Neue Studie 327 Tote an innerdeutscher Grenze
Sie ertranken in Grenzgewässern, wurden erschossen oder durch Minen getötet: Mindestens 327 Menschen starben einer neuen Studie zufolge an der innerdeutschen Grenze. Wie viele insgesamt ums Leben kamen, wird jedoch wohl unklar bleiben.
An der einstigen innerdeutschen Grenze sind neuen Erkenntnissen zufolge mindestens 327 Menschen aus Ost und West ums Leben gekommen. Das geht aus den Ergebnissen des Forschungsverbundes SED-Staat der Freien Universität Berlin hervor. Rund fünf Jahre lang hatten die Wissenschaftler für ihren Forschungsband recherchiert und insgesamt 1492 Verdachtsfälle überprüft, bei welchen es möglicherweise einen Zusammenhang zur DDR-Grenzsicherung gab. An der fast 1400 Kilometer langen Grenze wurden Menschen erschossen, sie ertranken in Gewässern oder wurden durch Minen und Selbstschussanlagen getötet.
Unklar ist den Forschern zufolge, wie viele Menschen bei der Flucht über die Ostsee ums Leben kamen. Sie gehen von knapp 200 Toten aus, die nicht in der aktuellen Studie berücksichtigt wurden. Die Anzahl von Grenzopfern, die vergeblich über andere Ostblockstaaten zu fliehen versucht hatten, liegt Schätzungen zufolge zwischen 30 und 200 Toten. Hinzu kommen nach bisheriger Forschungslage 139 Tote an der Berliner Mauer. Die geschätzten Zahlen zu Opfern an Grenze und Mauer schwanken beträchtlich, viele Fälle wurden nie bekannt. Im Jahr 1991 bezifferte die Zentrale Erfassungsstelle Salzgitter die Zahl der Todesopfer an der innerdeutschen Grenze etwa mit 872.
203 Selbsttötungen bei den DDR-Grenztruppen
Das nun vorgestellte Handbuch enthält Angaben zu Leben und Todesumstand der den Forschern bekannten Toten. Etwa die Hälfte war demnach zwischen 18 und 25 Jahre alt. Der sozialen Zusammensetzung nach handelte es sich überwiegend um junge Arbeiter, Bauern und Handwerker. Das jüngste ermittelte Todesopfer war ein im Juli 1977 im Kofferraum eines Fluchtfahrzeugs erstickter sechs Monate alter Säugling. Das älteste Todesopfer war ein 81-jähriger Bauer, der im Juni 1967 irrtümlich in ein Minenfeld geriet. Landminen rissen ihm beide Beine ab. Nach einem drei Stunden dauernden Todeskampf verblutete er unter den Augen eines DDR-Regimentsarztes, der sich nicht in den verminten Grenzstreifen wagte.
Das Handbuch enthält auch Lebensgeschichten von Zivilpersonen aus beiden deutschen Staaten, die ohne Fluchtabsichten dem DDR-Grenzregime zum Opfer fielen. Bei ihren Recherchen stießen die Forscher zudem auf insgesamt 203 Selbsttötungen bei den DDR-Grenztruppen. Über 44 davon berichten sie in ihrem Buch genauer. Viele der jungen Soldaten hätten den Dienst an der Grenze nicht aus freiem Willen verrichtet, manche seien daran zerbrochen, erklärten die Herausgeber Klaus Schroeder und Jochen Staadt. Schroeder geht davon aus, dass mit der Studie die Aufarbeitung der Todesfälle an der deutsch-deutschen Grenze abgeschlossen ist.
Das Forschungsprojekt wurde von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) mit 449.000 Euro gefördert. An den Gesamtkosten von 642.000 Euro beteiligten sich auch die Länder Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Hessen. Die neuen Forschungsergebnisse seien ein wichtiger Beitrag, um den Opfern Namen und Gesicht wiederzugeben, sagte Grütters.