Ermittler zur Axt-Attacke bei Würzburg Ein Täter aus dem Nichts

Stand: 19.07.2016 22:29 Uhr

Der Attentäter von Würzburg war für Polizei und Staatsschutz ein "völlig unbeschriebenes Blatt". Dennoch handelte er wohl aus politisch-religiösen Motiven. Die Verbindung zum IS bleibt aber unklar. Den Anstoß zur Tat könnte die Nachricht vom Tod eines Freundes gegeben haben.

Der 17-jährige Flüchtling aus Afghanistan hat offenbar aus politisch-religiösen Gründen Reisende in einem Regionalzug nach Würzburg angegriffen. Möglicherweise ging der Tat eine schnelle Radikalisierung voraus. Ob der junge Mann dabei in Verbindung zum "Islamischen Staat" stand, ist aber weiter unklar. Den Behörden war er zuvor nicht aufgefallen.

Unauffällig und ohne erkennbaren Eifer

Vertreter von Polizei, Landeskriminalamt (LKA) und Staatsanwalt schilderten am Nachmittag in einer Pressekonferenz ihre Erkenntnisse zu den möglichen Motiven des Täters und zum Tathergang. Demnach war der junge Mann bis gestern für Polizei und Staatsschutz "ein völlig unbeschriebenes Blatt". Er sei gläubiger Sunnit, aber kein regelmäßiger Moscheebesucher gewesen.

Auch Bekannten des Täters bezeichneten ihn als ganz normalen jungen Mann. Er sei "sympathisch, freundlich, entspannt" gewesen, sagte die Flüchtlingsbeauftragte der AWO Ochsenfurt, Simone Barrientos, im ARD-Brennpunkt. Nichts an ihm habe stutzig gemacht - "im Gegenteil".

Eine Nachricht mit Folgen?

Nach ersten Ermittlungen soll sich der junge Mann in den vergangenen Tagen aber stark verändert haben. Auslöser dafür könnte die Nachricht vom Tod eines Freundes in Afghanistan gewesen sein, die ihn am Freitag oder Samstag erreicht hatte, sagte Lothar Köhler vom bayerischen LKA. Wer dieser Freund war, und wie er zu Tode kam, ist noch nicht klar.

In den sozialen Netzwerken sei der Afghane nicht mit extremistischen Eintragungen aufgefallen, erläuterte Köhler weiter. Allerdings habe er 24 Stunden vor der Tat eine "kryptische Nachricht" gepostet, in der es um Feinde des Islam ging.

Zeichnungen und ein Abschiedsbrief

Zudem hätten die Ermittler in seinem Zimmer einen Collegeblock gefunden, der eine handgemalte Flagge des IS enthielt sowie verschiedene Texte in lateinischer und arabischer Schrift. Einer davon dürfte eine Art "Abschiedsbrief" an seinen Vater gewesen sein, so Köhler, in dem es "gewisse Klagen" über die "Ungläubigen und deren Taten" gegeben habe.

So habe der junge Mann in diesen Brief auch geschrieben: "Jetzt bete für mich, dass ich mich an diesen Ungläubigen rächen kann und bete für mich, dass ich in den Himmel komme."

Der Eindruck einer vorsätzlichen Tat wird auch dadurch gestützt, dass der Mann bei seinem Angriff auf die Reisenden nach Zeugenaussagen "Allahu akbar" ("Gott ist groß") ausrief. Diese Worte seien auch auf einem Notruf zu hören gewesen, der kurz nach dem Angriff bei der Polizei einging. Oberstaatsanwalt Erik Ohlenschlager schloss daraus, die Tat sei "wohl politisch motiviert" gewesen.

Ein Video sorgt für Verwirrung

Inzwischen verdichtet sich der Eindruck, dass eine - wie auch immer geartete - Verbindung des Afghanen zur Terrormiliz IS gab. Der IS hatte am Nachmittag über das Internet ein Video veröffentlicht, in dem der Zug-Attentäter von Würzburg zu sehen sein soll. Darin kündigt der Mann an, einen Selbstmordanschlag begehen zu wollen. Zudem erklärt er, die Soldaten von "Ungläubigen" würden in ihren Häusern, Dörfern oder auf Flughäfen zu Zielscheiben.

Am Abend erklärte der bayerische Innenminist Joachim Hermann, der Mann auf dem Video sei der Täter von Würzburg. Dies habe ein Gesichtsvergleich ergeben. Außerdem hätten Zeugen auf dem Video klar erkannt, dass dieses in Würzburg aufgenommen worden sei.

Heimtückische Attacke

Auf der Pressekonferenz gaben die Ermittler auch neue Details zum Tathergang bekannt. Der Angriff hatte sich am späten Montagabend in einem Regionalzug zwischen Ochsenfurt und Würzburg ereignet. Den Ermittlern zufolge hatte sich der minderjährige Flüchtling am Abend von seinen Pflegeeltern im unterfränkischen Ochsenfurt mit dem Hinweis verabschiedet, er wolle noch mit dem Fahrrad fahren und komme später heim. Dann habe er den Zug nach Würzburg bestiegen, in einer Toilette Axt und Messer hervorgeholt und anschließend mit den Waffen "völlig unvermittelt" Reisende angegriffen. Die Angriffe seien "mit Vernichtungswillen" und "unbedingtem Tötungsvorsatz" geführt worden.

Nachdem ein Reisender den Notstopp ausgelöst hatte, sei der Afghane aus dem Zug geflüchtet. Auf einer angrenzenden Wiese habe er dann von hinten eine Frau angegriffen, die dort ihren Hund ausführte. Insgesamt habe der Mann fünf Menschen schwer verletzt, darunter vier Mitglieder einer chinesischen Familie. Zwei der Verletzten schweben weiter in Lebensgefahr.

SEK zufällig in der Nähe

Ein zufällig in der Nähe wegen eines anderen Einsatzes anwesendes Spezialeinsatzkommando (SEK) versuchte, den Jugendlichen festzunehmen. Dieser habe dann aus dem Dickicht des Mainufers heraus zwei Polizeibeamte aus einer Entfernung von etwa einem Meter mit der Axt angegriffen. Die Beamten hätten sich dabei nur mit der Schussabgabe erwehren können, betonte der Würzburger Oberstaatsanwalt Bardo Backert.

Es seien mindestens vier Schüsse abgegeben worden, die exakte Zahl werde aber noch ermittelt. Ein Schuss habe den Angreifer in der Stirn getroffen und sei "wohl tödlich" gewesen. Backert lobte in diesem Zusammenhang ausdrücklich das Vorgehen der Polizisten. Er sei "absolut davon überzeugt" dass die Schussabgabe gerechtfertigt gewesen sei. Es sei nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn der Täter "in diesem Rausch" weitere Menschen angegriffen hätte.

Zugleich kritisierte er eine Äußerung der Grünen-Politikerin Renate Künast, die nach der Tat auf Twitter die Frage aufgeworfen hatte, warum der Mann "nicht angriffsunfähig" geschossen worden sei. Er verstehe nicht, so Backert, warum Politiker, die weit weg seien und im Sessel säßen, "voreilig Schlüsse" ziehen würden. Auch Bayerns Innenminister Joachim Hermann stellte sich im ARD-Brennpunkt hinter die Beamten. Er verwies auf die Aggressivität des Täters und betonte, Polizeibeamten müssten das Recht haben, sich zu wehren, bevor sie verletzt würden. Die Beamten hätten auch verhindert, dass der Mann weitere Menschen attackiere.

Seit einem Jahr in Deutschland

Der junge Mann war den Angaben nach vor einem Jahr als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling in der Region Passau registriert und zunächst in eine Aufnahmeeinrichtung für solche Migranten gebracht worden. Dort habe er im Dezember einen Asylantrag gestellt; im vergangenen März sei ihm die Aufenthaltsgenehmigung erteilt worden.

Vor zwei Wochen sei er dann in eine Pflegefamilie gekommen. Auch ihnen sei er weder als aggressiv noch als reizbar aufgefallen. Den Namen des Täters wollte das LKA auf der Pressekonferenz nicht bekannt geben.

Spekulationen über Herkunft

Ob der junge Mann tatsächlich aus Afghanistan stammt, ist inzwischen auch umstritten. Nach Informationen des ZDF benutzt der Mann, den das Video des IS zeigt, Begriffe, die in diesen Varianten eher in Pakistan als in Afghanistan üblich seien. Paschtu, die Muttersprache des Mannes, wird in beiden Ländern gesprochen. Auch seine Aussprache sei pakistanisch.

Möglicherweise habe sich der Mann als Afghane ausgegeben, um eine höhere Chance auf Anerkennung als Flüchtling zu haben. Auch habe die Polizei in seinem Zimmer ein pakistanisches Dokument gefunden.