Corona-Ausbruch bei Tönnies Viele Infizierte, null Vertrauen
Der Tönnies-Fleischbetrieb ist nach mehr als 1000 Corona-Infektionen vorerst geschlossen worden. Mobile Teams fahren mühsam beschaffte Adressen von Mitarbeitern ab. Der Behörden-Frust ist groß. Der Firmenchef verteidigt sich.
Deutschlands größter Fleischbetrieb liegt unweit der Autobahn 2 in Rheda-Wiedenbrück - momentan ist der Tönnies-Betrieb das Zentrum der Corona-Pandemie des Landes und bereitet den Behörden großes Kopfzerbrechen.
Krisenstabsleiter Thomas Kuhlbusch hat diplomatische Formulierungen längst hinter sich gelassen: "Das Vertrauen, das wir in die Firma Tönnies setzen, ist gleich null. Das muss ich so deutlich sagen." Gestern seien von dem Unternehmen Listen vorgelegt worden, bei denen von 30 Prozent der Beschäftigten die Adressen fehlten. Kuhlbusch sprach von einem "Dunkelfeld des Subunternehmertums".
Die Fleischfabrik sei für 14 Tage geschlossen worden. Nachlaufarbeiten seien unter Arbeitsquarantäne-Bedingungen allerdings noch möglich. Das bedeutet, dass sich Mitarbeiter ausschließlich zwischen Arbeits- und Wohnort bewegen dürfen.
Mehr als 1000 Infizierte bei Tönnies
Die Zahl der mit dem Coronavirus infizierten Mitarbeiter ist auf 1029 gestiegen. Insgesamt lägen 3130 Befunde vor, sagte Landrat Sven-Georg Adenauer. Der Anstieg der positiven Befunde sei aber nicht mehr so groß. Ein regionaler Lockdown könne noch verhindert werden, hofft er.
Landrat Adenauer ist enttäuscht von Tönnies.
Auch Adenauer kritisierte, dass die Firma Tönnies es nicht geschafft habe, alle Adressen von Beschäftigten auch von Sub-Unternehmen vorzulegen. Deswegen hätten sich die Behörden Zugang zu den Personaldaten verschafft. Am Samstagmorgen um 01.30 Uhr sei man fertig gewesen. Adenauer zufolge liegen nun 1300 Adressen vor. Diese würden von mobilen Teams aufgesucht. Man begutachte die Wohnverhältnisse, informiere über die Quarantäne-Regeln und nehme Testabstriche.
Tönnies führt Datenschutz an
Am frühen Abend gab Clemens Tönnies ein kurzfristig angesetztes Medienstatement ab, bei dem er von einer "existenziellen Krise des Unternehmens" sprach. Er zeigte sich enttäuscht vom Vertrauensverlust der Behörden. Sein Unternehmen habe eng mit dem Krisenstab und den Behörden kooperiert. Das Problem sei, dass Tönnies aus Datenschutzgründen gar keine Kenntnis von den Wohnadressen der Beschäftigten von Subunternehmen haben dürfe. Bekannt seien lediglich Vor- und Nachname, Geschlecht und Geburtsdatum dieser Arbeiter.
Das Unternehmen betonte, dass Subunternehmen sofort aufgefordert worden seien, die Adressen weiterzugeben, doch einige hätten datenschutzrechtliche Bedenken gehabt. Darum habe man zunächst eine behördliche Anordnung erbeten und schließlich auch erhalten.
Einen Rücktritt schloss Tönnies aus. Er werde sein Unternehmen und die Mitarbeiter nicht im Stich lassen, sondern aus der Krise führen. Er räumte ein: "Seit Mittwoch ist nichts mehr so, wie es mal war."
65 Bundeswehr-Soldaten helfen
Die Corona-Reihenuntersuchungen auf dem Betriebsgelände wurden fortgesetzt. Nachdem am Freitag bereits 25 Bundeswehrsoldaten die Maßnahmen unterstützten, wurden heute 40 weitere hinzugeholt. "20 davon helfen bei der Dokumentation und 20 helfen bei der Kontaktpersonennachverfolgung", sagte Bundeswehrsprecher Uwe Kort.
Die Soldaten seien mit zehn Bundeswehr-Fahrzeugen unterwegs und würden gemeinsam mit medizinischem Personal und Mitarbeitern des Kreises Gütersloh Unterkünfte abfahren und dort Menschen testen. Laut Kort sprechen die Soldaten "osteuropäische Sprachen", um sich mit den Arbeitern verständigen zu können. Ein Teil der Infizierten stammt aus Bulgarien oder Rumänien. Es ist anzunehmen, dass sie von Subunternehmern beschäftigt werden.
"Stoppt das System Tönnies"
Vor dem Betrieb protestierten etwa 60 Menschen gegen Tönnies. "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr den Menschen die Rechte klaut", riefen die Demonstranten unter anderem. Auf Plakaten stand: "Stoppt das System Tönnies" und "Tiere sind keine Ware". Einige Protestierende hatten sich mit Kunstblut bemalt.
Mehrere Umwelt- und Tierschutzorganisationen, unter anderem Fridays for Future, hatten die Aktion organisiert.
Etwa 60 Demonstranten prangerten Missstände in der Fleischindustrie an.
Brennpunkt Schlachthof
Der Corona-Ausbruch bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück war am Mittwoch bekannt geworden. Bereits im Mai war es auf einem Schlachthof des Konkurrenzunternehmens Westfleisch im Kreis Coesfeld zu einem Corona-Ausbruch gekommen.
Das nordrhein-westfälische Kabinett will morgen bei einer Sondersitzung über den Ausbruch bei Tönnies beraten.
"Fleisch ist zu billig"
Auf der Bundesebene wächst der Druck auf die Branche. "Fleisch ist zu billig", sagte Bundesagrarministerin Julia Klöckner. Sie setze sich für eine Tierwohlabgabe ein, um faire Preise und die Förderung von Landwirten zu ermöglichen.
"Auch für die Verbraucher wird sich etwas ändern müssen", sagte die CDU-Politikerin mit Blick auf die Tierwohlabgabe, die eine Kommission empfohlen hat. "Dabei soll Fleisch kein Luxusprodukt für Reiche werden. Aber auch keine Alltagsramschware."
Ausbeutung von Osteuropäern soll enden
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sagte dem "Tagesspiegel am Sonntag", rücksichtsloses Wirtschaften sei nicht mehr zu akzeptieren "Es kann nicht sein, dass Menschen aus Mittel- und Osteuropa in Deutschland ausgebeutet werden, damit skrupellose Firmen milliardenschwere Gewinne einfahren."
Heil will im Sommer einen Gesetzentwurf vorlegen, um von 2021 an Werkverträge in der Branche weitgehend zu verbieten. Dann könnte die komplette Ausführung von Schlachtarbeiten nicht mehr an Sub-Unternehmen ausgelagert werden.