Streit um den Doktortitel "Schavans Plagiat war geschickt gemacht"
Annette Schavan fühlt sich unfair behandelt. Energisch bestreitet die Bildungsministerin eine Täuschungsabsicht und will gegen die Aberkennung des Doktortitels klagen. Wie also ist das Urteil und das Vorgehen der Uni Düsseldorf zu bewerten? Darüber sprach tagesschau.de mit dem Plagiatsexperten Stefan Weber.
tagesschau.de: "Vorsätzliche Täuschung" wirft die Universität Düsseldorf der Bundesbildungsministerin vor. Halten Sie den Entzug des Doktorgrades für zwingend?
Stefan Weber: Der Entzug des Doktorgrades war wegen der Vielzahl an Plagiatsstellen zwingend - die Universität Düsseldorf hatte keine Wahl. Es gibt in den Promotionsordnungen keine Verjährungsfrist. Mit der Lehrbuchliteratur der 1970er-Jahre wurde belegt, dass damals auch an dem Institut der Uni Düsseldorf klar vorgeschrieben war, was zulässig und was nicht zulässig war. Die Gesamtdokumentation der Plagiatsstellen umfasst rund 100 Seiten, und das macht das Ausmaß ihres Vorgehens deutlich.
Schavan hat immer wieder so getan, als habe sie sich mit Primärliteratur, mit Denkern beschäftigt. Die Interpretation dieser Denker hat sie jedoch immer wieder aus anderer Literatur übernommen, ohne sie zu nennen. Man muss das aus der Sicht des Lesers sehen. Sobald der Leser nicht mehr erkennen kann, dass die Autorschaft nicht von Frau Schavan stammt, dann ist es ein Plagiat. Dann kann es auch keine Milderung geben.
Er ist Lehrbeauftragter für Medientheorie an der Universität für angewandte Kunst Wien und beschäftigt sich seit 2002 auch wissenschaftlich mit der Plagiatsthematik.
Im Jahr 2007 arbeitete er an einer Google-kritischen Studie mit, die mit ihren Warnungen vor Netzplagiarismus eine internationale Debatte auslöste.
tagesschau.de: Die Ministerin weist aber jede Täuschungsabsicht von sich. Gab es vor 30 Jahren eine andere wissenschaftliche Praxis als heute? Wurde hier eine jahrzehntealte Arbeit mit Maßstäben von heute gemessen?
Weber: Genau das ist ja nicht geschehen. Auch ich habe mir die Lehrbuchliteratur der 1970er-Jahre bestellt, und aus der geht klar hervor, dass die Zitierregeln genauso streng wie heute waren. Alle, die den Fall kommentiert haben, haben sich angeschaut, welche Regeln damals herrschten. Und das ist Wissenschaft. Wir wollen nicht die Vergangenheit mit den Kriterien der Gegenwart beurteilen, wir wollen die Vergangenheit mit den Kriterien der Vergangenheit beurteilen.
tagesschau.de: Ist die Universität Düsseldorf in ihrem Prüfungsverfahren richtig vorgegangen? Hätte sie nicht einen externen Zweitgutachter bestellen müssen?
Weber: Die Universität hat völlig richtig gehandelt. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass eine externe Beurteilung bei Vorliegen der Plagiatsstellen nichts bringt. Sie bedeutet, dass jemand für irrsinnig viel Arbeit wenig Geld erhält. Er muss jede einzelne Stelle nachprüfen - und im Fall Schavan ist die Zahl der kritisierten Stellen ja von Monat zu Monat gewachsen - und müsste sich dafür beurlauben lassen. Das funktioniert nicht. Die Uni Düsseldorf konnte deshalb nur einen internen Prüfer beauftragen und es war goldrichtig, jemanden aus einem anderen Fach zu nehmen. Wäre es ein Prüfer aus dem eigenen Fach gewesen, hätte der auch unter dem Verdacht der Befangenheit gestanden.
"Schavan darf kein Einzelfall bleiben"
tagesschau.de: Muss die Uni Düsseldorf jetzt nicht fairerweise auch andere Doktorarbeiten aus dieser Zeit unter die Lupe nehmen?
Weber: Stichproben fordere nicht nur ich schon lange. Meines Wissens nach hat dies bislang nur die Universität Klagenfurt gemacht. Dort wurden im Jahr 2006 nach drei Plagiatsfällen Stichproben veranlasst und hunderte Doktorarbeiten digitalisiert. So ein umfangreiches Unterfangen kann aber eine Universität nur schwer bewältigen - es sei denn, man richtet eigene Stellen dafür ein. Aber ich habe schon vor der Entscheidung der Uni Düsseldorf in meinem Blog geschrieben: Wenn man Schavan den Doktortitel entzieht, muss man wahrscheinlich hunderte, wenn nicht Tausende Doktorgrade aus den vergangenen Jahrzehnten entziehen.
tagesschau.de: In Österreich gibt es eine zentrale Prüfungsstelle bei Plagiaten - wäre das nicht auch in Deutschland sinnvoll?
Weber: Die "Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität" wurde nach einer Häufung von Plagiatsfällen ins Leben gerufen, es gibt auch in den USA ein ähnliches Institut, und so etwas fehlt in Deutschland. Gerade die jüngsten Fälle zeigen, dass die Leute genau hinschauen wollen und dass auch die Universitäten derlei nicht mehr unter den Teppich kehren, sondern akribisch prüfen.
"Eine Verjährungsfrist wird nicht kommen"
tagesschau.de: Auch aus der Wissenschaft wird nun die Forderung erhoben, man müsse die Einführung einer Verjährungsfrist nachdenken. Was halten Sie davon?
Weber: Wenn eine solche Frist in den Promotionsordnungen enthalten wäre, würde sie auch gelten. Aber da sie derzeit nicht in den Promotionsordnungen steht, können wir diesen Aspekt bei der Beurteilung des Fall Schavans auch nicht heranziehen. Ich wäre zwar nicht dagegen, wenn man als Konsequenz aus dem Fall Schavan eine Verjährung einführt, auch um die Universitäten vor einer Vielzahl von Überprüfungsverfahren zu schützen. Dann müsste man aber auch erörtern, ob eine solche Verjährung für einen gewissen Zeitraum auch rückwirkend gilt - andernfalls wäre es möglicherweise unfair gegenüber Frau Schavan oder anderen. Und deshalb glaube ich nicht, dass eine solche Frist kommt.
tagesschau.de: Sehen Sie Parallelen oder gravierende Unterschiede zwischen dem Fall Schavan und dem Fall Guttenberg?
Weber: Es gibt hier gravierende Unterschiede - sowohl beim Plagiieren als auch bei den Betreuern. Der Betreuer der Guttenbergschen Dissertation hätte das Plagiat bemerken oder eine Plagiatssoftware bemühen müssen, mit der man relativ schnell die Plagiate entdeckt hätte. Bei Frau Schavan war es viel schwerer, auf das Plagiat zu kommen - weil das Plagiat so geschickt gemacht war. Deswegen hat der Betreuer im Fall Schavan - im Unterschied zum Fall Guttenberg - kaum Schuld. Mit den damaligen Mitteln hätte man diese Form des Plagiierens von Sekundärliteratur kaum entlarven können.
tagesschau.de: Gibt es beim Plagiieren auch deutliche Unterschiede?
Weber: Beide haben in persönlichen Zusammenfassungen Texte anderer verarbeitet, ohne dies zu kennzeichnen. Guttenberg war aber ein wesentlich massiverer Plagiator als Schavan. Aber: Nur weil jemand eine Million gestohlen hat, hat derjenige, der nur 100.000 geklaut hat, kein Bagatelldelikt begangen. Die deutschen Verwaltungsgerichte sind wesentlich strenger als die Universität Düsseldorf und haben schon Arbeiten als Plagiat gewertet, nur weil wenige Seiten oder einzelne Absätze als Plagiat erkannt wurden. Und das geschieht zum Schutz der Wissenschaft - zu recht. Die Zitierregeln sind einzuhalten. Kleine Versäumnisse mögen vorkommen, aber nicht an dutzenden Stellen.
Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de