Linkspartei will Parteiprofil stärken Der lange Schatten des Oskar Lafontaine
Nach internen Querelen will die Linkspartei ihr Profil stärken. Das erklärten die Parteispitzen in einem Strategiepapier. Aus Sicht des Politikexperten Neugebauer ist das nötig: Weil die Spitze an der Strategie von Ex-Chef Lafontaine festhalte, sei die Partei bei vielen Themen kaum präsent, sagte er tagesschau.de.
tagesschau.de: Die Spitze der Linkspartei überprüft die eigene Strategie - warum?
Gero Neugebauer: Die Linkspartei hat festgestellt, dass sie beim Wähler nicht so richtig ankommt, sie stagniert in den Umfragen, sie findet kaum noch Berücksichtigung in den Medien. Daher muss sie ihr Profil schärfen, um wieder mehr Aufmerksamkeit zu erlangen.
tagesschau.de: Welche Akzente konnten die Parteivorsitzenden bislang setzen?
Neugebauer: Keine. Weder Gesine Lötzsch noch Klaus Ernst konnten neue Duftmarken setzen. Ernst wird eher als Gewerkschaftsfunktionär mit Parteifunktion wahrgenommen, der glaubt, die Partei wie eine Gewerkschaft führen zu können, was auf Widerstand in den Landesverbänden stößt. Und Lötzsch war lange im Westen nicht präsent. Nur mit Mühe kann die Linksfraktion Geschlossenheit präsentieren - aber eine Geschlossenheit der ganzen Partei bundesweit? Nein. Solche Probleme haben CDU und SPD teilweise auch. Aber sie lähmen die Parteien nicht so sehr.
Gero Neugebauer studierte Politik- und Sozialwissenschaften. Bis 2006 unterrichtete er hauptamtlich am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. Er war dort danach als Lehrbeauftragter tätig und arbeitet als politischer Publizist. Schwerpunkte seiner Forschung sind das deutsche Parteiensystem sowie Wahlen und Wahlverhalten.
tagesschau.de: Warum konnten Lötzsch und Ernst bislang so wenig öffentliche Wirkung erzielen?
Neugebauer: Die Koordination zwischen Fraktions- und Parteiführung ist ein Problem. Wer repräsentiert eigentlich die Linkspartei? Da hat die Fraktion eindeutig mit Gregor Gysi die Nase vorn. Lötzsch und Ernst sind Gysis Stellvertreter - und gleichzeitig Parteivorsitzende. Da gibt es eine enge Verzahnung von Amt und Mandat - anders als beispielsweise bei den Grünen. Zudem ist der ehemalige Parteichef Oskar Lafontaine nicht auf den Malediven, sondern im Saarland. Er hat weiterhin Vertraute in der Parteiführung, die an jedem Werktag anrufen, um Probleme zu diskutieren.
tagesschau.de: Wie ist die Partei programmatisch aufgestellt?
Neugebauer: Lafontaine hatte die Strategie ausgegeben, das Programm sei gar nicht so wichtig, wichtig sei, was die Bundestagsfraktion mache. Und die Fraktion muss sich demnach im Wesentlichen auf sozialpolitische Ziele und Friedenspolitik - also Hartz IV, Rente mit 67 und den Afghanistan-Einsatz, konzentrieren. Lötzsch und Ernst folgen noch dieser Ziel- und Strategiesetzung. Dies hat dazu geführt, dass die Linkspartei bei anderen Themen kaum präsent ist. Sie wird beispielsweise in der Atompolitik gar nicht gehört. In der Partei sorgt das für Frustration.
tagesschau.de: Was kann die Partei dagegen tun?
Neugebauer: Sie müsste ihr Angebot ausweiten, konkrete politische Themen besetzen - beispielsweise zur Rentenversicherung oder Gesundheitsversorgung. Die Parteiführung muss sich zudem fragen, wen spricht sie eigentlich noch an?
tagesschau.de: Wen vertritt die Linkspartei denn?
Neugebauer: Insbesondere in Ostdeutschland ist sie in bildungsstarken und einkommensstarken Milieus vertreten. Hinzu kommen gewerkschaftlich geprägte Anhänger. Und hinzu kommt das so genannte abgehängte Prekariat. Das sind Leute, die sagen, wir haben den Anschluss an die Gesellschaft und die Hoffnung auf die Politik längst verloren.
tagesschau.de: Das sind bemerkenswert unterschiedliche Milieus. Wie kann die Parteiführung diese repräsentieren oder sogar miteinander verbinden?
Neugebauer: Die Parteiführung kann nicht alle Strömungen repräsentieren. Daher dauert es auch, bis man sich neuen Themen zuwenden kann, die weder was mit Klassenkampf, Hartz IV oder mit Rente mit 67 zu tun haben. Die Partei kann zudem die Milieus, in denen sie vertreten ist, zurzeit nicht miteinander verbinden. So gibt es beispielsweise Linken-Wähler, die tolerante Haltungen gegenüber Ausländern vertreten, diese Haltungen sind in anderen Milieus der Linken nicht anzutreffen. Das sind dann Leute, die Lafontaine zustimmen, wenn er sagt, man müsse deutsche Arbeiter vor Gastarbeitern schützen. Da sind sie sich überhaupt nicht einig.
tagesschau.de: Viele progressive Kräfte werden durch solche Rhetorik abgeschreckt. Kann die Linkspartei dennoch auch neue Wähler erreichen?
Neugebauer: Wenn die Linke so operiert, wie sie gegenwärtig agiert, dann bleibt sie in derzeitigen Milieus verhaftet. Denn es gibt viele linke Themen, wie Geschlechter-, Rechts- oder Migrationspolitik, bei denen die Linkspartei keine Angebote macht. Auch Demokratisierungsprozesse spielen kaum eine Rolle.
tagesschau.de: Das "Problem" Linkspartei scheint für die SPD also gar nicht unbedingt so bedrohlich wie zwischenzeitlich angenommen?
Neugebauer: Es gibt Personen in der Linken, die warnen, man darf nicht bei den sozialpolitischen Themen stehen bleiben. Denn dann ist die Partei sofort verloren, wenn die Sozialdemokratie aufsteht und sagt, komm wir reden über Mindestlohn und klauen der Linken ihre Alleinstellungsmerkmale.
tagesschau.de: Die Linkspartei hat sich als erste echte gesamtdeutsche Partei gefeiert. Ist sie das denn überhaupt?
Neugebauer: Die Linkspartei ist noch nicht einig. Da prallen unterschiedliche Positionen und Kulturen aufeinander: Gewerkschaftliche Aktivisten auf marxistische Dogmatiker beispielsweise. Die ostdeutschen Landesverbände sind stabil, haben Geld. Sie haben Regierungserfahrung und einen mehr als 15-jährigen Diskussionsprozess hinter sich gebracht über ihre Position im parlamentarischen System. Gleichzeitig werden in einigen westdeutschen Landesverbänden noch grundlegende politische Auseinandersetzungen geführt. Das ist ein Problem, welches die Linkspartei noch länger mit sich herumtragen wird.
Das Interview führte Patrick Gensing, tagesschau.de