Fragen und Antworten Was hat Wulff zu befürchten?
Für den Vorwurf der Bestechlichkeit hat das Landgericht Hannover keinen "hinreichenden Tatverdacht" gesehen, wohl aber für den der Vorteilsannahme im Amt. Aus diesem Grund wurde das Hauptverfahren gegen Ex-Bundespräsident Wulff und Filmproduzent Groenewold zugelassen. ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam beantwortet die wichtigsten Fragen zum Prozess in Hannover
Was wird Wulff und Groenewold in der Anklage vorgeworfen?
Von zahlreichen Vorwürfen ist aus strafrechtlicher Sicht in der Anklageschrift einer übrig geblieben. Filmproduzent Groenewold soll eine Hotelrechnung von Wulff in München und ein Essen auf dem Oktoberfest, insgesamt eine Summe von 753 Euro, übernommen haben. Wulff habe sich später beim Siemens-Chef für die finanzielle Förderung eines Groenewold-Filmprojekts eingesetzt. Wulff und Groenewold beteuern ihre Unschuld. Der ehemalige Bundespräsident bestreitet vor allem, von der Zahlung Groenewolds gewusst zu haben.
Welche strafrechtlichen Delikte stehen im Raum?
Es geht um Korruptionsdelikte. Die Staatsanwaltschaft hatte den Fall juristisch bei Wulff als "Bestechlichkeit" bewertet (§ 332 Strafgesetzbuch), bei Groenewold - quasi spiegelbildlich - als "Bestechung" (§ 334 Strafgesetzbuch). "Bestechlichkeit" bedeutet: jemand nimmt Geld an, als Gegenleistung für eine bestimmte, pflichtwidrige Amtshandlung. Ursprünglich hatte der Vorwurf der Staatsanwälte nur "Vorteilsannahme" bzw. "Vorteilsgewährung" gelautet. Dafür reicht eine Zahlung an einen Amtsträger "für die Dienstausübung", also zur allgemeinen "Klimapflege". "Bestechlichkeit" ist also eine Stufe schärfer. Das Landgericht Hannover hat deutlich zwischen beiden Delikten unterschieden und die Anklage Ende August 2013 nur wegen Vorteilsannahme (Wulff) und Vorteilsgewährung (Groenewold) zugelassen. Übrigens: die korrekte Formulierung lautet Vorteilsannahme, nicht Vorteilsnahme.
Warum hat das Landgericht den Vorwurf bei der Eröffnung des Hauptverfahrens juristisch herabgestuft?
Wenn die Anklage erhoben ist, prüft das Gericht im "Zwischenverfahren", ob es die Anklage zulässt und das Hauptverfahren eröffnet. Voraussetzung: nach Aktenlage muss aus seiner Sicht ein "hinreichender Tatverdacht" bestehen. Für das Delikt "Bestechlichkeit" hat das Landgericht dies abgelehnt. Das Gericht hält es nicht für wahrscheinlich, dass man eine konkrete mündliche Absprache zwischen Wulff und Groenewold nachweisen kann, nach der Groenewold die Hotelkosten übernimmt und Wulff sich im Gegenzug für das Filmprojekt einsetzt. Die Staatsanwaltschaft hatte als Indiz dafür den Entwurf einer E-Mail von Groenewold an Wulff vor der München-Reise mit der Bitte um Unterstützung des Filmprojekts bei Siemens angeführt. Nach Ansicht des Gerichts haben die Ermittlungen aber nicht sicher ergeben, dass diese Mail abgesandt wurde und in der Staatskanzlei angekommen ist.
Für eine "Vorteilsannahme" (Wulff) bzw. "Vorteilsgewährung" (Groenewold) bejaht das Landgericht aber einen "hinreichenden Tatverdacht". Rechtlich sei ausreichend, dass der gewährte Vorteil ganz allgemein mit der Dienstausübung des Amtsträgers Wulff verknüpft und damit geeignet gewesen sei, den bloßen "Anschein der Käuflichkeit" zu erwecken.
Heißt die Zulassung der Anklage durch das Landgericht, dass es auch sicher zu einer Verurteilung kommt?
Nein. "Hinreichender Tatverdacht" bedeutet vereinfacht gesagt: Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung - nach Aktenlage, also ohne Zeugen selbst gehört zu haben - von mehr als 50 Prozent. Ausreichend kann auch sein, dass die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung bei "fifty-fifty" liegt, und zur Klärung der Vorwürfe eine Beweisaufnahme in einer gerichtlichen Verhandlung geboten ist. So hat das Landgericht Hannover den Fall Wulff bei Eröffnung des Hauptverfahrens im August gesehen. Es spricht von einem "Grenzfall". Die Chance einer Verurteilung und eines Freispruchs sei nach Aktenlage gleich hoch. Das bedeutet: In der Beweisaufnahme vor Gericht können die Vorwürfe auch in sich zusammenfallen, gerade wenn es - wie hier - um schwierige Fragen der inneren Motivation der Angeklagten geht. Im Gerichtssaal kann man sich aber am besten ein Bild davon machen, ob die möglichen Indizien ein Gesamtbild ergeben oder nicht. Für eine Verurteilung müsste das Gericht von Wulffs Schuld überzeugt sein. Am Ende des Prozesses reichen 50 Prozent nicht mehr aus.
Welche objektiven Indizien wird das Gericht im Prozess prüfen?
Als Indizien für eine Vorteilsannahme führt das Gericht zahlreiche dienstliche Berührungspunkte zwischen Wulff und Groenewold an, auch über das konkrete Filmprojekt hinaus. Genannt werden zum Beispiel eine von Groenewold entworfene Rede, die Wulff bei einem Dinner mit Vertretern der der Medienbranche hielt. Außerdem gebe es Anhaltspunkte, dass Groenewold Wulff über den Münchner Fall hinaus weitere Vorteile zugewandt habe. Immer wieder geht es um Bewirtungskosten bei verschiedenen Anlässen. Indirekt werden also auch einige juristisch fallen gelassene Vorwürfe zu bestimmten Zahlungen im Prozess eine Rolle spielen, um das Verhältnis zwischen Wulff und Groenewold insgesamt aufzuklären. Deswegen hält das Gericht auch so viele Verhandlungstage für notwendig.
Was sind die rechtlichen Knackpunkte?
War es Korruption oder war es Freundschaftsdienst? Wulff und Groenewold halten den möglichen Indizien für einen Korruptionsverdacht entgegen, dass es sich zwischen ihnen ja um eine Freundschaft gehandelt habe. Es gebe keinen Bezug zur Dienstausübung des damaligen Ministerpräsidenten. Das Gericht will vor allem diesen Punkt aufklären, die abschließende rechtliche Bewertung hängt davon maßgeblich ab.
Dass Groenewold Zahlungen für Wulff in München übernommen hat, also die objektive Seite im konkreten Fall, ist unstrittig. Der Streit dreht sich vor allem darum, ob Wulff von den Zahlungen wusste. Außerdem muss man ihm nachweisen, dass er zumindest billigend in Kauf nahm, dass Groenewold nicht nur aus Freundschaft zahlte, sondern um ihn beim Thema Filmförderung gewogen zu halten Auch solche subjektiven Dinge müssen vor Gericht bewiesen werden. Da kein Richter oder Staatsanwalt in den Kopf der Angeklagten schauen kann, wird die subjektive Seite regelmäßig anhand von Indizien geprüft.
Geht es bei rund 700 Euro nicht um eine Lappalie?
Der niedrige Betrag wird häufig als Argument für die vermeintliche Absurdität des Verfahrens gegen Wulff angeführt. Für die Grundfrage, ob das Verhalten strafbar war oder nicht, spielt die Höhe des Betrages erst einmal keine Rolle. Und nur weil es am Anfang eine Reihe weiterer Vorwürfe gab, muss nicht automatisch der verbliebene strafrechtliche Vorwurf absurd sein. Sieht die Justiz einen Verdacht oder ist später von der Schuld überzeugt, kann sie die eher geringe Höhe der Summe zum Beispiel bei der Strafhöhe berücksichtigen oder eine Einstellung gegen Geldauflage anbieten.
Was bedeutete das Angebot der Staatsanwaltschaft, das Verfahren gegen Geldauflage einzustellen?
Das Gesetz ermöglicht noch eine Art "Mittelweg": die Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer "Geldauflage" nach § 153a Strafprozessordnung (der Begriff "Geldbuße" ist hier übrigens nicht korrekt). Diesen Vorschlag hatte die Staatsanwaltschaft vor Erhebung der Anklage gemacht, aber Wulff lehnte ab. Voraussetzung für eine solche Einstellung ist unter anderem, dass der Beschuldigte sowie das zuständige Gericht zustimmen und dass "die Schwere der Schuld nicht entgegensteht". Aus Sicht von Staatsanwaltschaft oder Gericht muss ein "hinreichender Tatverdacht" bestehen. Eine Einstellung nach § 153a Strafprozessordnung ist also kein "Freispruch" im klassischen Sinne. Andererseits hat kein Gericht den Beschuldigten rechtskräftig verurteilt. Deshalb gilt er nach der Einstellung, wie im gesamten Verfahren, weiter als unschuldig. Auch wenn der Prozess nun begonnen hat, ist eine solche Einstellung gegen Geldauflage weiterhin möglich. Das Gericht kann sie anbieten, Staatsanwaltschaft und Angeklagte müssten einverstanden sein. Bislang hat das Gericht diese Möglichkeit aber nicht ins Spiel gebracht.
Ist die massive Kritik an der Staatsanwaltschaft berechtigt?
Der Wandel in der öffentlichen Meinung war interessant zu beobachten. Als die Affäre Wulff Ende 2011 hochkochte, forderten viele vehement die Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen gegen Wulff auf. Die Ermittler aber zögerten. Bei Anklageerhebung im April 2013 standen die Staatsanwälte dann vielfach als absolute "Buhmänner" da, die maßlos übertrieben haben sollen. Was ist nun richtig? Wenn für die Einleitung von Ermittlungen die Aufhebung der Immunität nötig ist, prüfen Staatsanwälte in der Regel besonders intensiv, ob sie ein Verfahren eröffnen. Gibt es aus ihrer Sicht einen "Anfangsverdacht", sind sie gesetzlich verpflichtet, ein Verfahren einzuleiten. Zumindest "Ungereimtheiten" gab es damals bei mehreren Reisen Wulffs, insofern war die Aufnahme der Ermittlungen berechtigt. Ob zu intensiv ermittelt wurde, darüber kann man sicher streiten. Allerdings kann auch schnell der Vorwurf laut werden, ein hoher Politiker werde geschont. Im Fall Wulff prallen unterschiedliche rechtliche Bewertungen aufeinander, und die Beweislage ist schwierig. Inzwischen hat mit dem Landgericht zumindest eine zweite Justizbehörde nach Aktenlage den "hinreichenden Tatverdacht" bezüglich eines Delikts bejaht. Letzte Aufklärung kann nur der Prozess selbst bringen.
Welche Strafe stünde auf Vorteilsannahme?
Der Ausgang des Prozesses ist offen, ein Freispruch möglich. Im Falle einer Verurteilung aber sieht § 331 Strafgesetzbuch Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor. Das bloße Zitieren der gesetzlichen Strafen erweckt aber häufig einen falschen Eindruck. Denn selten wird ein Strafrahmen ausgereizt, und im konkreten Fall kämen wohl nur Geldstrafen in Betracht. Bei Fragen der Strafzumessung ist im Vorfeld aber stets größte Vorsicht angebracht.
Wer sind die handelnden Personen im Gerichtssaal?
Verhandelt wird vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Hannover. Geleitet wird die Verhandlung vom Vorsitzenden Richter Frank Rosenow, dazu kommen zwei weitere Berufsrichter und zwei Schöffen. Christian Wulff wird vom Bonner Rechtsanwalt Bernd Müssig, dem Hannoveraner Rechtsanwalt Michael Nagel und dem Rechtsanwalt Peter-Andreas Brand aus Berlin verteidigt. Oberstaatsanwalt Clemens Eimterbäumer und seine Kollegin Anna Tafelski vertreten die Anklage.