Sachsen-Anhalt Als Gehwegplatten zweckentfremdet: Grabsteine von Weltkriegstoten zurück auf dem Friedhof
Eine wahre Odyssee haben Grabsteine von Toten aus dem Ersten Weltkrieg hinter sich. Zu DDR-Zeiten vom Halberstädter Friedhof gestohlen, wurden sie als Wegplatten in einem Ferienobjekt zweckentfremdet und 2019 zufällig von einem Wanderer entdeckt. Drei Jahre nach ihrer Bergung liegen sie nun wieder an ihrem Ursprungsort. Anlässlich des Volkstrauertages wurde auch eine Gedenktafel enthüllt, die an die Geschichte der Steine erinnert.
Der Himmel ist grau, es regnet, nasse Kälte kriecht durch die Kleider. Regentropfen perlen über Gedenksteine. Vor dem zentralen Gedenkstein für die Opfer des Luftangriffs auf Halberstadt im April 1945 sind Kränze niedergelegt worden anlässlich des Volkstrauertages.
Auf den Grünflächen links und rechts neben dem Weg zum Gedenkstein liegen seit kurzem alte Grabsteine mit Inschriften, die teilweise nur noch schwer lesbar sind. Die Sterbedaten der Toten liegen zwischen 1914 und 1918. Sie verraten, dass die Steine zu Toten aus der Zeit des Ersten Weltkriegs gehören.
Zweckentfremdete Grabsteine
Unter den Teilnehmenden der Gedenkveranstaltung anlässlich des Volkstrauertages ist auch Thomas Linßner. Dass die Steine jetzt wieder auf dem Halberstädter Friedhof liegen, ist auch ihm zu verdanken. 2019 hatte er zusammen mit seiner Frau eine Wanderung durch den Harz unternommen. In Altenbrak gingen die beiden durch eine Bungalowsiedlung. Ein ehemaliges Ferienheim der Staatssicherheit. "Da stießen wir auf die Steine. Es guckte ein eisernes Kreuz an einer Stelle aus dem Wald, wo es einfach nicht hingehörte", erinnert sich Thomas Linßner. Die Neugier des Journalisten war sofort geweckt.
Er nahm Verbindung zu Archäologen auf, und es stellte sich heraus: Die Steine waren Grabsteine, und sie stammten vom Halberstädter Friedhof. Diese Grabsteine der Weltkriegsgefallenen waren zu DDR-Zeiten für das Ferienheim vom Halberstädter Friedhof gestohlen und als Gewegplatten und Treppen für die Ferienanlage zweckentfremdet worden.
Am Volkstrauertag wurde auch eine Gedenktafel enthüllt, die die Hintegrründe der Grabsteine erklärt.
Große Bergungsaktion vor drei Jahren
2021 wurden die Grabsteine mit Hilfe mehrerer Militär- und Historienvereine bei einem freiwilligen Arbeitseinsatz geborgen. In Altenbrak packten viele mit an, lösten vorsichtig die alten Steine, kratzten verblasste Inschriften frei, luden die Fundstücke in einen Container. 181 Grabsteine konnten am Ende des Tages gezählt werden. Sie wurden zunächst in Halberstadt eingelagert. Wie es mit ihnen weitergehen sollte und wer den Container bezahlen sollte – alles war zunächst unklar. Die Stadt Halberstadt beantragte schließlich Fördergelder. Doch nirgendwo war notiert, welcher Stein von welchem Grab stammte. Schließlich entschied sich Halberstadt dafür, die Steine auf der Grünfläche der zentralen Gedenkstätte zu verlegen.
Ein Ort, mit dem der Friedhof nach Ende des Ersten Weltkrieges erweitert wurde. Hier ruhen Opfer des Ersten Weltkrieges, die erst nach dessen Beendigung starben. Und die Toten des Zweiten Weltkriegs, auch die des zerstörerischen Bombenangriffs vom April 1945. "Gemeinsam mit dem Geschichtsverein haben wir als Stadt dafür gesorgt, dass die Platten wieder hier liegen können", erzählt Bürgermeister Daniel Szarata (CDU). Zusammen mit dem Stadt- und Landschaftsdienst habe man überlegt, wo die Steine ihren endgültigen Platz finden sollen. "Wir sind froh und glücklich, dass wir jetzt ein ehrendes Gedenken geschaffen haben."
Emotionaler Moment für Historien-Verein
Maggie Pfaff ist Mitglied des Vereins "Historische Uniformen des Deutschen Kaiserreichs". Gemeinsam mit anderen Mitgliedern hatte sie 2021 an der Bergung der Grabsteine teilgenommen. Als sie am Volkstrauertag ein Blumengebinde vor der neuen Informationstafel, die die Geschichte der Steine erzählt, niederlegt, erlebt sie ein unbeschreiblich schönes Gefühl bis in die Fingerspitzen, wie sie beschreibt. "Gerade weil sich unser Verein mit der Zeit zwischen 1871 und 1918 beschäftigt. Alles, was mit Personen zusammenhängt, wo wir Namen erkennen, wann sie geboren sind, wann sie gestorben sind, das ist sehr emotional. Das geht uns allen so."
Der Vereins "Historische Uniformen des Deutschen Kaiserreichs" freut sich über die Rückkehr der Grabsteine.
Würdiger Rahmen am Volkstrauertag
Der Volkstrauertag war der Stadt ein würdiger Rahmen, um die Grabsteine an ihrem neuen Ort vorzustellen und die Gedenktafel einzuweihen. Seit 1919 wird mit dem Volkstrauertag an die Toten von Krieg und Gewaltherrschaft erinnert. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, der diesen Tag nach dem Ersten Weltkrieg ins Leben rief, will neben Gedenken auch Versöhnung. Versöhnung über den Gräbern. Kulturstaatssekretär Sebastian Putz (CDU) erinnerte in seiner Rede nicht nur an die Toten der vergangenen, sondern auch an die der gegenwärtigen Kriege. Und daran, dass Frieden keine Selbstverständlichkeit ist.
MDR (Annette Schneider-Solis)