Interview zum Zapfenstreich "Wulff weiß nicht, was er angerichtet hat"
Die Diskussion um seine Privilegien scheint an Ex-Bundespräsident Wulff abzuperlen.Von ihm kommt kein Wort des Widerspruch und keine Geste des Zögerns. Unternehmensberater Dyckerhoff hält das nicht für klug. Im Interview mit tagesschau.de erklärt er, welche Chancen sich Wulff damit verbaut.
tagesschau.de: Die Bundeswehr erweist ihm noch einmal die Ehre und verabschiedet den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff mit einem Großen Zapfenstreich. Ein Akt der Großzügigkeit oder eher peinlich für alle Beteiligten?
Christoph Dyckerhoff: Das ist sicherlich sehr großzügig, aber ich denke, Wulffs Abschied sollte so klein und so bescheiden wie möglich ausfallen und der Historie seiner Amtszeit entsprechen. Alles Pompöse würde ich eher als peinlich bezeichnen. Einen Großen Zapfenstreich halte ich weder für sinnvoll noch angemessen.
Der Unternehmensberater Christoph Dyckerhoff ist darauf spezialisiert, Führungskräfte nach ethischen Gesichtspunkten auszuwählen und zu schulen. Dafür hat Dyckerhoff einen speziellen Ethik-Test entwickelt. So will er teure Fehlbesetzungen vermeiden helfen. Dyckerhoffs Credo: Ethik und Erfolg gehören zusammen.
tagesschau.de: Können Sie erklären, warum Wulff sich diesem Zeremoniell überhaupt aussetzt? Angesichts der Umstände wirkt das Ganze ja eher wie eine Tortur.
Dyckerhoff: Das Problem ist, dass Wulff immer noch nichts begriffen hat, weder im Kleinen noch im Großen. Nach seinem tiefen Fall handelt er weiter irrational und unsensibel. Wie sollte er auch anders? Ihm hat die Sensibilität vorher gefehlt, und sie fehlt ihm heute. Ich befürchte, dass er immer noch nicht erkannt hat, dass er einen ganz, ganz schlechten Job gemacht hat. Wulff hat keinerlei Abstand zu sich selbst. Er weiß nicht, was er angerichtet hat: Diesen riesigen Vertrauensverlust, der das Amt des Bundespräsidenten nachhaltig beschädigt hat. Aber diese Ignoranz zieht sich durch seine Person wie ein roter Faden. Er hat kein Bewusstsein für das, was passiert, für das, was die Menschen wollen, für das, was ein Staatsoberhaupt zu tun und zu lassen hat.
Scheinwelt als Normalität
tagesschau.de: Versucht er krampfhaft, so etwas wie "Normalität" herzustellen?
Dyckerhoff: Er versucht krampfhaft, seine Scheinwelt aufrecht zu erhalten. Er glaubt immer noch, dass ihm Unrecht widerfahren ist und dass die anderen schuld sind. Er glaubt auch immer noch, dass er einen guten Job gemacht hat. Und er versucht zu retten, was zu retten ist, und wenn es nur ein Stück Fassade ist.
Der Große Zapfenstreich ist die höchste Form der militärischen Ehrerweisung. Mit der Zeremonie werden nicht nur Verteidigungsminister bei ihrer Verabschiedung geehrt, sondern auch Bundespräsidenten oder Bundeskanzler.
Die Ursprünge gehen bis ins 16. Jahrhundert zurück. Wenn damals Landsknechte am Abend in das Lager zurückkehren sollten, ging ein Offizier mit einem Pfeifer und einem Trommler durch die Gaststuben und schlug mit seinem Stock auf die Zapfen der Fässer. Nach diesem Zapfenschlag durfte der Wirt keine Getränke mehr ausgeben.
Während der Freiheitskriege 1813 bekam der Brauch zunächst in Preußen zeremonielle Bedeutung. Die heute noch geltende Form mit Aufmarsch und Musik wurde erstmals 1838 in Berlin aufgeführt. An der Zeremonie bei Dunkelheit mit Spielmannszug und Musikkorps sind auch Soldaten mit Gewehr und Fackelträger beteiligt. Der Geehrte darf mehrere Musikwünsche äußern.
Bisher lehnte nur ein Bundespräsident die militärische Ehrerbietung ab. Gustav Heinemann verzichtete 1974 darauf. Er war ein Gegner der Wiederbewaffnung Deutschlands gewesen.
tagesschau.de: Nicht wenige Beobachter gehen davon aus, dass Wulff auf den Ehrensold finanziell angewiesen ist. Sehen Sie eine Chance, dass er beruflich wieder Fuß fasst?
Dyckerhoff: Natürlich sind heute Netzwerke in der Wirtschaft gefragt. Natürlich kennt Wulff einige hochinteressante Telefonnummern. Aber wir stellen immer wieder fest, dass gerade auch die Wirtschaft hohe ethische Maßstäbe setzt. Ich bezweifele, dass ein gut geführtes Unternehmen es sich erlauben kann, einen Mann mit einem solchen Lebenslauf einzustellen. Eine solche Einstellung würde den Ruf eines Unternehmens eher beschädigen als fördern.
Auch wenn die Meinungen über Wulffs Amtszeit auseinander gehen - fest stehen dürfte, dass sie kurz, aber heftig war. Das wird so schnell niemand vergessen. Ein Unternehmen, das im eigenen Haus auf einen hohen ethischen Standard setzt, kann sich nicht erlauben, so einen Mann wie Wulff mit dieser Vita als Berater oder ähnliches einzustellen.
"Wulff müsste erst die Kurve kriegen"
tagesschau.de: Aber hat nicht jeder eine zweite Chance verdient?
Dyckerhoff: Das ist im höchsten Maße davon abhängig, welchen Erkenntnisgewinn er selbst aus diesem ganzen Geschehen zieht. Wenn Wulff zum Beispiel selbst offiziell Stellung beziehen und Abbitte leisten würde, dann hätte er eine zweite Chance verdient. Aber dafür müsste er erst die Kurve kriegen.
tagesschau.de: Die Enttäuschung vieler über Wulffs Verhalten ist groß. Hätte all das vermieden werden können, wäre der Kandidat Wulff genauer unter die Lupe genommen worden?
Dyckerhoff: Wenn Sie ihn zu mir geschickt hätten, wäre all das nicht passiert. Da muss man nur bei Goethe nachlesen: Sage mir, mit wem du umgehst. Und ich sage dir, wer du bist. Wir spiegeln uns im Anderen. Es gibt auch eine gewisse Anziehungskraft zwischen gleichen oder ähnlichen Strukturen. Wenn wir Top-Positionen besetzen, schauen wir uns aus diesem Grund immer auch das private Umfeld an, die Familie und den Ehepartner oder Lebenspartner. Denn vom Umfeld können Sie auch auf die Person und ihre Persönlichkeit schließen.
Das Interview führte Ute Welty, tagesschau.de