Gäste einer Wahlkampfveranstaltung der sächsischen Sozialministerin (SPD) sitzen im Ariowitsch-Haus vor einer leuchteten Wand mit dem Logo der Partei.

Sachsen-Anhalt Offener Brief: Geht es bei der Kritik am SPD-Landesvorstand nur um gute Listenplätze?

Stand: 23.07.2024 05:54 Uhr

In der letzten Woche kritisierten SPD-Mitglieder aus Sachsen-Anhalt den Landesvorstand nach der Kommunalwahl scharf. Unterzeichnet ist der Brief von Mitarbeitern von Bundestagsabgeordneten, Kreisvorsitzenden, Landräten und Mitgliedern des Landtages bis hin zu einem ehemaligen Minister. Die Forderung: Ein personeller Neuanfang.

Von Lars Frohmüller, MDR SACHSEN-ANHALT

"Unsere SPD im Land nimmt aktuell kaum noch jemand wahr und somit wird auch eine nächste Landtagswahl ein vorhersehbares Fiasko." Zu lesen ist dieses niederschmetternde Fazit in einem offenen Brief von 16 SPD-Mitgliedern aus Sachsen-Anhalt. Hört man sich in der Partei dazu um, bekommt man oft diese Antwort: "Schon 2019 gab es ein ähnliches Schreiben, welches für Unruhe in der SPD gesorgt hat", sagt ein Mitglied aus Halle gegenüber MDR SACHSEN-ANHALT. "Und schon damals waren ähnliche Akteure am Werk."

Im Januar 2019 entschied sich Burkhard Lischka, nicht mehr als Landeschef für die SPD zur Verfügung zu stehen. Auch sein Mandat im Bundestag gab er zurück. Im Anschluss übernahmen Andreas Schmidt und Juliane Kleemann, die nun aus Sicht der Verfasser des Briefes Platz machen sollen, für einen Neuanfang.

Probleme seit Jahren bekannt

Zwar nicht zu den ersten 16, aber zu einer zweiten Unterzeichnerrunde zählt Roger Stöcker aus Egeln. Er sagt: "Ich habe das Gefühl, das bestimmte Themen, die im Landesvorstand diskutiert werden, an der Basis, in Ortsvereinen anders diskutiert werden. Ich glaube, zu diesen Themen muss man einfach eine gemeinsame Linie finden." Stöcker ist Fraktionsvorsitzender im Stadtrat von Hecklingen und hat damit auch kommunale Themen im Blick. Diese Belange sind den Verfassern besonders wichtig. So solle der öffentliche Nahverkehr erhalten bleiben, die Ärzteversorgung gesichert und die innere Sicherheit gestärkt werden.

"Nichts, was man nicht sofort unterschreiben würde, aber auch nichts, was nicht seit Jahren als Thema bekannt ist", sagt ein Mitglied aus Magdeburg. Gegner des Schreibens zu finden, die namentlich antworten, ist aktuell schwer. "Niemand möchte in einen Grabenkampf geraten, der gerade ausgetragen wird", sagt ein Mitglied aus dem Harz. "Hier werden zum Teil Rechnungen beglichen, die mehr als zehn Jahre alt sind."

Vorgezogenes Listengerangel um Landtags- und Bundestagsmandate

Kritik kommt auch aus der Basis an den Verfassern des Briefes. Beispielsweise wird bemängelt, dass es keinen direkten Vorschlag für einen neuen Landesvorstand in dem Schreiben gibt. Hier beruhigt Alexandra Hansen aus Haldensleben gegenüber MDR SACHSEN-ANHALT: "Noch im August werden wir einen Vorschlag unterbreiten. Zunächst wollten wir einen inhaltlichen Aufschlag machen." Die Kreisvorsitzende der SPD in der Börde hat zuletzt bei der Kommunalwahl in Haldensleben das SPD-Ergebnis gegen den Trend von 8,9 auf 12,6 Prozent verbessern können.

Juliane Kleemann im Landtag von Sachsen-Anhalt.

Sachsen-Anhalts SPD-Co-Chefin Juliane Kleemann bringt ein offener Brief von Parteimitgliedern in Bedrängnis. (Archivbild)

Es gibt jedoch Stimmen, die vermuten, es gehe nur um eine frühzeitige Positionierung für einen Listenplatz im Landtagswahlkampf oder für den Bundestag. Auch Hansen ist hier parteiintern im Gespräch. Sogar als mögliche Fraktionsvorsitzende gegen die ehemalige Spitzenkandidatin Katja Pähle aus Halle. "Ich habe keine Ambitionen, mich im Landtag zu engagieren", sagt Hansen auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT. Sie sei mit ihrem Unternehmen ausgelastet.

Bei einem weiteren Kandidaten sieht dies scheinbar anders aus: Jörg Felgner hat offenbar Ambitionen, eines der freigewordenen Bundestagsmandate der SPD zu besetzen, heißt es in der SPD im Harz. Der Ex-Minister ist jedoch vorbelastet, weil er 2016 wegen einer undurchsichtigen Berateraffäre sein Mandat und Amt niederlegen musste. Aus diesem Grund sucht man bereits nach einem Gegenkandidaten im Harz. Gegenüber MDR SACHSEN-ANHALT sagte Felgner zu einer möglichen Kandidatur sowohl als Landesvorsitzender als auch für ein Bundestagsmandat: "Ich kann nichts ausschließen im Moment, aber wir konzentrieren uns zunächst auf inhaltliche Arbeit."

Zwei SPD-Regionalkonferenzen in Sachsen-Anhalt sollen die Parteiseele beruhigen

Die Führungsspitze der SPD reagiert offensiv auf das Schreiben der 16 Erstunterzeichner. Zwei sogenannte Regionalkonferenzen in Magdeburg und Halle sollen den Mitgliedern die Möglichkeit geben, sich über die brennenden Themen der Partei auszutauschen. Für Stöcker aus Egeln ist dies nur ein halbgarer Kompromiss: "Das ist natürlich immer ein bisschen ärgerlich, wenn man sich zum Gespräch treffen möchte, weil da müssen ja beide Seiten einverstanden sein."

Er hätte sich statt einer Regionalkonferenz eine direkte Einladung des Landesvorstandes gewünscht. Dieser sieht jedoch einen offenen Brief über die Medien auch als Aufruf für eine öffentlich geführte Debatte: "Es gibt jetzt kein Zurück mehr", sagt Juliane Kleemann, Co-Vorsitzende der SPD. Und Andreas Schmidt nimmt den Brief zur Kenntnis und sagt: "Wir begrüßen das, dass sich ganz viele Sorgen machen über unsere Situation."

In einem internen Schreiben der SPD heißt es sogar: "Wir bedauern, dass die Aufmerksamkeit nun wieder auf innerparteiliche Auseinandersetzungen und Rivalitäten gelenkt werden. Wir dachten, wir hätten diese Form der Auseinandersetzung hinter uns gelassen." Am 7. August in Magdeburg und am 12. August in Halle soll es nun den nächsten Anlauf geben, die Parteiseele wie zuletzt 2019 zu beruhigen.

MDR (Lars Frohmüller)