Interview

Simonis zum Wahl-Drama in Thüringen "Sie versuchen es immer mit Frauen"

Stand: 30.10.2009 16:53 Uhr

Lieberknechts Wahl im dritten Wahlgang löste bei Ex-Ministerpräsidentin Simonis ein Déjà vu aus: Gründe für solche Zitterpartien kennt sie aus leidvoller eigener Erfahrung. Im tagesschau.de-Interview sagt Simonis, was sie bei ihrem Scheitern 2005 fühlte und womit Lieberknecht künftig kämpfen muss.

tagesschau.de: Christine Lieberknecht ist in den ersten beiden Wahlgängen durchgefallen. Ist das für Sie ein Déjà-vu-Erlebnis?

Heide Simonis: Mir hat es zunächst die Sprache verschlagen. Jetzt komme ich wieder zu mir und sage: Es wundert mich nicht. Sie versuchen es halt immer mit Frauen.

tagesschau.de: Will man in Deutschland keine Frauen als Ministerpräsidenten?

Simonis: Ja, das glaube ich. Aber das gilt auch für andere Betätigungsfelder. Ich habe gelesen, dass es keine einzige Frau gibt, die in Deutschland als Vorstandsvorsitzende eines DAX-notierten Unternehmens agiert. Die Männer wollen uns nicht, sie mögen uns nicht. Zum Teil verachten sie uns sogar. Egal, ob es sich um einen Posten in der Wirtschaft oder einen hohen Posten in der Politik handelt: Frauen müssen immer kämpfen.

Heide Simonis
Zur Person

Heide Simonis war die erste Frau, die an die Spitze der Regierung eines Bundeslandes gewählt wurde. Zwischen 1993 und 2005 war sie Ministerpräsidentin in Schleswig-Holstein. 2005 verfehlte sie im Landtag in vier Wahlgängen die Mehrheit für eine weitere Amtsperiode.

"Ein Schuss aus dem Hintergrund ist gemein"

tagesschau.de: Tut Ihnen Christine Lieberknecht angesichts dieses Starts leid?

Simonis: Eigentlich tut mir jeder leid, der mit so einem Start anfangen soll. So ein überraschender Schuss aus dem Hintergrund ist gemein. Frau Lieberknecht wird leider in der ersten Zeit stark kämpfen müssen, um sich Anerkennung zu verdienen.

tagesschau.de: Es gab bereits im Vorfeld bei der SPD gewisse Widerstände. Trotzdem schien die Mehrheit sicher. Wie geht man in eine solche Wahl rein?

Simonis: Ich bin damals in die Wahl gegangen und war sicher, nach einem wunderbaren Wahlkampf gewählt zu werden. Und dann das: Da fallen sie aus allen Wolken und finden sich auf ihrem Popo wieder und schütteln den Kopf. Dann ist man hilflos, weil man nicht begreift, was in diesem Moment abgelaufen ist.

tagesschau.de: Wie ist es, wenn man im zweiten Wahlgang das gleiche Ergebnis hört?

Simonis: Man neigt dann dazu zu sagen: Ich lasse mich von Euch nicht nochmal so vorführen. Sucht euch jemand anderes. Aber genau das ist es ja, was die wollen. Ich jedenfalls hatte im vierten Wahlgang das Gefühl: Ich bin im Irrenhaus.

Heide Simonis 2005 im Landtag

Am 17. März 2005 scheiterte Simonis' Wiederwahl am Widerstand eines Abgeordneten aus dem eigenen Lager. (Archivbild)

tagesschau.de: Warum lässt man sich angesichts der Unsicherheit auf einen letzten Wahlgang ein?

Simonis: Bei mir war die Überlegung, dass man von der Erfordernis der absoluten Mehrheit auf die relative kommt. Die ist leichter zu erreichen. Zweitens haben die Berliner auf uns eingeredet, dass wir es um jeden Preis noch einmal versuchen sollten, um Nordrhein-Westfalen eine gute Vorlage zu liefern.

tagesschau.de: Im Fall von Thüringen weiß man zwar nicht, aus welchem Teil der Koalition die Abweichler kamen. Aber war es aus Ihrer Sicht falsch, dass SPD-Landeschef Matschie trotz Widerständen auf Schwarz-Rot gesetzt hat?

Simonis: Ich weiß nicht, welche Koalitionsmitglieder gegen Frau Lieberknecht gestimmt haben. Höchtswahrscheinlich sind es auch SPD-Mitglieder, die den Landeschef nicht mehr unterstützen wollten. Das Auswechseln der Pferde hat die Leute irritiert. Erst sollte es eine rot-rote Koaliton sein, dann eine rot-schwarze.

"Das war ein bisschen irrational"

tagesschau.de: Die klare Mehrheit im dritten Wahlgang hatte offensichtlich damit zu tun, dass sich Bodo Ramelow zur Wahl stellte. Welche Rolle spielen er und die Linkspartei in diesem Zusammenhang?

Simonis: Ramelow scheint ein sehr ehrgeiziger, selbstbewusster, ein bisschen überheblicher Mann zu sein. Er hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Oskar Lafontaine. Als es im Parlament darum ging, Lieberknecht zu wählen, haben viele gesagt: Nein. Aber als es darum ging, Ramelow zu wählen, haben sie gesagt: Der ist ja noch schlimmer. Das Ganze ist wirklich irrational.

tagesschau.de: Ist dieser Start eine Niederlage für Frau Lieberknecht, für die CDU oder für die SPD?

Simonis: Es ist eine Niederlage für beide Koalitionspartner. Es wäre gut, wenn es ihr nicht so ergehen würde wie mir, wo selbst nach vier Jahren noch Leute sagen: Da ist ja immer noch der Heide-Mörder unterwegs.

tagesschau.de: Beschäftigt Sie das Thema Heide-Mörder immer noch?

Simonis: Nein, ich finde es ja nicht raus.

tagesschau.de: Würden Sie anstelle von Frau Lieberknecht die Suche anstellen, wer es gewesen sein könnte?

Simonis: Ich denke schon, dass einen das bewegt. Aber wenn sie klug ist, gibt sie dem nicht die erste Priorität. Die Menschen wollen, dass sie jetzt für das Land arbeitet.

tagesschau.de: Kann dieser Start der Ausgangspunkt für eine stabile Regierung sein?

Simonis: Das weiß ich nicht. Aber man sieht in Kiel, was läuft, wenn der Start so verkorkst ist. Das führt zu schweren gegenseitigen Verletzungen. Das kann man keinem wünschen.

Das Interview führte David Rose, tagesschau.de.