Nach "Schmähgedicht" Erdogan stellt Strafantrag
Der türkische Präsident Erdogan hat formell einen Strafantrag gegen den ZDF-Moderator Böhmermann wegen Beleidigung gestellt. Vize-Ministerpräsident Kurtulmus bezeichnete dessen "Schmähgedicht" als Beleidigung von 78 Millionen Türken.
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat Strafantrag gegen den Moderator Jan Böhmermann wegen Beleidigung gestellt. Ein entsprechendes Schreiben sei eingegangen, teilte die Staatsanwaltschaft Mainz mit.
Gegenstand des durch eine Anwaltskanzlei gestellten Antrags sei das sogenannte Schmähgedicht in der ZDF-Sendung "Neo Magazin Royale" vom 31. März. Der Strafantrag werde in dem bereits anhängigen Verfahren geprüft werden, hieß es weiter.
"Verbrechen gegen die Menschlichkeit"
Die türkische Regierung verstärkte zugleich ihre Vorwürfe gegen Böhmermann. Das Gedicht sei nicht nur eine Beleidigung Erdogans, sondern von allen 78 Millionen Türken, so Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus. Er warf Böhmermann vor, mit dem Gedicht ein "schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit" begangen zu haben. Der Text habe "alle Grenzen der Schamlosigkeit übertroffen". Die Regierung in Ankara könne das nicht akzeptieren.
Kurtulmus betonte aber, die Türkei wolle "absolut keinen politischen Druck" auf Deutschland ausüben.
Bundesregierung begibt sich auf Neuland
Zugleich muss die Bundesregierung prüfen, ob sie dem Begehren der Türkei stattgibt, gegen Böhmermann auf Grundlage der Paragraphen 103 und 104 (Strafgesetzbuch) zu ermitteln. Diese drehen sich um eine etwaige Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes. Nur mit der Zustimmung der Bundesregierung kann diesem Vorwurf nachgegangen werden.
Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, mit solch einer Frage sei die Bundesregierung in den vergangenen Jahren nicht befasst gewesen. Deshalb werde es etwas dauern, diese Frage zu prüfen.
§ 103 Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten
(1) Wer ein ausländisches Staatsoberhaupt oder wer mit Beziehung auf ihre Stellung ein Mitglied einer ausländischen Regierung, das sich in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält, oder einen im Bundesgebiet beglaubigten Leiter einer ausländischen diplomatischen Vertretung beleidigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe, im Falle der verleumderischen Beleidigung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ist die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) begangen, so ist § 200 anzuwenden. Den Antrag auf Bekanntgabe der Verurteilung kann auch der Staatsanwalt stellen.
[...]
§ 104a Voraussetzungen der Strafverfolgung
Straftaten nach diesem Abschnitt werden nur verfolgt, wenn die Bundesrepublik Deutschland zu dem anderen Staat diplomatische Beziehungen unterhält, die Gegenseitigkeit verbürgt ist und auch zur Zeit der Tat verbürgt war, ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt und die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt.
Anmerkung zu § 103 von ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam: "Beim Lesen von § 103 StGB könnte man über die Formulierung 'im Inland aufhält' stolpern und denken: Erdogan war doch gar nicht in Deutschland, die Vorschrift passt gar nicht. Sie passt aber doch. In den juristischen Kommentaren zum Strafgesetzbuch ist ausdrücklich klargestellt: Der Aufenthalt im Inland bezieht sich nur auf die zweite Alternative 'Mitglied einer ausländischen Regierung', nicht auf das zuerst genannte 'ausländische Staatsoberhaupt'."
Wenn die Bundesregierung eine Strafverfolgung erlaubt, bedeutet dies noch nicht, dass es zu einer Verurteilung Böhmermanns kommt. Das Gericht wird dann zu beurteilen haben, ob es sich tatsächlich um eine "Schmähkritik" handelte, wie ARD-Korrespondentin Gigi Deppe berichtet.
Verwehrt die Bundesregierung der Türkei eine Strafverfolgung nach Paragraph 103 und 104, kommt immer noch eine Strafverfolgung wegen einer "normalen" Beleidigung in Betracht - hierfür hat Erdogan mit seiner Strafanzeige die Voraussetzung geschaffen.
Türkische Gemeinde gespalten
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, stimmte in die Kritik an Böhmermann ein. "Ich finde das nicht satirisch, sondern deplatziert und beleidigend", erklärte Sofuoglu. Böhmermann und das ZDF sollten sich entschuldigen. Eine Anklage hält Sofuoglu aber nicht für notwendig.
Sofuoglu ergänzte, wenn ein türkischer Kabarettist so etwas über Angela Merkel gesagt hätte, "fände ich das auch nicht gut". Die Reaktionen in der türkischstämmigen Gemeinde seien gespalten und vor allem von der persönlichen Meinung zum türkischen Staatspräsidenten abhängig.
ZDF steht zu Böhmermann
ZDF-Intendant Thomas Bellut betonte in einer Stellungnahme auf der Webseite des Senders, dass er weiter "zu den Satire-Sendungen, zu den Moderatoren und zu Herrn Böhmermann" stehe. Es gehe im Augenblick um eine kleine Passage der letzten Sendung. "Diese Passage haben wir uns auch angesehen und diskutiert und haben entschieden: Sie entspricht nicht den Qualitätsvorstellungen, die wir für Sendungen dieser Art haben, und das haben wir aus eigenem Antrieb gemacht", sagte Bellut. Aufgrund dieser Beurteilung sei die Sendung für eine Wiederholung und für Abrufe in der Mediathek gesperrt worden.