Fall Oury Jalloh Neues Gutachten nährt alte Zweifel
Im Jahr 2005 starb der Asylbewerber Oury Jalloh in einer Polizeizelle. Er soll sich den Behörden zufolge selbst angezündet haben. Doch ein neues Gutachten hält einen Tod durch Fremdeinwirkung für wesentlich wahrscheinlicher.
Vor 17 Jahren verbrannte der aus Afrika stammende Asylbewerber Oury Jalloh in einer Polizeizelle in Dessau. Bis heute sind die genauen Hintergründe seines Todes unklar. Ein neues Gutachten kommt zu dem Schluss, dass der damals 36-Jährige mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Zelle angezündet wurde.
Das neue Gutachten geht auf die Bemühungen der "Initiative in Gedenken an Oury Jalloh" zurück und basiert auf der Einschätzung des britischen Brandsachverständigen Iain Peck.
Zelle originalgetrau nachgebaut
Dafür wurde die Zelle 5 im Keller des Polizeireviers Dessau originalgetreu nachgebaut, um die Vorgänge aus dem Jahr 2005 in Echtzeit nachstellen zu können. Einzig eine Wand des Versuchsaufbaus bestand aus feuerfestem Glas, damit dahinter befindliche Kameras die Vorgänge in der Zelle festhalten können.
Der Version der Behörden zufolge entzündete sich Jalloh in seiner Zelle selbst, trotz Fixierung an seiner Matratze. Zu dem Zeitpunkt soll er unter Alkohol- und Drogeneinfluss gestanden haben.
Beim Versuch des Forensikers Peck wurde eine Person, die die gleiche Größe wie Jalloh hat, ebenfalls an einer Matratze festgebunden. Mehrere Anläufe haben laut Gutachten gezeigt, dass Jalloh nicht den Bewegungsspielraum gehabt hatte, um sich selbst anzuzünden.
Brandverlauf wohl nur mit Benzin möglich
Im weiteren Verlauf der Nachstellung wurde ein Dummy aus Schweinestücken und Schweinehaut mit den Körpermaßen von Jalloh auf der feuerfesten Matratze angezündet. Doch bei mehreren Versuchen gelang es nicht, dieselben Verbrennungsspuren zu hinterlassen, wie sie in Jallos Zelle aufgetreten waren. Erst als der Dummy mit 2,5 Litern Benzin übergossen und anschließend angezündet wurde, entstand ein Bild mit vergleichbaren Brandschäden. Auch der künstlich nachgestellte Körper habe sich in einem ähnlichen Zustand befunden wie die Leiche des Asylbewerbers.
Peck vertritt die Auffassung, dass die Abläufe in der Nacht des Geschehens 2005 und bei dem Versuch mit hoher Wahrscheinlichkeit übereinstimmen: Dass Jalloh also mit dem Benzin übergossen und dann angezündet wurde. Ohne Benzin wären aus Sicht des Forensikers ein solches Feuer und so starke Brandspuren nicht möglich gewesen.
Zweifel an offizieller Version der Behörden
Bereits in der Vergangenheit hatten andere Gutachten die Schilderung der Behörden in Zweifel gezogen. So kamen etwa im Jahr 2017 mehrere Sachverständige aus den Bereichen Brandschutz, Medizin und Chemie zu dem Schluss, dass ein Tod durch Fremdeinwirkung wahrscheinlicher sei als durch eigenes Verschulden. Rund zwei Jahre später erhoben zwei Sonderermittler in ihrem Bericht schwere Vorwürfe gegen die Polizei und zuständigen Behörden. Ihr Fazit: Von der Festnahme bis hin zur Nacht des Todes Jallohs sei so gut wie jede polizeiliche Handlung fehlerhaft oder rechtswidrig gewesen.
Familie will Fall neu aufrollen lassen
Basierend auf dem neuen Gutachten wollen Familie und Angehörige Jallohs versuchen, den Fall des 36-Jährigen neu aufrollen zu lassen. Sie fordert von der Bundesanwaltschaft die Wiederaufnahme von Ermittlungen wegen Mordes gegen Polizeibeamte des Reviers. Zudem kündigte die Familie an, eine Anzeige wegen Strafvereitelung im Amt gegen die Generalstaatsanwaltschaft von Sachsen-Anhalt stellen zu wollen, hieß es von der "Initiative in Gedenken an Oury Jalloh". Die Generalstaatsanwaltschaft des Bundeslandes hatte ihre Ermittlungen in dem Fall 2018 eingestellt.