Sachsen Abgetrennte Finger: Prozess gibt Einblicke in die Chemnitzer rechte Szene
Bei einem fingierten Macheten-Überfall lässt sich der Chemnitzer Neonazi Alexander W. drei Finger abhacken und schiebt es Linksextremen in die Schuhe. Sein mutmaßlicher Helfer, ein Tätowierer, muss sich nun vor Gericht wegen möglicher schwerer Körperverletzung verantworten. Er soll die Finger mit einer Machete abgetrennt haben. Nach dem ersten Verhandlungstag ist klar: Alexander W. suchte nach Vollstreckern, die ihm seine ganze Hand abhacken. Wer ist dieser Mann? Und was verrät der Prozess über die rechte Szene in Chemnitz?
- Der Neonazi Alexander W. stammt nach mehreren voneinander unabhängigen Zeugenaussagen von Polizisten und Neonazis aus der Neonazi-Szene in Dortmund.
- Alexander W. verweigert vor Gericht seine Aussage. Weil gegen ihn ein weiteres Verfahren läuft, nutzt er sein Zeugnisverweigerungsrecht und schweigt.
- Alexander W. gibt bei der Polizei zu Protokoll, er sei bei einer Militärübung über eine Panzermine gefahren.
Alexander W. steht in der Tür zum Verhandlungssaal im Landgericht Chemnitz, geht zum Zeugenstand und setzt sich schnell. Der 30-Jährige trägt Jeanshose und einen grauen Pulli, die Kapuze fällt ihm tief ins Gesicht. Der Richter ermahnt ihn. Alexander W. zieht sich Kapuze und schwarze Mütze vom Kopf. Zwei Stunden ging es vorher um den 30-jährigen Rechtsextremisten aus Dortmund. Jetzt sitzt er da und schweigt. Nicht mit Glatze, sondern mit dichtem blondierten Haar. An seiner linken Hand trägt er eine Prothese.
Alexander W. verweigert die Aussage
Alexander W. ist am ersten Verhandlungstag im Macheten-Prozess als Zeuge geladen. Mit Hilfe seiner Aussagen soll geklärt werden, ob der 38-jährige Angeklagte S. ihm wirklich die Finger abgehackt hat – oder ob es Alexander W. vielleicht auch selbst getan hat. Weil gegen den Neonazi selbst ein Ermittlungsverfahren wegen des Vortäuschens einer Straftat läuft, hat er vor Gericht ein Zeugnisverweigerungsrecht, um sich selbst nicht zu belasten. Alexander W. entscheidet sich, zu schweigen. Auch seine Ärzte entbindet er nicht von der Schweigepflicht. Nach drei Minuten verschwindet er wieder.
Mit einer großen Machete der Marke Walther "MachTac 3"<br/>wurden dem 30-jährigen Alexander W. die Finger abgehackt. (Symbolbild)
Wer ist der Mann, der sich unbedingt die Hand abhacken lassen wollte?
Es bleibt also vorerst in dieser Verhandlung keine Möglichkeit, den zugereisten Wahl-Chemnitzer zu fragen, warum er sich die Hand abhacken lassen wollte. Warum er einen Überfall fingiert hat und warum er als Neonazi überhaupt aus Dortmund nach Chemnitz gekommen ist. Eines scheint jedoch sicher: Alexander W. stammt laut mehreren voneinander unabhängigen Zeugenaussagen von Polizisten und auch Rechtsextremen aus der Neonazi-Szene in Dortmund. Von dort ist er vor einigen Jahren nach Chemnitz gezogen. Warum? Darüber gehen die Meinungen auseinander.
Weiß Alexander W. etwas über Leichen in Dortmund?
Der Zeuge M. hat ein sehr breites Kreuz, trägt Glatze ist an den Unterarmen tätowiert und trägt eine Jeans mit zwei Blautönen. Er ist freundlich, öffnet Journalisten sogar die Tür und spricht sächsischen Dialekt. M. bezeichnet sich selbst der rechten Szene zugehörig. Alexander W. sei einmal sein Nachbar gewesen. Deswegen sitzt er im Zeugenstuhl. Zeuge M. erklärt im vollen Saal: "Alexander W. kam aus Dortmund, um sich hier zu verstecken. Er wollte im Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden." In Dortmund sei er Mitläufer gewesen und habe als Pressesprecher mitbekommen, "wie Leute um die Ecke gebracht wurden". "Alexander sagte, er weiß, wo die Leichen liegen", sagt der Zeuge.
Am Landgericht Chemnitz wird der Macheten-Prozess verhandelt. Dabei werden interessante Details aus der rechtsextremen Szene publik.
Was das bedeutet, um welche Leichen es sich handeln soll und wie bedroht Alexander W. wirklich war und vielleicht auch noch ist, bleibt an dieser Stelle allerdings offen. Ziel in diesem Prozess ist es ja, herauszufinden, ob der Angeklagte S. die Finger mit der Machete abgetrennt hat - oder es Alexander W. vielleicht selbst getan hat. Der Richter ruft also den nächsten Zeugen.
Die rechtsextreme Achse Dortmund-Chemnitz
Alexander W. und Zeuge M. bleiben an diesem Tag nicht die einzigen offenkundigen Rechtsextremen, die im Zeugenstand aussagen. Ein weiterer Zeuge K. mit schwarzer Hose, schwarzer Jacke, schwarzem Pullover und süddeutschem Akzent betritt den Verhandlungssaal. Auch er hat ein breites Kreuz, ist tätowiert und kennt sich scheinbar nicht nur in der Chemnitzer, sondern auch der Dortmunder Rechtsextremistenszene gut aus.
"Ja, Alexander W. kommt aus der rechtsextremen Szene in Dortmund", erklärt er. "Doch er hat sich selbst nichts zu Schulden kommen lassen. Deswegen kann ich auch überhaupt nicht verstehen, dass er nach seinem Abtauchen in Chemnitz solche Angst vor den Dortmundern gehabt hat." Auch K. erklärt sich der Szene zugehörig. Dann fügt er fast trotzig an: "Auch, wenn es Alexander nicht wahrhaben will, die Leute in Dortmund haben ihn längst vergessen."
Neonazis werben für "Umsiedlung in den Osten"
Eigentlich geht es um abgehackte Finger. Bemerkenswert an diesem Prozess ist allerdings, wie selbstverständlich er sich mitten im rechtsextremen Milieu abspielt. Scheinbar gibt es in Chemnitz mehrere Rechtsextremisten aus Dortmund. Ist das Zufall? Oder Teil einer Bewegung? Was passiert hier im Hintergrund?
"Es gibt einen verstärken Zuzug von Neonazis nach Chemnitz", erklärt Steven Seiffert vom Mobilen Beratungsteam des Kulturbüros Sachsen auf Anfrage von MDR SACHSEN. Die rechtsextreme Initiative "Zusammenrücken in Mitteldeutschland" habe einst aktiv Werbung betrieben, um Neonazis im Westen besonders aus der Hochburg in Dortmund den Osten schmackhaft zu machen. "Dort hieß es, im Osten sei politisch noch etwas zu holen - nicht wie in vielen Gebieten im Westen. "Die Neonazis warben für die Umsiedlung in den Osten mit der Aussicht, hier könnten noch Deutsche unter Deutschen leben, radikale Positionen seien noch anschlussfähig", sagte Seiffert. "Die Rechtsextremen boten Vernetzung, Anschluss und eine schnelle Einbettung in die Szene."
Führender Neonazi Michael Brück zog nach Chemnitz
Der führende Neonazi Michael Brück ist von Dortmund nach Chemnitz gezogen.
Ein Beispiel für die "Umsiedlung in den Osten" ist laut Seiffert der Umzug von Michael Brück von Dortmund nach Chemnitz. Brück gelte als einer der führenden Rechtsextremen in Deutschland. "Er ist gut vernetzt und medienaffin. Dortmunder Kameradschafter und Mitglieder der "Nationalen Sozialisten Chemnitz" statteten sich regelmäßige Besuche ab. Auch Hooligans wie die der Dortmunder "Borussenfront" und der Chemnitzer "NS-Boys" hielten feste Verbindungen.
Massive Schmerzen im Rücken nach militärischer Operation
Der Prozess offenbart ein weiteres Detail, das auch den Staatsschutz interessieren dürfte: Wie ein Polizeibeamter im Zeugenstadt erklärt, habe Alexander W. nach seiner Not-OP an der Hand zu Protokoll gegeben, er leide unter massiven Rückenschmerzen und Schlafstörungen nach einer militärischen Operation. Innerhalb dieser sei er über eine Panzermine gefahren. Ein anderer Zeuge erklärt: Die Invalidenrente habe Alexander W. auch beantragen wollen, weil er wegen dieser militärischen Operation so viele Schmerzen hatte. An welcher Militäroperation nimmt eigentlich ein 30-jähriger Neonazi aus Chemnitz teil? Auch das kann im Rahmen dieses Prozesses an diesem Tag nicht geklärt werden.
Alexander W. fragte einige Personen, ob sie ihm die Hand abhacken. Ein mutmaßlicher Helfer (hier im Bild) muss sich nun wegen schwerer Körperverletzung vor Gericht verantworten.
Chemnitzer Neonazis schicken Opfer zum LKA
Fakt ist: Die Neonazi-Szene war nicht sonderlich begeistert, dass Alexander W. die abgehackten Finger Linksextremisten in die Schuhe schieben wollte, da sich sofort der Staatsschutz einschaltete. Zeuge K. erklärt: "Wir haben Alexander W. gedrängt, sich dem LKA zu stellen. Wir sind alle aktenkundig und wollen in den Fall nicht reingezogen werden." Alexander W. habe das eingesehen und noch am Abend gestanden, dass es keinen Überfall der Linksextremen gegeben hat.
Zeuge: "Wir haben ihm die Pistole auf die Brust gesetzt"
Zeuge M. bestätigte den Druck der Szene. "Wir haben Alexander W. die Pistole auf die Brust gesetzt, er solle zur Polizei gehen und sagen, wie es wirklich gewesen sind. Vor dem Anwalt ist er schließlich eingeknickt und hat gestanden, dass es doch nicht die Antifa war."
Am heutigen Dienstag startet der zweite Verhandlungstag im Macheten-Prozess. Es bleibt abzuwarten, welche weiteren Details aus der rechtsextremen Szene aus dem Zeugenstand publik werden.