Ein 62-Jähriger wird wergen Missbrauch und Entführung eines Mädchen in Edenkoben für das Urteil in den Verhandlungssaal des Landgerichts gebracht.

Rheinland-Pfalz Urteil im Missbrauchs-Fall Edenkoben: Zwölf Jahre Haft plus Sicherungsverwahrung

Stand: 18.04.2024 16:49 Uhr

Der Fall hatte Rheinland-Pfalz erschüttert. Ein mehrfach vorbestrafter Sexualstraftäter schlägt kurz nach seiner Haftentlassung wieder zu. Nun ist das Urteil gefallen.

Das Landgericht Landau sah es am Donnerstagnachmittag als erwiesen an, dass der 62-jährige Neustadter im vergangenen September ein Kind auf dem Schulweg in Edenkoben in ein Auto gezerrt, entführt und missbraucht hat. Das Urteil: Zwölf Jahre Gefängnis mit anschließender Sicherungsverwahrung wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Vergewaltigung und Herstellens von kinderpornografischen Inhalten, Körperverletzung, und gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr.

Urteil im Missbrauchs-Fall Edenkoben gefallen

Die Vorsitzende Richterin sagte, alle öffentlichen Stellen hätten ihre Arbeit gemacht. Auch das Landgericht Frankenthal nahm sie in Schutz: Das habe bei der letzten Verurteilung des Mannes im Jahr 2020 keine Sicherungsverwahrung verhängen können; dafür seien damals die formalen Voraussetzungen nicht gegeben gewesen. Das sei heute anders.

Was den Täter angeht, sagte sie: "Der Mann wird sein Verhalten nie ändern. Weil er es nicht will. Auch wenn es ihm möglich wäre. Deswegen gibt es auch keine strafmildernden Umstände."

So lief die Urteilsverkündung im Edenkoben-Prozess

So reagiert die Familie des Mädchens aus Edenkoben

Die Familie der Zehnjährigen hat auf das Urteil sehr erleichtert reagiert. Die Eltern des Mädchens schauten sich an und lächelten. Der Anwalt der Familie, Matthias Bär aus Edenkoben, sagte dem SWR: "Es ist das Ziel des Mädchens, dass sie die Tat hinter sich lassen kann, dass sie die Folgen dieser Tat ausheilt. Da ist sie auf einem guten Weg."

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Verurteilte hat bereits angekündigt, Revision einlegen zu wollen. Der 62-Jährige ist ein vorbestrafter Sexualstraftäter. Am ersten Tag des Prozesses hatte er über seine Anwältin die Tat gestanden.

Welche Strafe wollten Staatsanwältin und Nebenklage?

Das Gericht folgte der Staatsanwaltschaft. Sie hatte für den Angeklagten am Mittwoch zwölf Jahre Gefängnis gefordert. Und danach soll der Mann nicht in Freiheit kommen, sondern in Sicherungsverwahrung. Auch der psychiatrische Gutachter hatte das gefordert, denn der Mann sei ein Sexualstraftäter und Psychopath.

59 Männer in RLP in Sicherungsverwahrung

Stand April 2024 leben 59 Menschen in Rheinland-Pfalz in Sicherungsverwahrung - darunter keine einzige Frau. Im Durchschnitt kommen sie nach sechs Jahren und sieben Monaten wieder frei. Das hat das Justizministerium dem SWR auf Anfrage geschrieben. Sicherungsverwahrung verhängen Gerichte nicht als Strafe, sondern als präventive Maßnahme. Sie soll die Bevölkerung vor Tätern schützen, die ihre eigentliche Strafe für ein besonders schweres Verbrechen verbüßt haben, aber weiter als gefährlich gelten. Das passiert in Rheinland-Pfalz in der JVA Diez (Rhein-Lahn-Kreis). Leben in kleinen Appartements Die Bedingungen sind besser als im Strafvollzug. Die Männer leben in 18 Quadratmeter großen Zimmern, mit Bad und Miniküche. Wenn es die Sicherheit erlaubt, können die Untergebrachten ihre Zimmer selbst gestalten und einrichten. es gibt offene und geschlossenen Wohngruppen. Die Sicherungsverwahrung ist zeitlich nicht begrenzt. Regelmäßig überprüft ein Gericht, ob sie noch notwendig ist. Nach zehn Jahren wird in kürzeren Abständen überprüft.

Die Staatsanwaltschaft wollte zudem, dass der Mann aus Neustadt wegen der Tat im September verurteilt wird und weil er gegen Auflagen verstoßen hat, nachdem seine letzte Haft im vergangenen Juli vorbei war. Unter anderem hatte er ein Handy in seinem Besitz und Kontakt zu Kindern gesucht.

Bitte beweisen sie uns, dass der Rechtsstaat mit Tätern dieses Kalibers umzugehen weiß. Vater des zehnjährigen Opfers

Den Schlussvortrag der Nebenklage hatte am Mittwoch nicht der Anwalt, sondern der Vater des Opfers selbst gehalten. Er forderte keine bestimmte Strafe, sondern bat das Gericht: "Bitte tragen sie Sorge dafür, dass dieser Mann nie wieder die Möglichkeit bekommen wird, ein Kind zu entführen und zu missbrauchen". Und weiter: "Bitte beweisen sie uns, dass der Rechtsstaat mit Tätern dieses Kalibers umzugehen weiß." Dem SWR liegt ein Ausschnitt seiner Schlussrede vor.

Die Verteidigerin hatte in ihrem Plädoyer eine Haftstrafe von acht Jahren gefordert,

Was war das Besondere an dem Missbrauchsprozess Edenkoben?

Um die Zehnjährige zu schützen, wurde das Publikum immer wieder aus dem Gerichtssaal geschickt. Dann wurde ohne Öffentlichkeit verhandelt. Auch die Plädoyers, die Schlussvorträge, wurden ohne Zuschauer gehalten.

Was war der beeindruckendste Moment?

Am 2. Prozesstag erzählten mehrere Polizistinnen und Polizisten vom Tag der Tat. Sie berichteten davon, wie der Angeklagte in einer halsbrecherischen Verfolgungsjagd versucht hatte, zu fliehen – das Mädchen mit im Auto. "Wie in einem Videospiel war das", sagte eine Polizistin. Vor Gericht dankte der Vater der Zehnjährigen jedem Einzelnen. Er machte sein Mikro an und sagte: "Danke, dass sie meine Tochter da rausgeholt haben. Dass sie da so hartnäckig drangeblieben sind."

Warum hatte der Fall auch eine politische Diskussion ausgelöst?

Der Angeklagte hätte nach seiner letzten Haftentlassung Mitte Juli 2023 eine elektronische Fußfessel tragen müssen. Das hat er verweigert. Die Behörden verwiesen damals auf die geltenden gesetzlichen Regelungen, wonach eine solche Fußfessel nicht unter Zwang angelegt werden könne. Das soll sich ändern.

RLP: Fußfessel soll auch unter Zwang angelegt werden

Als Konsequenz aus dem sexuellen Missbrauch einer zehnjährigen Schülerin in Edenkoben hat die Landesregierung das Polizeigesetz angepasst. Es sind schärfere Regeln für das Anlegen einer elektronischen Fußfessel geplant. Das neue Gesetz soll voraussichtlich noch im Jahr 2024 in Kraft treten. Der mutmaßliche Täter von Edenkoben, ein entlassener Sexualstraftäter, hatte sich vor der Tat geweigert, eine Fußfessel zu tragen. In Zukunft wird es möglich sein, Menschen präventiv eine Fußfessel anzulegen, von denen eine besonders hohe Gefahr ausgeht, dass sie eine Straftat begehen. Notfalls kann die Fußfessel auch unter Zwang angelegt werden. Das war bisher nicht erlaubt. Die Fußfessel kommt laut Innenministerium bei besonders gefährlichen Menschen in Betracht, die nach Verbüßung einer Strafe noch immer als gefährlich eingestuft werden. Betreffen könne dies etwa Sexualstraftäter oder Menschen, von denen eine terroristische Gefahr ausgehen könnte. Es könne auch Fälle von häuslicher Gewalt betreffen, in denen die gewalttätige Person trotz eines Verbots Kontakt zum Opfer aufgenommen hat.

Auch die Arbeit der Ermittler wurde kritisiert. Wenige Tage vor der Tat im September hatte die Staatsanwaltschaft Frankenthal einen Haftbefehl beantragt, weil der 62 Jahre alte Mann gegen Auflagen, wie zum Beispiel das Anlegen der Fußfessel verstoßen hatte. Die Akten mit dem Haftbefehl seien wegen der Erkrankung einer Mitarbeiterin aber erst mit Verzögerung an das zuständige Amtsgericht weitergeleitet worden und erst nach der Tat angekommen, hatte Justizminister Herbert Mertin (FDP) mitgeteilt.

Sendung am Do., 18.4.2024 14:00 Uhr, SWR4 am Nachmittag, SWR4

Das war der Edenkoben-Prozess