Aus Griechenland Deutschland muss Geflüchteten zurückholen
2018 hatte Deutschland mit Griechenland ein Abkommen zur Rücknahme von Flüchtlingen geschlossen. Nun hat ein abgeschobener Afghane geklagt - und Recht bekommen. Er muss wieder nach Deutschland geholt werden.
Mai 2019. Ein Afghane wird in Bayern von der Bundespolizei kontrolliert und anschließend befragt. Er war zuvor mit dem Zug aus Österreich gekommen. Die Beamten stellen fest, dass es zu dieser Person in ihrem Online-System bereits einen sogenannten Eurodac-1-Treffer gibt. Das heißt, der Afghane hat bereits zuvor in der EU einen Asylantrag gestellt, und zwar in Griechenland.
Die Beamten entscheiden schnell: Innerhalb eines Tages wird der Afghane nach Griechenland zurückgeführt - in das Land, das der Afghane zuerst betreten hatte. Rechtliche Grundlage war offenbar eine Verwaltungsvereinbarung zwischen Griechenland und Deutschland, die im vergangenen Jahr geschlossen wurde.
Gericht entscheidet zugunsten des Abgeschobenen
Der Fall des Afghanen landete vor dem Verwaltungsgericht in München. Und zum ersten Mal hat jetzt die Richterin entschieden: Deutschland muss einen Migranten, der im Rahmen des Verwaltungsabkommens nach Athen ausgeflogen wurde, wieder aus Griechenland zurückholen.
Dieser Eilbeschluss ist - wie alle Eilbeschlüsse im Asylverfahren - unanfechtbar. Die unterlegene Seite - in diesem Fall Deutschland - darf kein Rechtsmittel einlegen. Die endgültige Entscheidung ist der Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten, bis zu der es aber noch einige Zeit dauern kann.
Konkret heißt es im Beschluss vom 8. August: "Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, auf Kosten der der Antragsgegnerin umgehend darauf hinzuwirken, den Antragsteller wieder nach Deutschland zurückzuführen und ihm die vorläufige Einreise nach Deutschland zu gewähren."
Nur, was ist dann mit dem Verwaltungsabkommen? Gilt es dann gar nicht?
Derzeit gelten mehrere unterschiedliche Regelungen gleichzeitig: Das EU-weite Dublin-Abkommen, das nationale Asylrecht, die EU-Rückführungsrichtlinie, der Schengener Grenzkodex - und eben bilaterale Verwaltungsabkommen.
Art Abschiebehaft in Griechenland
Zumindest im Falle des Afghanen sind andere Regelungen entscheidender als das Verwaltungsabkommen. So wurde sein Asylantrag in Griechenland nach seiner Rückführung offenbar nicht weiter geprüft. Stattdessen soll er in eine Art Abschiebehaft gekommen sein.
Dem Asylbewerber drohte also die Abschiebung aus der EU, ohne dass sein Antrag in der EU ausreichend geprüft worden wäre. Das widerspricht europäischen und auch deutschen Spielregeln. Die Haltung des Verwaltungsgerichts München - vereinfacht ausgedrückt: Zumindest ein Land innerhalb der EU muss den Asylantrag prüfen. Jetzt eben wahrscheinlich - so sagt es der Beschluss - Deutschland. Jedenfalls darf der Afghane aber bis zu einer endgültigen Entscheidung über die Zuständigkeit in Deutschland bleiben.
Dies folgt aus der im deutschen und europäischen Recht festgeschriebenen Rechtsschutzgarantie. Sie ist sogar im Grundgesetz festgeschrieben. Der Afghane hatte aber keine Chance, gegen seine Rückführung von der deutsch-österreichischen Grenze nach Griechenland zu klagen.
Verwaltungsabkommen mit Schwächen
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts München ist nach Ansicht von Experten ein Beweis dafür, dass das Verwaltungsabkommen deutliche Schwächen hat.
Das ist vor allem für die Bundeskanzlerin besonders unangenehm. Im Sommer 2018 war es innerhalb der Bundesregierung zu einem Streit gekommen. Bundesinnenminister Horst Seehofer forderte in seinem Masterplan die Zurückweisung für diejenigen Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze, die bereits in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt hatten.
Kanzlerin Merkel widersprach. Vereinfacht ausgedrückt fordert sie: Keine Zurückweisungen ohne Absprache mit den EU-Partnern. Fast wäre an diesem Streit die Fraktionsgemeinschaft der Union und die gesamte Bundesregierung zerbrochen. Merkel ließ sich schließlich auf einen Deal mit Seehofer ein: Zurückweisungen nur, wenn sie abgesprochen sind - etwa durch ein Verwaltungsabkommen zwischen dem Bundesinnenministerium und dem Pendant in Griechenland. Genau dieses Abkommen steht nun zur Debatte.
Polizeibeamte begleiten einen Afghanen auf dem Flughafen Leipzig-Halle in ein Charterflugzeug. 45 abgelehnte Asylbewerber waren Anfang August mit einem Sonderflug in Afghanistans Hauptstadt Kabul abgeschoben worden.
"Mit europarechtlichen Vorgaben nicht vereinbar"
"Die Entscheidung zeigt, dass die Art und Weise, wie die Verwaltungsvereinbarung zwischen Deutschland und Griechenland in der Praxis umgesetzt wird, mit den europarechtlichen Vorgaben nicht vereinbar ist", sagt Constantin Hruschka vom Münchner Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik.
Das Gericht mache deutlich, "dass die deutschen Behörden vor der Abschiebung sich im Einzelfall mit der drohenden Situation in Griechenland auseinandersetzen müssen und dass betroffene Personen tatsächlich Zugang zu einem Rechtsmittel vor der Abschiebung haben müssen". Zudem hegt das Gericht aus seiner Sicht zurecht Zweifel an der Zuständigkeit der Bundespolizei und der Rechtmäßigkeit der Art und Weise der Grenzkontrollen und der Verwaltungsvereinbarung an sich, "da dadurch geltendes europäisches Recht umgangen und faktisch ausgehebelt wird", so Hruschka.
Allerdings: Die Entscheidung aus München heißt nicht automatisch, dass Deutschland für das Asylverfahren des Afghanen zuständig sein wird. Darüber wird erst im Hauptsacheverfahren entschieden.