Körber-Preis für Stammzellenforscher Ersatzorgane aus der Petrischale
Stammzellen können alle Zelltypen des Körpers bilden. Der Mediziner Clevers fand heraus, wie sich damit Mini-Organe nachbauen lassen - und ermöglicht damit völlig neue Krebstherapien. Dafür erhielt er nun den mit 750.000 Euro dotierten Körber-Preis.
Der Zellhaufen, den der niederländische Mediziner Hans Clevers 2009 der Öffentlichkeit präsentierte, war nur wenige Millimeter groß - doch er sorgt bis heute für großen Wirbel in der Wissenschaftswelt. Clevers hat es als erster Forscher geschafft, adulte Darm-Stammzellen zu identifizieren, dem Körper zu entnehmen und daraus innerhalb von vier Monaten einen dreidimensionalen Mini-Darm zu züchten. Für diese Entdeckung erhielt er heute den mit 750.000 Euro dotierten Körber-Preis.
Gezielte Krebstherapien
Der Kern der Entdeckung ist ein Rezeptor (Lgr5), der nur bei Stammzellen vorkommt und mit dem sie sich gezielt isolieren lassen. Das ist deshalb bedeutend, weil diese Ursprungszellen sich unbegrenzt vermehren und alle Zelltypen des Körpers bilden können: Muskelzellen, Nervenzellen oder Blutzellen. Diese Fähigkeit der Stammzellen bezeichnet man als Pluripotenz. Außerhalb des Körpers lassen sich aus ihnen rudimentäre Mini-Organe entwickeln - sogenannte Organoide.
Ein Beispiel: Mit Stammzellen, die dem Darm eines Patienten entnommen werden, kann in der Petrischale ein "Mini-Darm" gezüchtet werden. Wichtig dabei: Das Labor-Organ hat den gleichen genetischen Code wie der echte Patient. Daher lassen sich an dem Labor-Organ gezielt individuelle Medikamente entwickeln - die dem Patienten garantiert helfen, da es ja an Gewebe mit dem gleichen Gen-Code getestet wurde, nur eben außerhalb seines Körpers. Personalisierte Medizin nennt sich das Verfahren - es ist aktuell eines der wichtigsten Forschungsfelder. Denn so wird der Nutzen von Medikamenten maximiert und das Risiko von Nebenwirkungen minimiert.
"Immenses Potenzial"
"Das Potenzial dieser Forschung ist immens", sagt der Molekularbiologe Professor Rüdiger Wehner, der Mitglied in der Fachjury der Körberstiftung ist. "Bei Tumorpatienten beispielsweise können wir mit Stammzellen aus der Wucherung einen Mini-Tumor im Reagenzglas nachbauen - und dann in Ruhe und außerhalb des Körpers herausfinden, welcher Stoff gezielt gegen diesen speziellen Tumor wirkt. Wir müssen den Patienten nicht mehr mit Breitband-Chemotherapie behandeln - das erspart ihm enorme Risiken." Inzwischen züchten weltweit über 200 Labore Organoide, darunter Mini-Mägen, winzige Nieren und zwergenhafte Lebern.
Hilfe bei Gendefekten
Doch nicht nur bei Krebspatienten kommt die Technik zum Einsatz. So können etwa Verbrennungsopfer profitieren, wenn aus ihren Stammzellen neue Haut im Reagenzglas heranwachsen kann.
Clevers‘ Forschungsschwerpunkt ist die Erbkrankheit Mukoviszidose. Bei dieser erblichen Stoffwechselstörung ist der Wassereinfluss in die Zellen gestört. Folgen sind Atemprobleme, wenn die Lunge verschleimt, oder Verdauungsprobleme, wenn der Darm betroffen ist. 2013 gelang es Clevers, Darm-Stammzellen von Patienten von diesem Gendefekt zu befreien. Dazu nutzte er ein weiteres (von anderen Forschern entwickeltes) Gentechnik-Verfahren (CRISPR/Cas9). Organoide, die er aus den behandelten Stammzellen in der Petrischale erzeugt, waren von Mukoviszidose geheilt.
Ersatz-Organe aus dem Labor?
Einige Forscher träumen sogar davon, mit dieser Technik ganze Organe im Labor züchten zu können. "Prinzipiell ist das nicht ausgeschlossen", sagt Experte Wehner. "Die große Herausforderung dabei ist aber nicht nur, die Organe außerhalb des Körpers zu züchten, sondern sie hinterher auch erfolgreich in den Körper zu integrieren und ihre Funktion zu gewährleisten."
Hoffnung macht dabei ein Forschungsprojekt von Hans Clevers mit Mäusen. Dabei konnte der Niederländer nachweisen, dass reimplantierte Leber-Organoide tatsächlich Leberfunktionen bei den Tieren übernehmen können. Dies zeigt die prinzipielle Eignung des gezüchteten Gewebes als Ersatzorgan. "Bei homogenen Organen wie der Leber ist dies am ehesten denkbar", erläutert Biologe Wehner. "Bei komplexeren Organen wie der Lunge oder dem Gehirn dürfte das erheblich schwerer sein."
Ethisch unbedenklich
Weiterer Nebeneffekt: Auch Tierversuche könnten so überflüssig werden. Denn Medikamente könnten direkt an den künstlichen Organen getestet werden. Und auch die Risiken bei Feldversuchen mit Menschen würden deutlich reduziert. Ethisch bedenklich ist diese Form der Stammzellenforschung dabei nicht, denn sie verwendet nur adulte Stammzellen.
Im Gegensatz zu embryonalen Stammzellen, die nur in frühen Embryonen vorkommen, sind adulte Stammzellen nach der Geburt im Körper vorhanden. Im Dünndarm erneuern sie beispielsweise regelmäßig dessen Innenhaut. "Man entnimmt nur eine oder mehrere Stammzellen – das ist nicht schlimmer, als Blut abzunehmen, der Organismus wird dadurch nicht geschädigt", erklärt Wehner.
Verfahren bekannter machen
Mit dem Preis hoffen die Verantwortlich der Körber-Stiftung, das Verfahren weiter voranzubringen. "Personalisierung ist der Schlüssel zur Medizin der Zukunft, aber das Feld ist noch lange nicht ausreichend erforscht", sagt Rüdiger Wehner. Mediziner müssten ausgebildet werden, Kliniken die Methode annehmen. Und: Weitere Gentechnikverfahren müssten entwickelt werden, um die verschiedenen Krankheiten auch effektiv in der Petrischale zu bekämpfen. Dann, so sagen Experten, könnte die Entdeckung von Hans Clevers ein neues Kapitel der Medizin begründen.
Adulte Stammzellen kommen in zahlreichen Organen des Körpers vor. Gewebe, das aus den Stammzellen eines Patienten entwickelt wurde, wird von dessen Körper in der Regel nicht abgestoßen. Zudem lassen sich die Zellen relativ leicht in andere Zelltypen umwandeln. So wandern Stammzellen aus dem Knochenmark auch auf natürliche Weise in die Leber ein. Ethische Bedenken gibt es bei ihrem Einsatz nicht - der Organismus wird bei der Entnahme nicht geschädigt.
Embryonale Stammzellen
Embryonale Stammzellen können sich unentwegt weiter teilen und im Körper noch zu mehr als 200 verschiedenen Gewebesorten heranwachsen. Sie werden daher als omnipotent bezeichnet. Die Forschung ist sehr umstritten: Bei der Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen werden die verwendeten Embryonen in der Regel zerstört. Daher sind diese Methoden in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz verboten. Nur die Erzeugung embryonaler Stammzellen aus abgetrieben Föten ist unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt.