booking Agentur der "Fantastischen Vier"
Gegründet wurde die Four Artists Agentur 1997 von den Mitgliedern der HipHop-Gruppe "Die Fantastischen Vier" sowie zwei weiteren Partnern. Die Agentur vertrat circa 300 nationale und internationale Artists.
Im März 2017 veröffentlicht die CTS Eventim Gruppe eine Pressemitteilung. Eine Tochterfirma des Konzerns übernehme "die Mehrheit an Booking-Agentur und Veranstalter FOUR ARTISTS". Wenige Zeilen später findet sich der Hinweis: "Der Vollzug der Transaktion steht noch unter dem Vorbehalt der Freigabe durch die zuständigen Kartellbehörden."
Kartellamt blockt
Diese Freigabe wird das Bundeskartellamt nie erteilen. "[Das] angemeldete Zusammenschlussvorhaben wird untersagt", heißt es in der Begründung der Behörde. "Eine marktbeherrschende Stellung von CTS besteht sowohl auf der Veranstalterseite als auch auf der VVK-Seite des bundesweiten Marktes für Ticketsystemdienstleistungen." Eine Übernahme der Four Artists würde zu "einer erheblichen Behinderung des Wettbewerbs" führen. Das Unternehmen würde Kontrolle über "weitere, relevante Ticketkontingente erhalten" und könne so seine "Marktposition weiter ausbauen", schreibt das Kartellamt in einer Meldung.
Smudo von den "Fantastischen Vier" erhebt schwere Vorwürfe gegen Eventim.
"Der Deal war futsch", sagt Michael Bernd Schmidt, bekannt unter dem Namen "Smudo" von den "Fantastischen Vier" im BR-Interview: "Wir konnten bei Eventim nicht unterschreiben und sind unabhängig geblieben." Dann kommt der Herbst 2019.
Zuerst kündigt der Geschäftsführer der Four Artists Booking Agentur, und später verlassen diese, innerhalb weniger Tage, weitere 27 der 45 Mitarbeitenden. Das geht aus staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsunterlagen hervor, die BR Recherche einsehen konnte. Sie treten Jobs bei der All Artists Agency an.
Strafermittlungen: Vorwurf der Untreue
Im Zuge dieses Vorgangs ging eine Strafanzeige bei der Berliner Staatsanwaltschaft wegen des Vorwurfs der Untreue und Verletzung von Geschäftsgeheimnissen ein. Beschuldigt waren ehemalige Mitarbeiter der Four Artists, sowie weitere Einzelpersonen, darunter auch der CEO von Eventim, Klaus-Peter Schulenberg.
Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelte und stellte das Verfahren im April 2021 ein, da "nach den durchgeführten Ermittlungen kein hinreichender Tatverdacht gegen die Beschuldigten" bestehe. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin bestätigte dies in einem Schreiben, das dem BR vorliegt. Darin heißt es jedoch auch:
"Tatsächlich fällt nach außen hin auf, dass nach Scheitern der geplanten Übernahme der Four Artists durch die CTS Eventim Gruppe durch die Untersagungsverfügung des Bundeskartellamtes, eine faktische Verlagerung von Teilen der Gesellschaft auf die […] All Artists Agency stattgefunden hat."
Es wäre eine Angelegenheit des Bundeskartellamtes gegebenenfalls dem Aspekt der Umgehung nachzugehen, so die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Begründung weiter.
Smudo: Geheime Absprachen?
Michael Bernd Schmidt alias Smudo vermutet hinter den Vorgängen geheime Absprachen. Im BR-Interview sagt er: "Innerhalb von drei Monaten ist der gesamte Laden abgeflossen in einen neuen Laden, der von jemandem gemacht wurde, dem das Kartellamt gesagt hatte, er soll es nicht machen."
Eventim antwortet auf einen Fragenkatalog des BR nicht. Weitere Verfahrensbeteiligte betonen, dass es keine geheimen Absprachen gegeben habe und die Staatsanwaltschaft kein strafbares Verhalten festgestellt hätte.
Kartellamt: Verfügung "ein Stück weit unterlaufen"
Das Bundeskartellamt schreibt auf Anfrage: "Für den Wettbewerb ist es in der Tat bedauerlich, dass die Wirkung der Untersagungsverfügung […] offenbar ein Stück weit unterlaufen werden konnte."
Der Präsident des Bundeskartellamtes, Andreas Mundt, bezeichnet den Vorgang im BR-Interview als "ärgerlich". "Das ist ein Tatbestand, der letzten Endes vom Kartellrecht und vom Wettbewerbsrecht nicht erfasst ist", stellt er fest. Eine Neugründung sei nicht anmeldepflichtig. "Das ist nichts, was wir überprüfen können."
Eventim: Eine Macht auf dem Live-Markt
Der Konzern CTS Eventim ist im Event-Business als Tickethändler, Veranstalter und Betreiber großer Veranstaltungsstätten aktiv. Experten sehen Anhaltspunkte für eine "vertikale Marktintegration", da es Eventim möglich sei in vielen Bereichen der Live-Unterhaltung wertschöpfend tätig zu sein.
Im Jahr 2017 stellte das Bundeskartellamt fest: "Über das CTS Eventim System werden 60 - 70 Prozent aller Tickets vertrieben, die in Deutschland über Ticketsysteme verkauft werden." Man könne sagen, so Kartellamtspräsident Mundt, dass "Eventim auf den Märkten, auf denen es aktiv ist, eine sehr starke Stellung hat und teilweise auch marktbeherrschend" sei.
"Wettbewerb zentrales Moment"
"Wettbewerb ist ein zentrales Moment der sozialen Marktwirtschaft", betont der Bundestagsabgeordnete Reinhard Houben (FDP). Verfügen Konzerne über eine vertikale Marktintegration, wie im Falle Eventims, dann "ist das ja eigentlich das klassische Beispiel, weshalb wir Kartellämter erfunden haben."
Der FDP-Politiker Houben sieht im Fall Eventim eine Störung des Wettbewerbs.
Neues Wettbewerbsrecht - neuer Hebel für Kartellamt?
Anfang dieses Jahres einigte sich das Bundeskabinett auf eine Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Es soll dem Bundeskartellamt weitreichendere Befugnisse zusichern. Eine erste Lesung fand am 26. Mai 2023 im Bundestag statt.
Wo zuvor ein "Missbrauch der Marktmacht" die Hürde zum Einschreiten des Kartellamtes war, soll zukünftig eine "Störung des Wettbewerbs" ausreichen, um eine Untersuchung einzuleiten und etwaige Maßnahmen verfügen zu können, erklärt Rupprecht Podszun, Professor für Kartellrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Durch die Novelle könnte das Kartellamt, eine Sektorenuntersuchung im Live-Markt anstrengen, so Podszun. Denn: "Eventim hat eine Stärke und damit auch ein Druckpotenzial auf andere, die für Märkte selten ist", sagt Podszun dem BR.
"Unsere Firma wurde geklaut"
Musiker Smudo ist davon überzeugt: "Unsere Firma wurde geklaut". Er beziffert den wirtschaftlichen Schaden auf 22 Millionen Euro. In diesem Zusammenhang ist ein zivilrechtliches Klageverfahren in Berlin noch anhängig.