Analyse zur Zschäpe-Erklärung Eine Aussage mit Risiko
Wird eine Verurteilung Zschäpes nach ihrer Aussage unwahrscheinlicher? Welches Risiko ist sie mit der Erklärung eingegangen? Eine Analyse zu Zschäpes Aussagen und den Folgen des NSU-Prozesses haben.
Es war ein selbstbewusster Auftritt von Beate Zschäpe im Gerichtssaal. Anders als sonst drehte sie den Kameras nicht den Rücken zu, sondern setzte sich auf ihren Platz, den Blick nach vorne. Zschäpe hat die Vorwürfe der Anklageschrift in zentralen Punkten zurückgewiesen:
- Sie sei nicht Mittäterin der zehn Morde und zwei Sprengstoffanschläge, weil sie nicht in Planung und Ausführung einbezogen gewesen sei. Erst im Nachhinein hätten sie die beiden Uwes über ihre Taten informiert, worauf sie jeweils empört und fassungslos reagiert habe.
- Sie sei nicht Mitglied einer terroristischen Vereinigung mit dem Namen NSU gewesen. Dieser Begriff sei eine Erfindung von Uwe Mundlos gewesen. Sie sei nicht Teil einer solchen Gruppe gewesen und habe den Inhalt der Bekenner-DVD nicht gekannt.
- Sie habe vor ihrer Flucht alles versucht, um auszuschließen, dass sich noch Menschen in dem Wohnhaus befinden, das sie kurz darauf anzünden würde.
- Bei den Banküberfällen räumte sie teilweise ein, davon gewusst und von dem Geld profitiert zu haben.
Wie war die Ausgangslage vor der verlesenen Aussage?
Vor der Aussage gab es die Vorwürfe der Anklageschrift und die im Gerichtssaal erhobenen Beweise, also Zeugen, Schriftstücke etc. Das OLG München hat die Anklage zugelassen, hielt also nach Aktenlage eine Verurteilung für wahrscheinlicher als einen Freispruch. Viele Beobachter hatten den Eindruck vom Verlauf der Verhandlung, dass das Gericht zu einer Verurteilung tendiere.
In welcher Situation ist das Gericht nun?
Eine Verurteilung wegen der angeklagten Taten ist weiterhin möglich. Dennoch steht nun die verlesene Aussage Zschäpes im Raum. Es stehen sich nun zwei komplett verschiedene Versionen gegenüber. Zschäpes Version kann das Gericht nicht einfach so vom Tisch wischen, sondern muss sich mit ihr auseinandersetzen. Natürlich ist es leicht, alles auf die beiden Uwes abzuschieben, die beide verstorben sind.
Aber: Zschäpe muss ja nicht beweisen, dass ihre Aussage stimmt. Der Grundsatz lautet umgekehrt: Das Gericht muss ihr die Schuld nachweisen. Das bedeutet: Für eine Verurteilung muss das Gericht begründen, welche anderen Beweise gegen Zschäpes Version sprechen. Der Begründungsaufwand für eine Verurteilung ist mit der heutigen Aussage für das Gericht gestiegen.
Was wäre nötig, um Zschäpe trotz ihrer Aussage zu verurteilen?
Das Gericht müsste genau begründen, welche anderen Beweismittel, also Zeugenaussagen oder Schriftstücke, gegen Zschäpes Version sprechen. Dazu werden Gericht, Bundesanwaltschaft und Nebenkläger in den kommenden Wochen sicher minutiös die bisherigen Prozesstage durchgehen und ihre Argumente auf den Tisch legen.
Das Gericht wird zu möglichen Widersprüchen nachfragen (auch wenn es nur schriftliche Antworten gibt). Man könnte zum Beispiel den Eindruck vieler Beobachter von einem eingespielten "Trio" berücksichtigen. Von einer Konstellation "zwei Männer plus eine Außenseiterin" haben die Zeugen nicht gesprochen. Oder: Kann man 13 Jahre so eng zusammenleben, ohne etwas von schwersten Straftaten mitzubekommen? Das Argument, "nach allgemeiner Lebenserfahrung kann das nicht sein", allein würde aber nicht reichen.
Muss das Gericht Zschäpes Version glauben?
Nein. Eine wichtige Rolle kann dabei spielen, dass Beate Zschäpe nicht selbst sprach, sondern eine Aussage verlesen ließ. Auch auf Nachfragen des Gerichts will sie über ihren Anwalt nur schriftlich antworten. Angeklagte werden laut Gesetz "vernommen", schriftliche Antworten auf Nachfragen sind ein eher ungewöhnlicher Schritt.
Weil sich das Gericht keinen persönlichen Eindruck vom Aussageverhalten der Angeklagten machen kann (wann kommt jemand ins Schlingern? Fallen Antworten spontan? etc.), darf es schriftlichen Antworten einen geringeren Beweiswert zumessen. Richter Götzl wies Zschäpe heute schon ausdrücklich darauf hin: Sie solle doch überlegen, ob sie nicht zumindest zu ihrem persönlichen Werdegang oder einzelnen Teilen der Vorwürfe selbst antworten wolle. Auf Fragen der Opfervertreter und der Bundesanwaltschaft will Zschäpe gar nicht antworten. Auch das kann man zu ihren Lasten auslegen.
Reicht die zugegebene "Mitwisserschaft" nicht für eine Verurteilung aus?
Zschäpe berichtete, die beiden Uwes hätten ihr im Nachhinein von den Morden berichtet. Das bloße Wissen von schweren Straftaten anderer Personen ist aber noch keine Mittäterschaft, da muss weit mehr hinzukommen. Eine andere Frage ist, ob man das bloße "Mitwissen" in diesem Fall für glaubhaft hält.
Wird die Aussage Zschäpe schaden?
Das kann man heute noch nicht abschließend sagen. Ein Risiko bringt die Aussage mit sich, insbesondere vor folgendem Hintergrund. In einem Antrag ans Gericht zur "Entpflichtung" der ursprünglichen drei Verteidiger sagte Rechtsanwalt Grasel, er habe bis heute nicht die Mitschriften der Verteidiger Heer, Stahl und Sturm von den ersten über 200 Prozesstagen erhalten.
Dazu muss man wissen: Im deutschen Strafprozess gibt es kein Wortlautprotokoll aller Zeugenaussagen. Jeder muss seine eigenen Notizen machen. Falls Grasel nicht auf anderem Wege Mitschriften vom Prozess bekommen hat, ist es mutig - ohne exakte Kenntnis der bisherigen Beweisaufnahme - der Mandantin eine Aussage zu empfehlen. Denn natürlich werden jetzt alle anderen Prozessparteien nach möglichen Widersprüchen zum bisherigen Prozessverlauf suchen. Andererseits kann die Aussage von Zschäpe auch manche bisherige Gewissheit erschüttern und den Nachweis der Taten zumindest schwieriger machen.