Ärger über Altkanzler Schröder Die Ungeduld in der SPD wächst
Wird sich Ex-Kanzler Schröder von Russlands Präsident Putin distanzieren? Nichts deutet darauf hin, trotz aller Appelle aus seiner Partei. Damit gerät die SPD in Zugzwang - und ein Ordnungsverfahren rückt näher.
Donnerstagmittag in der vergangenen Woche. Im Bochumer Stadtteil Wattenscheid schalten sich Mitglieder des SPD-Ortsvereinsvorstandes Wattenscheid-Mitte/Westenfeld zusammen. Eigentlich geht es darum, Hilfs- und Solidaritätsaktionen vor Ort zu koordinieren. Es wird aber auch über Gerhard Schröder gesprochen. Der hat gerade bekanntgegeben, dass er keinen Anlass sieht, von seinen Mandaten in der russischen Gasindustrie zurückzutreten.
Den kommunalen SPD-Politikerinnen und -Politikern reicht es jetzt. Sie wollen, dass die SPD Konsequenzen zieht und den Ex-Kanzler und einstigen Vorsitzenden sanktioniert. Das Gremium kann keine Beschlüsse verfassen, dafür war das Treffen zu spontan. Man einigt sich deshalb darauf, die Mitgliederversammlung aufzufordern, über ein Parteiordnungsverfahren gegen Schröder zu beraten. Der Ortsvereinsvorsitzende Jan Bühlbecker twittert später, Schröder schade nicht nur der SPD, sondern auch dem Frieden in Europa. Da sei man sich einig.
Klingbeil hadert mit Nähe zu Schröder
Das Schröder-Statement in einem sozialen Medium beschäftigt auch die SPD in Berlin. In der Parteizentrale Willy-Brandt-Haus wird nachgedacht, wie man mit dem Ex-Chef umgehen soll. Besonders für SPD-Co-Chef Klingbeil ist das eine schwierige persönliche Entscheidung. Klingbeil hat seine politische Karriere als Mitarbeiter in Schröders Wahlkreisbüro begonnen. Die beiden verbindet über lange Jahre eine persönliche Freundschaft. Der Altkanzler ist auch Gast auf Klingbeils Hochzeit im August 2019.
Der SPD-Politiker denkt in diesen Tagen viel über sein Verhältnis zu Schröder nach. Soll er mit seinem früheren Förderer brechen, so wie zum Beispiel Angela Merkel es mit ihrem Wegbereiter Helmut Kohl gemacht hat? Klingbeil berät sich auch mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Weil. Als SPD-Landeschef ist er qua Amt für Schröder zuständig. Es gibt nochmal Gespräche mit dem Umfeld von Schröder. Doch der Altkanzler bleibt uneinsichtig.
Konzertierte Distanzierung der Parteispitze
Klingbeil entscheidet, jetzt ist der richtige Zeitpunkt. In seiner Rede zur Regierungserklärung von Olaf Scholz am vergangenen Sonntag will er Schröder öffentlich auffordern, sich von allen russischen Mandaten zurückzuziehen. Doch Corona kommt ihm dazwischen. Stattdessen geht er am Samstagnachmittag mit einem Facebook-Posting an die Öffentlichkeit. Klingbeil schreibt, er erwarte in diesen Tagen ein klares Verhalten von Gerhard Schröder. Mit einem Kriegstreiber wie Putin mache man keine Geschäfte. Es sei deshalb überfällig, die geschäftlichen Beziehungen zu Putin zu beenden.
Und Klingbeil ist nicht allein, weitere Spitzengenossinnen und -genossen schließen sich an. Fast zeitgleich gehen Statements auf Facebook, Instagram und Twitter online. Klingbeil, Weil, die stellvertretende SPD-Chefin Rehlinger und auch Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern fordern Schröder auf, sein Engagement in russischen Energieunternehmen zu beenden. Sie alle hatten mit ihrem Posting auf das Startsignal des Parteichefs gewartet.
Ordnungsverfahren oder Sofortmaßnahmen?
Doch Schröder reagiert nicht. Muss die Partei doch noch ein Ordnungsverfahren beschließen? Am Dienstagnachmittag tagt die SPD-Bundestagsfraktion. Wegen Corona nur digital. Auch hier wird über den Altkanzler gesprochen. SPD-Chef Klingbeil ergreift das Wort. Seine Kommunikation sei klar. Der Ball liege nun bei Schröder. Die Uhr ticke.
Trotzdem wird nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios in Parteivorstandskreisen noch über eine andere Möglichkeit gesprochen. Das Gremium könnte auch selbst aktiv werden und sogenannte Sofortmaßnahmen gegen Schröder beschließen. Normalerweise liegt ein Parteiordnungsverfahren zunächst beim für das Mitglied zuständigen Bezirk oder Unterbezirk. Beantragen kann das Verfahren aber jeder Ortsverein. Der Unterbezirk hat dann sechs Monate Zeit, ein Verfahren zu eröffnen. Dieses kann sich dann über mehrere Instanzen ziehen. Erfahrungsgemäß dauert es Jahre, bis es zu einem Ergebnis kommt.
Warten auf Schröders Reaktion
Allerdings kann auch der Parteivorstand Sofortmaßnahmen beschließen. Dazu heißt es im SPD-Parteistatut: "In Fällen, in denen eine schwere Schädigung der Partei eingetreten oder mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und das Parteiinteresse ein schnelles Eingreifen erfordert, können sowohl der zuständige Bezirksvorstand als auch der Parteivorstand das Ruhen aller oder einzelner Rechte aus der Mitgliedschaft für längstens drei Monate anordnen." Wären Sofortmaßnahmen der Ausweg?
Am Donnerstag tritt der Parteivorstand zu einer Online-Sitzung zusammen. Dort könnten solche Maßnahmen beschlossen werden. Für den Wattenscheider Ortsvereins-Chef Bühlbecker ist das ein denkbares Szenario. Er hofft aber noch auf ein Einlenken des Ex-Kanzlers. "Schröder bekommt gerade zurecht viel Druck von allen möglichen Genossinnen und Genossen - insbesondere von Saskia Esken und Lars Klingbeil. Er wäre gut beraten darauf zu reagieren, was aus seiner Partei an ihn herangetragen wird", sagte Bühlbecker dem ARD-Hauptstadtstudio. Er fügt aber an: Sollte Schröder die Appelle weiter ignorieren, "dann wäre ich auch für schnelle Sofortmaßnahmen."
Dass es dazu kommt, ist am Dienstagabend nochmal wahrscheinlicher geworden. Schröder hat nämlich inzwischen tatsächlich ein Aufsichtsratsmandat niedergelegt. Allerdings nicht in Russland, sondern beim deutschen Tunnelbohrmaschinenhersteller Herrenknecht. Deren Unternehmenschef hatte sich zuvor vom Putin-Regime distanziert.