Sachsen Gutachter und Grüne vor Ministerpräsidenten-Wahl: Über das Recht, nein zu sagen
Die Regelungen zur Stimmgebung bei der Wahl des Ministerpräsidenten sind kompliziert. Vereinfach gesagt, ist ein Nein zu einem Kandidaten nicht vorgesehen. Damit es am Mittwoch bei der Wahl des Ministerpräsidenten keine Szenen wie nach der Wahl in Thüringen 2020 gibt, wo der FDP-Kandidat Kemmerich nach Taktierereien mit der AfD eine Regierungskrise verursachte, wurden in Sachsen Gutachter beauftragt. Die Landtagsverwaltung und die Grünen haben sich die Regeln genau angesehen.
Im Grunde ist die Sache einfach - laut Theorie: Wer am Mittwoch vom Sächsischen Landtag in geheimer Wahl mindestens 61 der 120 Stimmen bekommt, ist Ministerpräsident des Freistaats. Schafft das der Bewerber nicht, reicht in einem weiteren Wahlgang die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen. So steht es in Artikel 60 der Sächsischen Verfassung.
Nun zeichnet sich ab, dass am Mittwoch neben Michael Kretschmer für die CDU auch Matthias Berger (parteilos) für die Freien Wähler und Jörg Urban (AfD) das Ministerpräsidentenamt anstreben. Wie ist es bei Konkurrenz bei der Wahl und der Möglichkeit, Kandidaten auch mit einem Nein abzulehnen? Laut Landtagsverwaltung ist ein Nein mit mehr als einem Kandidaten nicht möglich. Käme es beispielsweise zum zweiten Wahlgang, können Abgeordnete für einen der Kandidaten mit Ja stimmen oder sich enthalten, aber nicht mit Nein. Die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet, wobei Enthaltungen nicht mitgezählt werden. Anders formuliert aus Sicht des Landtags: Eine Nein-Stimme sehe das Abstimmungsverfahren nur für den Fall vor, dass in einem Wahlgang nur ein einziger Bewerber antritt.
Gutachter der Uni Leipzig sieht Verfassungswidrigkeit
Das finden die Grünen problematisch und haben den Verfassungsrechtler der Universität Leipzig, Fabian Michl, mit einem Gutachten beauftragt. Der sieht es als "verfassungsrechtlich geboten, auch bei mehreren Kandidaten Nein-Stimmen zuzulassen und als Stimmen gegen alle Kandidaten zu werten". Nein-Stimmen nicht zuzulassen, sieht der Jurist ab dem zweiten Wahlgang als "verfassungswidrig" an. Er sagt: "Es muss ein klares Nein möglich sein."
Auf Basis des Gutachtens wollen die Grünen am Mittwoch im Landtag einen Antrag einbringen, dass eine Nein-Option möglich wird, kündigte der parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Valentin Lippmann an.
Auch ein Gutachten von der Landtagsverwaltung
Der Juristische Dienst des Sächsischen Landtags und Landtagspräsident Alexander Dierks (CDU) teilen die Rechtsauffassung der Grünen nicht. Und sie haben ein unabhängiges Rechtsgutachten bei einem Verfassungsrechtler beauftragt zur Frage des Abstimmungsablaufes. Das genaue Ergebnis soll am morgigen Dienstag vorliegen.
Aus den Erfahrungen der Weimaer Republik wollte man mit den Regeln in Sachsens Verfassung "der reinen Blockade durch negative Mehrheiten entgegenwirken", erklärte er schon am Montag.
Ein Anspruch des Abgeordneten, durch eine Nein-Stimme gezielt die Wahl eines Ministerpräsidenten zu verhindern, besteht nicht. Alexander Dierks | Sächsischer Landtagspräsident
Was passiert bei Kampf-Kandidaturen?
Welchen Spielraum haben Abgeordnete beispielsweise, wenn Kretschmer, Berger und Urban gegeneinander antreten? "Die Wahlfreiheit des Abgeordneten besteht bei einem Wahlgang mit mehreren Kandidaten darin, sich zwischen den Bewerbern zu entscheiden oder sich der Stimme zu enthalten", so Dierks. Das sei verfassungsrechtlich unbedenklich, weil jeder Abgeordnete berechtigt ist, dem Landtag einen (weiteren) Wahlvorschlag zu unterbreiten und sich für den bei der Stimmabgabe zu entscheiden.
MDR (kk)/dpa