Coronavirus Was beim Impfgipfel strittig ist
Bund und Länder treffen sich erneut zum Impfgipfel. Diesmal geht es um Impfungen für Kinder, um den Zeitplan für den digitalen Impfpass und natürlich um die wiederholte Klage: Wann gibt es endlich genügend Impfstoff? Ein Überblick.
Streitpunkt 1: Impfungen für Kinder
Seit Wochen streiten Wissenschaft und Politik über die Frage, ob, wann und wo Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren geimpft werden sollen.
Das Problem: Noch gibt es gar keinen Impfstoff, der für Kinder zugelassen ist. Der Hersteller BioNTech/Pfizer hat eine Zulassung seines Präparats ab zwölf Jahren bei der europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) beantragt und rechnet in den nächsten Tagen mit einer Entscheidung. Auch der Hersteller Moderna will für seinen Impfstoff eine Zulassung ab zwölf Jahren beantragen.
Auch eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission steht noch aus. Und hier hat sich die STIKO zuletzt sehr skeptisch geäußert. Kommissionsmitglied Rüdiger von Kries sagte dem rbb, er halte wegen des noch unklaren Risikos eine allgemeine Impfempfehlung der STIKO bei Kindern für unwahrscheinlich. Der Kommissionsvorsitzende Thomas Mertens äußerte sich im Deutschlandfunk ähnlich. Das Argument der Schulöffnung reiche dafür nicht aus, sagte er. Grundsätzlich geht es um die Frage: Ist das Risiko der Erkrankung geringer als das der möglichen Nebenwirkung einer Impfung. Bei den Impfungen würden schließlich "keine Bonbons verteilt", sondern es werde ein medizinischer Eingriff vorgenommen, sagte Mertens.
Anders sieht das etwa die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx. "Das stärkste Argument, Zwölf- bis 15-Jährige zu impfen, ist einfach, dass sie auch selbst natürlich einen Schutz haben möchten", sagte Buyx auf NDR Info. Auch bei Jugendlichen gebe es schwere Verläufe und das sogenannte Long-Covid-Syndrom.
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek hatte zuvor von den Ländern einen Fahrplan für Impfungen von Kindern und Jugendlichen ab zwölf Jahren gefordert. Das sollte möglichst bis zum Beginn des Schuljahres geschehen, sagte sie den Funke-Zeitungen.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn kündigte an, dass er Kindern und Jugendlichen auch ohne allgemeine Empfehlung der STIKO ein Impfangebot machen wolle. Die individuelle Entscheidung, ob geimpft werden soll, könnten dann die Eltern mit ihren Kindern und den Ärztinnen und Ärzten treffen, sagte er im gemeinsamen Mittagsmagazin von ARD und ZDF.
Mehrere Ministerpräsidenten sehen dies kritisch. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow will auf eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission warten. "Die wissenschaftlichen Fragen sind noch nicht schlüssig beantwortet, ob Kinder überhaupt geimpft werden sollen - und wenn, mit welchem Impfstoff - und ob Kinder mit Risikofaktoren vorgezogen werden. Ich jedenfalls werde den Rat der STIKO abwarten", sagt Ramelow den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. Und auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident und Kanzlerkandidat der Union, Armin Laschet, machte deutlich: "Ich finde, wir sollten uns an das, was die STIKO empfiehlt, halten."
Ob dann zuerst die Schüler der Länder geimpft werden sollten, in denen die Sommerferien am frühsten beginnen, werde noch "kontrovers" unter den Bundesländern erörtert, sagte Laschet.
Möglicherweise könnte es zunächst nur eine Impfung für Zwölf- bis 15-Jährige mit bestimmten chronischen Erkrankungen geben - das berichten zumindest die Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland.
Spahn hatte zuvor bereits vorgeschlagen, Impfdosen der Hersteller BioNTech/Pfizer für Kinder und Jugendliche zu reservieren. Doch schon jetzt klagen die Bundesländer, dass der Bund zu wenig Impfstoff beschafft hat - was wiederum zum nächsten potenziellen Streitpunkt bei dem Thema führt.
Streitpunkt 2: Menge und Verteilung von Impfstoff
Die Impfkampagne kam zuletzt wieder etwas ins Stocken. Gerade mit Blick auf die Aufhebung der Impfpriorisierung am 7. Juni und einer möglichen Impfung für Kinder könnte sich die Situation noch verschärfen.
Die Bundesregierung will für die Impfung von Kindern und Jugendlichen gegen das Coronavirus knapp 6,4 Millionen Dosen bis August bereitstellen, berichtet Reuters. Die Nachrichtenagentur bezieht sich dabei auf eine Dokument des Bundesgesundheitsministeriums für den Impfgipfel.
Im Vorfeld der Beratungen gab es viel Unmut über die Verteilung der Impfdosen auf die Bundesländer. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer forderte mehr Verlässlichkeit und Transparenz rund um die mengenmäßige Verteilung von Impfstoff nach dem Einwohnerschlüssel je Bundesland. Wenn zusätzliche Ärztegruppen wie die Betriebsärztinnen und -ärzte in die Impfkampagne einbezogen würden, müsse zusätzlicher Impfstoff zur Verfügung gestellt werden, sagte die SPD-Politikerin.
Kritik kam auch von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke und Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher. "Brandenburg bekommt prozentual weniger als andere Länder", kritisierte Woidke gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Tschentscher sprach im "Spiegel" von gut 40.000 Impfdosen, die Hamburg zu wenig geliefert worden seien.
In Deutschland sind inzwischen gut 14 Prozent der Gesamtbevölkerung vollständig geimpft. Mehr als 40 Prozent haben mindestens eine Impfdosis erhalten. Im Mai sollten insgesamt 9,87 Millionen Dosen an die Impfzentren geliefert werden, meldet Reuters. Im Juni solle die Zahl auf 12,4 Millionen Impfdosen steigen. Den deutschen Ärzten sollen in dieser und der kommenden Woche 6,7 Millionen Impfdosen geliefert werden, im Juni weitere 18 Millionen Impfdosen.
Streitpunkt 3: Der geplante digitale Impfnachweis
Die EU hat sich auf eine gemeinsame Plattform für den digitalen Impfnachweis geeinigt. Nun müssen die nationalen digitalen Nachweise entwickelt werden. Gesundheitsminister Spahn will den digitalen Impfpass noch vor den Sommerferien auf den Weg bringen. Doch auch daran gibt es Zweifel. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber warf Spahn Versäumnisse bei der Planung vor: "Die Bundesregierung ist eigentlich dazu verpflichtet, uns frühzeitig zu beteiligen", sagte Kelber dem "Handelsblatt". Es sei daher unverständlich, dass seiner Behörde bislang noch nicht alle notwendigen Details zu dem Projekt vorlägen.
Anke Domscheit-Berg, die netzpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, glaubt nicht, dass der Zeitplan Spahns realistisch ist: "Das wird ganz sicher nichts werden", sagte sie im ARD-Morgenmagazin. Dafür brauche es unter anderem eine einheitliche Praxissoftware, die sich nicht so schnell programmieren lasse. Ohnehin kritisierte sie den Corona-Impfpass als "sinnloses Unterfangen". Bei einer Einführung des Nachweises "sechs oder acht Wochen zu spät" sei eine Herdenimmunität im Prinzip schon erreicht, womit der eigentliche Zweck des elektronischen Impfpasses entfalle.