FAQ zum Ermittlungsverfahren Wie geht es in Sachen Wulff weiter?
Der ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam beantwortet für tagesschau.de Fragen zum Ermittlungsverfahren gegen Ex-Bundespräsident Wulff.
Was wird Wulff und Groenewold vorgeworfen?
Von zahlreichen Vorwürfen ist aus strafrechtlicher Sicht vor allem einer übrig geblieben: Filmproduzent David Groenewold soll eine Hotelrechnung von ChristianWulff in München über 400 Euro übernommen haben. Im Gegenzug habe sich Wulff beim Siemens-Chef für die finanzielle Förderung eines Groenewold-Filmprojekts eingesetzt. Wulff und Groenewold beteuern ihre Unschuld. Der ehemalige Bundespräsident bestreitet, von der Zahlung Groenewolds gewusst zu haben.
Um welche Delikte geht es?
Die Staatsanwaltschaft wertet dies juristisch bei Wulff als "Bestechlichkeit" (§332 Strafgesetzbuch), bei Groenewold - quasi spiegelbildlich - als "Bestechung" (§334 Strafgesetzbuch). "Bestechlichkeit" bedeutet, Geld als Gegenleistung für eine bestimmte, pflichtwidrige Amtshandlung anzunehmen. Ursprünglich hatte der Vorwurf "Vorteilsannahme" gelautet. Dafür reicht eine Zahlung an einen Amtsträger zur "allgemeinen Klimapflege". "Bestechlichkeit" ist also eine Stufe schärfer. Noch im März 2013 hatten die Staatsanwälte ihren Vorwurf rechtlich verschärft.
Welche Möglichkeiten haben Staatsanwälte, ein Ermittlungsverfahren zu beenden?
Die zwei klassischen Möglichkeiten sind: Entweder das Verfahren einstellen, weil der Tatverdacht sich nicht bestätigt hat, der dann aus der Welt geräumt ist. Oder Anklage bei Gericht erheben, weil es aus Sicht der Staatsanwälte einen "hinreichenden Tatverdacht" gibt. Dann kann es zu einem Prozess kommen, in dem die Schuldfrage endgültig geklärt wird.
Was bedeutet das Angebot der Staatsanwaltschaft, das Verfahren gegen Geldauflage einzustellen?
Das Gesetz ermöglicht noch eine Art "Mittelweg": die Einstellung der Verfahrens gegen Zahlung einer "Geldauflage" nach §153a Strafprozessordnung (der Begriff "Geldbuße" ist hier übrigens nicht korrekt). Voraussetzung ist unter anderem, dass der Beschuldigte sowie das zuständige Gericht zustimmen, und dass "die Schwere der Schuld nicht entgegensteht". Aus Sicht der Staatsanwaltschaft muss für das vorgeworfene Delikt ein hinreichender Tatverdacht bestehen. Eine Einstellung nach §153a Strafprozessordnung ist also kein "Freispruch" im klassischen Sinne. Andererseits hat kein Gericht den Beschuldigten rechtskräftig verurteilt. Deshalb gilt er nach der Einstellung, wie im gesamten Verfahren, weiter als unschuldig.
Was ist der Unterschied zum "Deal", über den das Bundesverfassungsgericht jüngst entschieden hat?
Im Fall Wulff wurde in den vergangenen Tagen häufig von einem "Deal" gesprochen. Umgangssprachlich kann man das so nennen. Im Strafrecht bezeichnet man mit "Deal" aber üblicherweise eine Absprache in einem laufenden Strafprozess vor Gericht. Das Prinzip lautet: Geständnis gegen mildere Strafe. Am Ende kommt es dann zu einer rechtskräftigen Verurteilung. Karlsruhe hatte die Justiz aufgefordert, die strengen Voraussetzungen zu beachten und solche "Deals" nicht im Hinterzimmer abzuschließen. Weil es im Fall Wulff noch gar keine Hauptverhandlung gibt, kommt ein "Deal" im klassischen Sinne hier noch nicht in Frage.
Kommen solche Einstellungen gegen Geldauflage häufig vor?
Ja, sie gehören zum Justizalltag in Deutschland. §153a wurde 1974 geschaffen - ursprünglich, um kleinere Fälle ohne den großen Aufwand eines Prozesses zu erledigen. Inzwischen kommen immer wieder auch Prominente auf diese Weise um einen Prozess herum, zum Beispiel Helmut Kohl, Josef Ackermann oder Karl-Theodor zu Guttenberg nach seiner Plagiatsaffäre. Häufig gibt es dann Kritik an der vermeintlichen Möglichkeit, sich "freizukaufen". Andererseits sind auch die Beschuldigten oft in einer schwierigen Situation. Bevor sie einen langen Prozess riskieren, zahlen viele lieber - auch wenn sie damit zumindest auf die Möglichkeit eines "richtigen" Freispruchs verzichten.
Was war am Angebot der Staatsanwaltschaft an Wulff bemerkenswert?
Im Angebot fiel die Formulierung, Wulff könne das Interesse an der Strafverfolgung durch "Übernahme strafrechtlicher Verantwortung" beseitigen. Das konnte man so deuten, dass ein Schuldeingeständnis verlangt wird. Die Zustimmung zur Einstellung darf rechtlich aber gerade nicht als Geständnis gewertet werden, deswegen gab es Kritik an der eher ungewöhnlichen Wortwahl. Nach Medienberichten soll die Staatsanwaltschaft klargestellt haben, dass dies nicht im Sinne eines Geständnisses gemeint gewesen sei. Der Punkt bleibt wohl strittig.
Was passiert nun nach Wulffs Nein?
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Staatsanwaltschaft Anklage bei Gericht erhebt, wohl beim Landgericht Hannover. Sie geht anhand ihrer Beweismittel von einem "hinreichenden Tatverdacht" aus. Davon kann die Staatsanwaltschaft nicht mehr abrücken - und muss dann also "ernst machen".
Kommt es dann automatisch zu einem Prozess im Gerichtssaal?
Nein. Denn es gibt einen Zwischenschritt. Das Gericht prüft zunächst im sogenannten "Zwischenverfahren", ob aus seiner Sicht nach Aktenlage ebenfalls ein "hinreichender Tatverdacht" besteht. Das bedeutet, vereinfacht gesagt: Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung von mehr als 50 Prozent. Bejaht das Gericht dies, lässt es die Anklage zu. Es kommt zum Prozess im Gerichtssaal. Dort müsste man den beiden Angeklagten ihre Schuld nachweisen. Sieht das Gericht die Beweislage schon im Zwischenverfahren anders als die Staatsanwaltschaft, lehnt es die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Dann käme es gar nicht erst zum Prozess und der Verdacht wäre ausgeräumt.
Wie könnte ein Prozess ausgehen?
Falls es zu einem Prozess kommen sollte: Viele Juristen halten die Beweislage gegen Wulff und Groenewold für dünn. Vor allem die Situation beim Bezahlen der Hotelrechnung in München scheint schwer aufklärbar zu sein. Ein Freispruch, die Rehabilitierung aus strafrechtlicher Sicht, ist also möglich, aber keinesfalls sicher. Hierzu müsste man die Ermittlungsakten im Detail kennen. Genaue Prognosen zum jetzigen Zeitpunkt wären nicht seriös.
Welche Strafe steht auf Bestechlichkeit?
Eine Verurteilung vorausgesetzt: §332 Strafgesetzbuch sieht Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vor, in minder schweren Fällen auch Geldstrafe. Das bloße Zitieren der gesetzlichen Strafen erweckt aber häufig einen falschen Eindruck. Denn selten wird ein Strafrahmen ausgereizt, und bei Freiheitsstrafen kommt ohnehin immer Bewährung in Betracht. Außerdem geht es um einen recht geringen Betrag. Insofern ist hier größte Vorsicht angebracht.
War es also völlig übertrieben, dass die Staatsanwälte 2012 die Aufhebung der Immunität Wulffs beantragt und Ermittlungen eingeleitet haben?
Aus meiner Sicht nicht. Dafür muss man sich in die Situation im Februar 2012 zurückversetzen. Für die Aufnahme von Ermittlungen reicht ein "Anfangsverdacht". Wenn zunächst die Aufhebung der Immunität nötig ist, prüfen Ermittler in der Regel besonders intensiv, ob sie wirklich einsteigen. Zumindest "Ungereimtheiten" gab es damals bei mehreren Reisen Wulffs. Nur in einem offiziellen Ermittlungsverfahren können Ermittler sie richtig aufklären. Eine ganz andere Frage ist dann die Bewertung der gewonnenen Ergebnisse am Schluss der Ermittlungen.