Reaktionen auf Kemmerichs Wahl "Bitterer Tag für die Demokratie"
Gewählt mit den Stimmen der AfD: Die bundespolitischen Reaktionen auf die Ereignisse in Erfurt fallen überwiegend scharf aus. Ein Wort dominiert: "Dammbruch".
Nach der Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerichs zum neuen Ministerpräsidenten Thüringens ist in der Bundespolitik eine heftige Debatte über den Ausgang und insbesondere die FDP ausgebrochen.
"Vernünftige Politik für Thüringen"
Bei den Liberalen auf Bundesebene führte der politische Coup teilweise zu Jubel. FDP-Vize Wolfgang Kubicki sieht in der Wahl Kemmerichs einen großen Erfolg für den Kandidaten seiner Partei. "Ein Kandidat der demokratischen Mitte hat gesiegt. Offensichtlich war für die Mehrheit der Abgeordneten im Thüringer Landtag die Aussicht auf fünf weitere Jahre Ramelow nicht verlockend", sagte er. Jetzt gehe es darum, eine vernünftige Politik für Thüringen voranzutreiben. Daran sollten alle demokratischen Kräfte des Landtages mitwirken. Offenbar mit Blick auf die Wahl Kemmerichs auch durch die AfD sagte der FDP-Politiker: "Was die Verfassung vorsieht, sollte nicht diskreditiert werden."
Ungeteilt ist die Freude bei der FDP allerdings nicht. Die Bundestagsabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann twitterte, sie schätze Kemmerich persönlich. Sie verstehe seinen Wunsch, Ministerpräsident zu werden. Sich aber von jemandem wie (Björn) Höcke (AfD) wählen zu lassen, sei unter Demokraten inakzeptabel und unerträglich. "Es ist daher ein schlechter Tag für mich als Liberale."
FDP-Bundestagsfraktionsvize Michael Theurer sagte der "Augsburger Allgemeinen", die Bundesspitze seiner Partei habe Kemmerich von einer Kandidatur bei der Ministerpräsidentenwahl abgeraten. "Die Bundesspitze der FDP hat der Thüringer FDP von einer Kandidatur abgeraten, sie hatte weder die Unterstützung noch die Billigung der Bundesspitze."
"Steigbügelhalter der rechtsextremen AfD"
Im linken Lager der Bundesrepublik herrscht dagegen Ärger und Enttäuschung. Der Parteichef der Linken, Bernd Riexinger, sprach von einem "Dammbruch". "FDP und CDU werden damit zum Steigbügelhalter der rechtsextremen AfD“, sagte Riexinger. "Der gewählte Kandidat hat weder eine Koalition noch ein Regierungsprogramm oder eine Regierung. Die Zeichen stehen auf Neuwahl." Der Linken-Chef sprach von einem "bitteren Tag für die Demokratie".
Auch Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch sprach in den Zeitungen des Redaktionnetzwerks Deutschland von einem "Dammbruch sondergleichen". Er forderte Kemmerich zum sofortigen Rücktritt auf. "Wer sich mit den Stimmen der Höcke-Partei zum Regierungschef wählen lässt, darf nicht lange Ministerpräsident bleiben", sagt er.
"Gefährliches Spiel ohne Skrupel"
SPD-Chef Norbert Walter-Borjans warf CDU und FDP vor, in Thüringen einen "unverzeihlichen Dammbruch" ausgelöst zu haben. "Dass die Liberalen den Strohmann für den Griff der Rechtsextremisten zur Macht geben, ist ein Skandal erster Güte", schrieb Walter-Borjans auf Twitter. "Da kann sich niemand in den Berliner Parteizentralen wegschleichen."
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil hat die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum neuen Ministerpräsidenten in Thüringen als "historischen Tiefpunkt der deutschen Nachkriegsgeschichte" bezeichnet. Dies gelte "nicht nur für Thüringen, sondern für ganz Deutschland", erklärte er a. Die FDP habe sich von der AfD, die mit ihrem Thüringer Landes- und Fraktionschef Björn Höcke "einen waschechten Faschisten in den eigenen Reihen hat, an die Macht wählen". Die CDU spiele ihrerseits "das gefährliche Spiel ohne Skrupel einfach mit", erklärte Klingbeil.
"Amt unverzüglich niederlegen"
Die Grünen bezeichneten die Wahl des FDP-Politikers als "Kulturbruch". Sie forderten ihn zum sofortigen Amtsverzicht auf. CDU und FDP in Thüringen hätten bewusst einen Ministerpräsidenten mit den Stimmen der AfD gewählt, erklärten die Spitzen von Partei und Fraktion. "Wir sind entsetzt von der Ruchlosigkeit und Verantwortungslosigkeit von CDU und FDP in Thüringen."
"Wir erwarten von Thomas Kemmerich, dass er das Amt unverzüglich niederlegt", hieß es in der gemeinsamen Erklärung der Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck sowie den Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter.