Saarland Betroffene fordern mehr Lohn in Behindertenwerkstätten
Wer in Deutschland in einer Behindertenwerkstatt arbeitet, verdient durchschnittlich 220 Euro im Monat. Viel zu wenig und ungerecht, sagen viele Betroffene. Dabei geht es nicht nur um Geld, sondern auch um Wertschätzung für die Arbeit der Menschen in den Werkstätten.
Barbara Lindahl / Onlinefassung: Kasia Hummel
In Deutschland sind rund 300.000 Menschen mit einer Behinderung in einer Behindertenwerkstatt beschäftigt und verdienen durchschnittlich 220 Euro im Monat. Das macht einen Stundenlohn von rund 1,46 Euro – gerade mal etwa ein Achtel des festgeschriebenen Mindestlohns.
Mitarbeiter von Werkstätten für Menschen mit Behinderung fordern deswegen einen Mindestlohn. Sie können sich von dem wenigen Lohn kaum etwas leisten. Eine von ihnen ist Tanja Schmitt. Sie mag ihre Arbeit und ist seit 1999 in einer Werkstatt für Behinderte der AWO beschäftigt - heute in der Industriemontage. Doch eines ärgert die 49-Jährige: ihre Bezahlung. „Also die finde ich überhaupt nicht gerecht. Wir produzieren genauso, wie Leute auf dem freien Arbeitsmarkt. Und ich finde, wir sollten auch dementsprechend belohnt werden.“
Auch Katja Kaiser kommt gerne an ihren Arbeitsplatz. Aufgrund psychischer Beeinträchtigungen arbeitet sie seit vier Jahren in einer Werkstatt. Die 40-Jährige engagiert sich wie Tanja Schmitt im Werkstattrat - eine Art Betriebsrat - und fordert ebenfalls einen Mindestlohn. Wichtig ist ihr aber, dass es ein auskömmliches Einkommen wird und dass man nicht aus verschiedenen Töpfen Geld beantragen muss. „Das hat auch für mich was mit Wertschätzung zu tun“, so Kaiser.
Bezahlung ist seit Jahren Dauerthema
Die Bezahlung in Werkstätten ist bereits seit Jahren ein Dauerthema. Auch die Verantwortlichen der Arbeiterwohlfahrt in Ensdorf wissen das. Die Schwierigkeit: die Komplexität des ganzen Systems. Eine Mischung aus Hilfen, Ersatzleistungen, Aufstockungen und Lohn.
Forderungen nach einem Mindestlohn halten sie in Ensdorf für nicht realisierbar. „In der jetzigen Situation ohne Förderung von außen zu bekommen, können wir das nicht machen“, erklärt Julien Boussonville, Geschäftsbereichsleiter Werkstätten für behinderte Menschen bei der AWO. Auch er würde gerne an den Markt gehen und sagen, dass faire Preise gezahlt werden.
„Beim Kaffeekauf achtet man darauf, dass das Fairtrade-Logo drauf ist, beim Kleiderkauf, dass das nicht von Fernost von Kinderhänden geknüpft wird. Aber wir Werkstätten können leider nicht mit diesem Mindestlohn werben, weil es einfach nicht bezuschusst wird“, so Boussonville.
Politik in der Pflicht?
Die Problematik: Werkstätten sind eine Mischung aus sozialer Einrichtung, mit Pflegesätzen, die der Staat bezahlt und einem wirtschaftlichen Betrieb, der Gewinne erzielen muss, um Löhne zu bezahlen. Deswegen ist auch immer wieder die Arbeitsleistung ein Thema.
Es gibt also verschiedene Baustellen. Daniel Bieber war vier Jahre lang Behindertenbeauftragter im Saarland und engagiert sich beim Sozialverband VdK. Er findet das ganze Werkstattsystem undurchschaubar, die Bezahlung nicht üppig und kritisiert vor allem die Nichterfüllung des Inklusionsauftrages. „Das hängt auch mit diesem Widerspruch zusammen, dem die Werkstätten ausgesetzt sind“, erklärt Bieber. Einerseits müssten sie ökonomisch arbeiten, andererseits sich um die Leute kümmern.
Doch wie könnte man etwas verändern? Gefragt sind die politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern, aber auch die Arbeitgeber. Daniel Bieber würde aber noch weiter gehen und Subventionen für die Werkstätten von der Inklusionsquote abhängig machen, um den Druck zu erhöhen.
550 Mitarbeiter an sechs Standorten
Auch Jörg Denne kämpft für eine bessere Bezahlung und kritisiert vor allem, dass Bonuszahlungen oft abgezogen werden. Er arbeitet seit 30 Jahren im Druck-Center der Reha GmbH in Saarbrücken. Nach einem Motorradunfall war ein Job auf dem ersten Arbeitsmarkt für ihn nicht mehr machbar.
Das soziale Dienstleistungsunternehmen bietet unter anderem Druck, Logistik, Lettershop sowie Konfektionierung an. 550 Menschen mit Behinderung arbeiten an insgesamt sechs Standorten. Leiterin Tanja Gailing widerspricht der Kritik an den niedrigen Eingliederungsquoten.
„Wir versuchen von denen, die möchten und die motiviert sind, auch Menschen zu vermitteln, aber es stehen halt manche Faktoren im Weg", erklärt Tanja Gailing. Das könne derjenige selbst sein, der einfach nicht möchte. "Das kann aber auch der Arbeitsmarkt sein, der noch zu hohe Barrieren hat - Barrieren im Sinne von zu schmalen Türen aber auch Barrieren, die sich im Kopf abspielen, gemeinschaftlich daran arbeiten.“
Zwei Lösungsvorschläge werden diskutiert
Was wären also Lösungen? Seit längerem werden zwei Vorschläge diskutiert. Ein Grundeinkommen, bei dem die Werkstattarbeiter im arbeitnehmerähnlichen Status bleiben mit allen Schutzrechten. Der zweite Vorschlag: die Einführung eines Mindestlohns in einem sozialversicherungspflichtigen Verhältnis.
In Ensdorf hoffen sie zumindest auf erste kleine Schritte. Katja Kaiser und Tanja Schmitt wollen die Hoffnung nicht aufgeben und weiter für eine fairere Bezahlung kämpfen. Mehr Druck ausüben, das ist ihr Plan für die Zukunft.
Über dieses Thema hat auch "Wir im Saarland - Das Magazin" im SR Fernsehen am 07.11.2024 berichtet.