Teilnehmer der Sondierungsgspräche stehen auf dem Balkon der Parlamentarischen Gesellschaft

Dobrindt und Trittin Zur Liebe gezwungen

Stand: 02.11.2017 16:16 Uhr

Nicht nur wegen inhaltlicher Differenzen stocken die Jamaika-Gespräche. Teilen von CSU und Grünen fällt es schwer, ihre über Jahrzehnte gewachsene politische Feindschaft aufzugeben. Besonders zwei Personen stehen im Fokus.

Von Julian Heißler, ARD-aktuell

Wenn die Luft im Reichstagspräsidentenpalais wieder einmal zu dick wird, gehen die Jamaika-Sondierer gern auf den Balkon mit Blick auf die Spree um ein bisschen durchzuatmen. In Kleingruppen stehen sie dann zusammen, bunt gemischt durch vier Parteien: Angela Merkel mit Christian Lindner und Katrin Göring-Eckardt, Joachim Herrmann mit Cem Özdemir, Andreas Scheuer und Michael Kellner. Eine Kombination haben die Fotografen bislang allerdings noch nicht einfangen können - vermutlich weil die beiden sich nur ungern gemeinsam auf einem Bild sehen möchten: Jürgen Trittin und Alexander Dobrindt.

Jürgen Trittin

Ex-Umweltminister Trittin gilt als großer Skeptiker in seiner Sondierungsgruppe.

Der Ex-Umweltminister und der CSU-Landesgruppenchef gelten als die größten Skeptiker in ihren Sondierungsgruppen, wenn es um die Bildung einer Koalition von Christsozialen bis Grünen geht. Und beide sind rote Tücher für die Basis der jeweils anderen Partei. Viele Grüne sehen in Dobrindt einen chronischen Provokateur und Erfüllungsgehilfen der Automobilindustrie. Trittin wiederum gilt an der CSU-Basis als kaum geläuterter Steineschmeißer und Bürgerschreck.

"Doof, doofer, Dobrindt"

Ganz unschuldig sind beide an diesen Vorbehalten nicht. Dobrindt schoss schon in seiner Zeit als CSU-Generalsekretär mit Vorliebe auf die Grünen. Eine Äußerung über den Ex-Bundestagsabgeordneten Volker Beck wurde ihm gar gerichtlich verboten. Sanft ist der trotzdem nicht geworden. Noch kurz vor der Wahl nannte er etwa Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter einen "rhetorischen Neandertaler". Jetzt verhandeln beide über Verkehrspolitik.

Alexander Dobrindt

Dobrindt schoss schon in seiner Zeit als CSU-Generalsekretär mit Vorliebe auf die Grünen.

Auch Trittin arbeitet sich gern an dem CSU-Politiker ab. Bereits vor fünf Jahren führte er die Steigerungsform "doof, doofer, Dobrindt" ein. In der Dieselaffäre rief er den damaligen Verkehrsminister in nicht gerade diplomatischen Tönen zum Rücktritt auf, nannte ihn den "obersten Vertuscher" von Dieselgate.

"Vertrauen ist unverzichtbar"

Trittin gegen Dobrindt. Grüne gegen CSU. Wie diese Gräben zugeschüttet werden sollen, ist völlig offen - und dass nicht nur in inhaltlichen Fragen, wo die Parteien etwa bei den Themen Zuwanderung, Klimaschutz und Verkehr teils meilenweit auseinander liegen. Auch die atmosphärischen Störungen zwischen den potenziellen Koalitionären müssen ausgeräumt werden. "Eine Vertrauensbasis ist unverzichtbar für ein belastbares Bündnis", sagt Peter Ramsauer, Ex-Vorsitzender der CSU-Landesgruppe, zu tagesschau.de.

Ramsauer erinnert sich noch gut an die Sondierungsgespräche zwischen Union und Grünen vor vier Jahren. Zunächst sei alles vielversprechend verlaufen, sagt er. Doch dann habe Trittin plötzlich "Giftforderungen" präsentiert, die für die Union nicht akzeptabel gewesen sein. Kurz darauf hätten die Grünen die Gespräche abgebrochen. "Die Realos wollten eine Koalition, aber Trittin hat sie zerschmettert", so Ramsauer.

Distanz zu Trittin

Der CSU-Mann ist nicht der einzige Unionspolitiker, der diese Version erzählt. Trittins Anhänger erinnern sich jedoch anders. Sie sprechen von "Legendenbildung", verweisen auf unüberbrückbare inhaltliche Differenzen zwischen Union und Grünen, etwa beim Klimaschutz. Aber auch manche Parteifreunde schieben Trittin gern den Schwarzen Peter für das Scheitern der Gespräche zu. Damals, im Herbst 2013, sahen sie ihre Chance gekommen, den Altvorderen endlich zur Seite zu räumen.

Trittin musste damals die Verantwortung für das schwache Wahlergebnis übernehmen. Seine Kritiker warfen ihm vor, die Partei durch ein unbeliebtes Steuerkonzept und seine Verstrickung in die Pädophilenaffäre Stimmen gekostet zu haben. Trittin galt als Auslaufmodell, mit dem die neue Führung um Göring-Eckardt und Özdemir wenig zu tun haben wollte. Noch Wochen vor der Wahl in diesem September schloss die Spitzenkandidatin aus, dass Trittin in Verhandlungen über eine Regierungskoalition eine Rolle spielen würde.

Jürgen Trittin

Trittin musste 2013 die Verantwortung für das schwache Wahlergebnis übernehmen.

Erfahrener Verhandler

Da hat sie sich getäuscht. Nachdem die Partei auch diesmal ihre Wahlziele (ein zweistelliges Wahlergebnis, drittstärkste Kraft im Bundestag) verfehlte und nun nicht aus einer Position der Stärke heraus über eine Jamaika-Koalition verhandelt, führte kein Weg daran vorbei, den Politikprofi Trittin erneut ins Verhandlungsteam aufzunehmen.

Schließlich hat kaum ein andrer Grünen-Politiker so viel Erfahrung mit komplexen Verhandlungen wie er. Trittin führte bereits mehrfach erfolgreiche Gespräche, die zu einer Regierungsbildung führten: In Niedersachsen 1990, im Bund 1998 und 2002. Und er verhandelte als Umweltminister den Atomausstieg der Regierung Schröder mit den großen Energiekonzernen.

Drahtseilakt für den Grünen

In den aktuellen Gesprächen hält sich Trittin dem Vernehmen nach vor allem zurück. Er muss auch nicht viel sagen. Allen Beteiligten ist klar, dass eine Koalition nur dann zu Stande kommt, wenn der Grüne den linken Flügel seiner Partei davon überzeugen kann, dass Jamaika auch in ihrem Interesse ist. Ein Drahtseilakt für Trittin. Sollten die Gespräche an seinen Forderungen scheitern, würde er ein zweites Mal als der Mann gelten, der die Grünen von der Macht fern hält. Ist er zu nachgiebig, verliert er bei seinen Unterstützern an Glaubwürdigkeit. Seine Teilnahme an den Sondierungen sei für ihn deshalb auch ein Risiko, heißt es in Trittins Umfeld.

Zumindest dieser Gefahr sieht sich Trittins entschiedenster CSU-Gegenspieler nicht ausgesetzt. Als Landesgruppenchef und damit mächtigster Christsozialer in der Hauptstadt nimmt Alexander Dobrindt ganz selbstverständlich an den Jamaika-Gesprächen teil.

Dobrindt äußert Skepsis

Den CSU-Mann verbindet eine lange, herzliche Abneigung mit den Grünen. Als Generalsekretär drosch er teils heftig auf die Partei ein, um in Bayern die absolute Mehrheit für die CSU zurückzugewinnen. "Die Grünen sind im Kern immer noch die alte anti-bürgerliche Chaoten- und Steinewerfer-Partei von vor 30 Jahren", so Dobrindt damals.

Alexander Dobrindt

Alexander Dobrindt verbindet eine lange, herzliche Abneigung mit den Grünen.

In der CSU halten viele ein Bündnis mit den Grünen mit Blick auf die bayerische Landtagswahl im kommenden Jahr dann auch für ein Risiko. Dobrindt wird deshalb nicht müde, seine Vorbehalte öffentlich zu machen. "Jetzt ist Tofu in die Fleischsuppe gefallen", warnte er kurz nach der Bundestagswahl mit Blick auf Jamaika. Später stellte er klar, seine Partei werde "keine linken Spinnereien dulden". Erst vor wenigen Tagen warnte er erneut, dass die Grünen das "Scheitern von Jamaika" provozierten.

"Man kann den Grünen nicht vertrauen"

Das zeigt, wie viel noch zwischen den Sondierern steht. Die Atmosphäre zwischen Union und Grünen sei in den vergangenen Jahren kaum besser geworden, sagt CSU-Mann Ramsauer. "Aus meiner Erfahrung darf man sich nicht darauf verlassen, dass Absprachen mit den Grünen auch eingehalten werden", sagt er. Auf Bundesebene sei die Partei viel mehr von Figuren wie Trittin geprägt als von Realos wie Winfried Kretschmann oder Tarek Al-Wazir. Die notwendige Basis für eine Koalition sieht er nicht. "Man kann den Grünen nicht vertrauen", so Ramsauer.

Auch bei Trittins Anhängern ist das Misstrauen gegenüber der CSU groß. Beiden Seiten ist jedoch klar, wie groß der Einigungsdruck ist. Zwar hoffen manche in der Union heimlich noch darauf, dass die SPD sich doch noch von ihrem Oppositionskurs verabschiedet und für einen hohen Preis doch noch in eine Koalition eintritt, allerdings rechnet niemand fest damit. CSU und Grüne spüren damit den Druck, sich zusammenzuraufen. Sollte das auch passionierten Streithähnen wie Dobrindt und Trittin gelingen, wäre es ein großer Schritt in dieser Richtung.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 02. November 2017 um 11:00 Uhr.