Schleswig-Holstein Umsturz in Syrien: "Wie es weitergeht, wissen wir noch nicht"
Nach dem Ende des Assad-Regimes stellen sich viele der rund 38.000 Syrerinnen und Syrer in Schleswig-Holstein die Frage, wie es jetzt für sie weitergeht. Auch die Landesregierung reagiert abwartend.
Für Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) ist es eine "gute Nachricht". Die in Flensburg lebenden Syrer Obada Altanani und Ghyath Ramadan sind einfach "glücklich". Und Baraa Alrazouk, syrischer Journalist aus Lübeck, ist "stolz, dass ich diesen Moment erleben darf".
Die Nachricht vom Sturz der Assad-Regierung und die damit verbundene Hoffnung auf eine bessere Zeit nach 13 Jahren Bürgerkrieg beschäftigt viele Menschen in Schleswig-Holstein.
Tränen in Deutschland und Syrien
Journalist Baraa Alrazouk erzählt, dass er nach dem Ende der Herrschaft von Bashar al-Assad zunächst seine Eltern in Syrien angerufen habe und sie zusammen geweint hätten. Vor Freude, aber bei Alrazouk war es auch ein bisschen Trauer. "Ich wollte diesen Moment in Syrien erleben. Ich wollte diesen Moment in meiner Heimatstadt erleben."
Baraar Alrazouk ist in ständigem Kontakt mit seinen Eltern in Syrien.
Er geht davon aus, dass die meisten geflüchteten Syrer wieder zurück in ihre Heimat wollen - auch der Wahl-Lübecker selbst. Allerdings nicht sofort: "Es ist möglich, wenn Sicherheit und Stabilität in Syrien wiederhergestellt ist."
"Wir haben hier viel aufgebaut"
Auch wenn die Freude groß ist, die Skepsis im Hinblick auf die Zukunft ist kaum kleiner. Obada Altanani aus Flensburg arbeitet als ehrenamtliche Koordinatorin bei der Flüchtlingshilfe, kam vor acht Jahren aus der syrischen Hauptstadt Damaskus nach Deutschland. Sie erzählt, dass sie Angst habe, was jetzt passiert. Noch ist nicht klar, wer künftig die Macht in ihrem Heimatland übernimmt und welche Folgen das hat.
Ihr Kollege in Flensburg, Ghyath Ramadan, rät auch dazu "abzuwarten". Anders als Baraa Alrazouk ist für beide auch nicht klar, ob sie überhaupt zurückkehren würden. "Wir haben hier viel aufgebaut. Sprache lernen, Arbeit und Schule. Da ist es nicht so einfach, auf einmal zu sagen: Wir packen unsere Sachen", meint Obada Altanani.
Wie sieht die Politik die Zukunft der Syrer in Deutschland?
Die Zukunft in Syrien ist unklar, doch auch die Zukunft der Syrer in Deutschland wird aktuell wieder diskutiert. Die Bundesregierung äußert sich bislang noch zurückhaltend, wie in Zukunft mit syrischen Geflüchteten umgegangen werden soll.
Einige Unionspolitiker fordern, dass darüber zeitnah diskutiert werden soll. Am Montag gab das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bekannt, dass es wegen der unklaren Lage vorerst alle Entscheidungen über Asylanträge von Syrern stoppt.
Integrationsministerin Touré: "Situation in Syrien abwarten"
Schleswig-Holsteins schwarz-grüne Landesregierung äußert sich bei der Frage nach der Zukunft der rund 38.000 syrischen Geflüchteten im Land am Montag auch eher zurückhaltend. Integrationsministerin Aminata Touré (Grüne) sagt, für einen politischen Rückschluss sei es noch zu früh. "Man muss einfach schlichtweg die Situation in Syrien ein Stück weit abwarten - und auch, was dann für bundespolitische Entscheidungen getroffen werden."
Auch Daniel Günther tritt auf die Bremse: "Wenn Islamisten jetzt die Macht in dem Land übernehmen, heißt das nicht per se, dass die Situation automatisch besser wird. [...] Ich glaube, wir müssen die Lage schon sehr sorgsam beobachten. Deswegen finde ich es auch richtig, dass jetzt erstmal entschieden worden ist, die entsprechenden Prüfungen (der Asylanträge, Anm. d. Red.) aufzuschieben, weil die Lage erstmal neu bewertetet werden muss."
Rechte Anfeindungen könnten mehr werden
Die Hoffnung in Flensburg bei Obada Altanani und Ghyath Ramadan ist groß, dass die Stimmung in Deutschland nicht weiter kippt. Rechte Anfeindungen gebe es immer, Ramadan ist sich sicher, dass es jetzt wieder mehr werden wird: "Der Grund, wieso wir aus Syrien geflohen sind, ist jetzt vorbei."
Doch niemand könne Stand jetzt sagen, dass vor Ort alles wieder sicher ist. Sie seien für vieles sehr dankbar, sagen die beiden Syrer aus der Flensburger Flüchtlingshilfe. Und eins sei klar, sagt Altanani: "Es gibt zwei Gruppen. Eine Gruppe von Deutschen sagt: 'Ihr müsst raus', und eine andere Gruppe sagt: 'Ihr müsst bleiben.'"
Obada Altanani hat in Flensburg eine zweite Heimat gefunden.
Syrische Fachkräfte wichtig für den Arbeitsmarkt in SH
Dass viele der Syrer bleiben, darauf hoffen unter anderem die Agentur für Arbeit und die IHK Flensburg. "Wenn jetzt viele das Land verlassen würden, würde das einen großen Einbruch geben auf dem Arbeitsmarkt", betont der Referent Fachkräftesicherung international bei der IHK, Özgür Yurteri.
Der Chef der Regionaldirektion Nord der Bundesagentur für Arbeit, Markus Biercher, betont, dass Unternehmen syrische Mitarbeitende schätzen würden, weil sie über alle Branchen hinweg integriert und daher für die Wirtschaft wichtig aber auch notwendig seien.
Viele Kinder von Geflüchteten in der Ausbildung
Laut Agentur für Arbeit gab es im Mai dieses Jahres 8.400 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Syrerinnen und Syrer in Schleswig-Holstein, Tendenz in den vergangenen Jahren steigend. Gleiches gilt für die Zahl der Syrer, die arbeitslos gemeldet sind. Im November waren es 5.600, das sind 6,4 Prozent mehr als im Vorjahr.
Doch auch der Nachwuchs kommt immer mehr in den Arbeitsmarkt: Laut IHK befinden sich weit über 400 junge Menschen mit syrischem und häufig auch deutschem Pass zurzeit in einer Ausbildung. Insgesamt seien Syrerinnen und Syrer "jetzt eine enorm tragende Säule in der Wirtschaftskonstanz und nicht nur in Schleswig Holstein, sondern der ganzen Republik", meint Yurteri.
Kampf für Gerechtigkeit ist wichtig
Für die Syrerinnen und Syrer auch in Schleswig-Holstein bricht eine neue Zukunft an - ob sie zurück in ihr Heimatland kehren oder nicht, ist für viele noch ungewiss. So oder so eint aber alle die Hoffnung auf eine bessere Zukunft - ohne Diktatur und Bürgerkrieg.
Der Umsturz in seiner Heimat sei definitiv etwas für die Geschichtsbücher, freut sich Journalist Baraa Alrazouk: "Ich werde diese Geschichte an meine Kinder in Zukunft weitergeben und sie erinnern, wie wichtig es ist, für Gerechtigkeit und Demokratie zu kämpfen."
Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Schleswig-Holstein Magazin | 09.12.2024 | 19:30 Uhr