Asyldebatte Rückführung um jeden Preis?
Aktuelle Zahlen zeigen: Es kehren weit weniger Flüchtlinge in ihre Herkunftsländer zurück als von der Bundesregierung erhofft. Die geplanten "Ankerzentren" würden das aber nicht unbedingt ändern.
Zuwanderung begrenzen, Familiennachzug deckeln, Abschiebungen erleichtern - die Botschaften, die aus der Bundesregierung und allen voran dem CSU-geführten Bundesinnenministerium kommen, sind eindeutig. Eine Situation wie 2015 soll sich nicht wiederholen, so steht es auch im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Und obwohl die aktuellen Zuwanderungszahlen weit davon entfernt sind, legt der zuständige Innenminister Horst Seehofer einigen Aktionismus an den Tag, um die Zahl der Zuwanderer und Asylbewerber, die in Deutschland leben oder hierher kommen wollen, zu verringern.
Nur jeder Dritte wird abgeschoben
Noch vor der Sommerpause will er einen "Masterplan für Migration" vorlegen. Das Ziel: Asylverfahren beschleunigen und die Hürden für Abschiebungen senken. Doch das ist kompliziert, wie die aktuelle Lage zeigt. 231.933 Personen waren zum Stichtag 31.03.2018 in Deutschland ausreisepflichtig. Von ihnen hatten jedoch 170.410 eine Duldung, das heißt ihre Abschiebung ist vorübergehend ausgesetzt, beispielsweise wegen Krankheit oder fehlender Papiere, weil dann nicht überprüft werden kann, wer sie wirklich sind oder woher sie kommen.
Es bleiben 61.523 Personen, die eigentlich abgeschoben werden müssten. In etwa genauso viele wie schon im Vorjahr. Dennoch wurden im gesamten Jahr 2017 lediglich 23.966 Menschen abgeschoben - also nur in etwa ein Drittel. Und an dieser Quote wird sich auch im ersten Halbjahr dieses Jahres voraussichtlich nichts ändern. Im ersten Quartal 2018 lag die Zahl der Abschiebungen bei 6.235, also in etwa auf dem Niveau des Vorjahres.
Freiwillige Rückkehr nicht besonders erfolgreich
Dass Abschiebungen so schwer durchzuführen sind, hat viele Gründe. Viele Länder sind nicht gerade kooperativ, wenn es darum geht, ihre Staatsbürger zurückzunehmen, erschweren die Bedingungen für die Ausreiseflüge oder das Erstellen neuer Ausweisdokumente. Manche Abschiebungen scheitern erst am geplanten Flugtag, weil die Ausreisepflichtigen nicht angetroffen werden, in letzter Minute Einsprüche oder ärztliche Atteste vorlegen.
Bund und Länder setzten in jüngster Vergangenheit deshalb verstärkt auf freiwillige Rückkehr. Doch auch die war - anders als noch 2016 - im Jahr 2017 nicht übermäßig erfolgreich. 29.522 Menschen kehrten 2017 über die Ausreiseprogramme REAG/GARP in ihre Herkunftsländer zurück. In 2018 waren es bislang 4723. In diesen Programmen fördern Bund und Länder die freiwillige Ausreise mit der Übernahme der Reisekosten und finanziellen Starthilfen für einen Neuanfang in der alten Heimat. Darüber hinaus gibt es weitere Programme der Länder.
Verschärfte Bedingungen für Abschiebung
Das sind noch lange nicht die Zahlen, die sich Seehofer vorstellt. Insbesondere bei den Abschiebungen will er deshalb mehr Druck machen. Ärztliche Atteste oder fehlende Dokumente von Ausreisepflichtigen sollen künftig nicht mehr als Hinderungsgründe anerkannt werden, die eine Abschiebung generell unmöglich machten, heißt es laut Medienberichten des "Redaktionsnetzwerks Deutschland" in einem Eckpunktepapier Seehofers.
Und auch die geplanten "Ankerzentren" verfolgen vor allem das Ziel, Flüchtlinge abzuschrecken und zügiger in ihre Heimatländer zurückzuführen. Die Abkürzung "Anker" steht für "Ankunft, Entscheidung, Rückführung". Die Ankunft eines Flüchtlings soll hier erfasst, über seinen Schutzstatus entschieden und - bei Ablehnung des Asylantrags - auch eine schnelle Abschiebung in die Wege geleitet werden. Der Betrieb der neuen "Ankerzentren" soll zunächst in Pilotversuchen getestet werden.
Internierung in Lagern?
Doch je mehr über die geplanten Rückführungs- oder "Abschiebezentren", wie manche sie nennen, bekannt wird, desto lauter wird die Kritik - sogar von der Gewerkschaft der Polizei. Von "Internierung" und "Lagern" ist die Rede. Seehofer tut dies zwar als "Schauermärchen" ab: Die Flüchtlinge würden dort nicht eingesperrt, sie hätten lediglich eine Residenzpflicht. Doch Flüchtlingshilfeorganisationen wie Pro Asyl befürchten, dass der Zugang von Ehrenamtlichen und Beratungsstellen zu Flüchtlingen dort während des laufenden Asylverfahrens erschwert sein werde. "Das wird zu unfairen Asylverfahren führen, zu fehlerhaften Entscheidungen und womöglich werden die Menschen am Ende auch nicht mehr den Weg zu den Gerichten finden", sagt Pro Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt im Gespräch mit tagesschau.de.
Eine unabhängige Rechtsberatung und effektiver Rechtsschutz werde kaum möglich sein, denn das scheitere allein schon daran, dass die Flüchtlinge nicht so leicht einen Anwalt finden werden, wenn sie von Ankunft bis Ende des Asylverfahrens in einer solchen Massenunterkunft seien. "Wer vermittelt den Kontakt zu Rechtsanwälten?", fragt Burkhardt. In den Transitzentren in Manching und Bamberg, die die Vorbilder für die "Ankerzentren" sind, könnten diese Schwierigkeiten bereits beobachtet werden.
"Es braucht unabhängige Rechtsberatung"
Eine unabhängige Rechtsberatung vor Ort in solchen Unterkünften fordert deshalb auch Constantin Hruschka vom Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik. "Wenn die Rechtsberatung nur von der Behörde selbst durchgeführt wird, wird ein Flüchtling kaum in der Lage sein, seine Rechte durchzusetzen." Das Problem bei der Diskussion um die "Ankerzentren" sei aber, dass noch keiner genau wisse, wie sie denn ausgestaltet werden. Sollten die geplanten Zentren, wie befürchtet, nach den Vorbildern in Manching und Bamberg funktionieren, wäre das fatal: "Dort gibt es ein relativ starres Ausgangsregime. Das ist eigentlich nicht europarechtskonform, denn die Freizügigkeit und Bewegungsfreiheit darf bis zum Abschluss des Asylverfahrens nur eingeschränkt werden, wenn dies für das Verfahren erforderlich ist," sagt Hruschka zu tagesschau.de.
Der Asyl- und Menschenrechtsexperte arbeitete bei einem seit 2014 betriebenen Modellprojekt in Zürich mit. Denn auch in der Schweiz soll es pro Region ein größeres Aufnahmezentrum für Flüchtlinge geben, wo diese bis zur Abwicklung des Verfahrens bleiben sollen - allerdings unter wesentlich besseren Bedingungen als - nach den bisher bekannten Plänen - in Deutschland.
In der Züricher Einrichtung gibt es eine unabhängige Beratung und Rechtsvertretung, die für die Bewohner jederzeit zugänglich ist. Der Aufenthalt dort ist auf 140 Tage beschränkt, bis dahin müssen die Behörden den Fall entscheiden haben. Die Erstinstanzliche Entscheidung muss sogar bereits nach vier bis sechs Wochen fallen, damit noch genügend Zeit bleibt, womöglich zu klagen. Und: Es haben in dem regionalen Zentrum maximal 300 Menschen Platz.
Pro Asyl: "Konflikte sind vorprogrammiert"
Würde sich Deutschland an diesem Modellprojekt orientieren, könnten die "Ankerzentren" Experten zufolge tatsächlich sinnvoll sein. Denn in der Tat wären die Wege in einer solchen Einrichtung kürzer und die Verfahren könnten so womöglich beschleunigt werden. Und eine rasche Gewissheit über das persönliche Schicksal ist allemal besser als ein schier endloses Ausharren ohne Perspektive.
Doch laut den Seehofer-Plänen sollen etwa 1000 Menschen in den "Ankerzentren" untergebracht werden können - und zwar bis zu 18 Monate, Familien mit Kindern bis zu sechs. Wenn sie dort abgeschottet von Arbeit, Schule, Nachbarn und Ehrenamtlichen leben, wie es Flüchtlingsinitiativen in Bamberg und Manching beobachten, habe das schwerwiegende Auswirkungen auf die Psyche und die Integrationsperspektive dieser Menschen. Konflikte in den Einrichtungen seien programmiert.
Und dass Abschiebungen, wie Seehofer hofft, aus diesen Zentren letztlich leichter würden, bezweifelt Pro Asyl ebenfalls. "Das Konzept zielt auf Abschreckung und Zermürbung. So lange es dort keine rechtswidrigen Inhaftierungen gibt, könnten Flüchtlinge sich nach negativem Asylbescheid auch von dort wegbewegen", sagt Geschäftsführer Burkhardt.