In RLP steigen bei Häuslicher Gewalt die Zahlen an. Die Frauenhäuser decken den Bedarf nicht mal annähernd.  (Symbolbild)

Rheinland-Pfalz Gewalt gegen Frauen: Zu wenig Frauenhäuser in Rheinland-Pfalz

Stand: 25.11.2024 15:11 Uhr

In RLP gibt es immer mehr Fälle von häuslicher Gewalt. Doch die Frauenhäuser decken den Bedarf nicht mal annähernd. Abhilfe schaffen vielerorts Beratungen - für Betroffene und Gewalttäter.

Am sogenannten "Orange Day", am 25. November, wird international dazu aufgerufen, sämtliche Gewalt an Frauen und Mädchen zu bekämpfen. Auch für viele Frauen in Rheinland-Pfalz ist Gewalt alltäglich. Nach Angaben der Landeskriminalpolizei Rheinland-Pfalz (LKA) gab es 2023 9.662 Fälle von häuslicher Gewalt gegen Frauen - deutlich mehr als noch vor fünf Jahren (8.962). Zudem wurden 28 Femizide registriert – also Fälle, bei denen ein Mädchen oder eine Frau aufgrund ihres Geschlechts getötet worden ist oder der Täter es versucht hat. Dazu kommen Fälle sexualisierter Gewalt und das stark ansteigende Problem digitaler Gewalt gegen Frauen.

Gewalt an Frauen: Verbände in RLP schlagen Alarm

Frauenhilfe-Verbände im Land schlagen schon seit langem Alarm. Denn Anlaufstellen und Frauenhäuser sind chronisch unterfinanziert. Sie hoffen, dass das auf der Kippe stehende Gewalthilfegesetz der Bundesregierung doch noch verabschiedet wird.

Dafür will sich auch das rheinland-pfälzische Ministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration (MFFKI) einsetzen. Aus Sicht der Betroffenen sei das Gesetz ein Meilenstein im Gewaltschutz, so das Ministerium: "Jede und Jeder könnte diese Unterstützung kostenfrei in Anspruch nehmen. Dies ist zurzeit leider nicht der Fall."

Darüber hinaus arbeitet die Landesregierung nach eigenen Angaben an einem eigenen Aktionsplan zur Umsetzung der Istanbul-Konvention, der im Januar im Ministerrat besprochen werden soll.

Was ist die Istanbul-Konvention?
Am 11. Mai 2011 beschloss der Europarat das Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt. Es wurde in Istanbul verabschiedet und wird daher meist als Istanbul-Konvention bezeichnet. Der völkerrechtliche Vertrag trat 2014 in Kraft. Neben Prävention und Opferschutz setzt die Istanbul-Konvention auch auf Strafverfolgung.   Der Grundsatz der Konvention in Art. 1a lautet: "Zweck dieses Übereinkommens ist es, Frauen vor allen Formen von Gewalt zu schützen und Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verhüten, zu verfolgen und zu beseitigen." Bis heute haben 46 Mitgliedsstaaten des Europarats die Konvention unterzeichnet und 38 davon haben sie inzwischen ratifiziert. Die Türkei ist allerdings inzwischen wieder ausgetreten. In Deutschland trat der Vertrag am 1. Februar 2018 in Kraft. Quellen: UN Women Deutschland e.V., Bundeszentrale für politische Bildung

Frauenhäuser oft voll belegt

Frauenhäuser: Akute Hilfe für Betroffene von häuslicher Gewalt bieten die 18 Frauenhäuser im Land. Ein Weiteres entsteht zurzeit in der Eifel. Nach Vorgaben der Istanbul-Konvention müsste Rheinland-Pfalz eigentlich knapp 420 Plätze für gewaltbetroffene Frauen vorhalten. Tatsächlich werden es bis zum Ende des Jahres nach Angaben der Landesregierung aber nur 164 Frauenhaus-Plätze sein.

Bundesweites Gewalthilfegesetz steht auf der Kippe
Der Entwurf zum Gewalthilfegesetz der Bundesregierung sieht unter anderem vor, dass Opfer häuslicher Gewalt einen verbindlichen Rechtsanspruch auf einen Platz in einem Frauenhaus bekommen. Damit würden die Bundesländer dazu verpflichtet, mehr Plätze zu schaffen und so die Vorgaben der Istanbul-Konvention zu erfüllen. Auch die Finanzierung von Frauenhäusern soll verbessert werden. Aber nach dem Bruch der Ampel fehlt es dafür aktuell an einer Mehrheit im Bundestag. Um das Gesetz zu beschließen, sind also Stimmen aus der Opposition nötig und ob diese sich anschließen wird, ist zurzeit noch unklar.

Wie viele Plätze fehlen, zeigt auch eine Statistik des Frauenhauses Trier. Im Jahr 2023 gingen dort 191 Notrufe ein, berichtet Mitarbeiterin Claudia Berlingen. Daraus ergaben sich aber lediglich fünf sofortige Aufnahmen ins Frauenhaus, mit den anderen Frauen musste erst ein Fluchtplan entwickelt werden. Einige von ihnen mussten aus Sicherheitsgründen an ein anderes Frauenhaus oder zunächst an andere Fachstellen vermittelt werden.

Ein ähnliches Bild zeichnet sich auch in Bad Kreuznach ab. Laut der Leiterin des dortigen Frauenhauses haben im vergangenem Jahr knapp 150 Frauen einen Platz für die sieben zur Verfügung stehenden Familienzimmer angefragt. 115 Frauen mussten abgelehnt werden. Durch ein Rheinland-Pfalz-weites Ampel-System, bei dem auf einer Karte die Auslastung in den Frauenhäusern angezeigt wird, haben sich die Anfragen in Bad Kreuznach zwar etwas verringert. Trotzdem seien 115 Ablehnungen einfach viel zu viel, so die Leiterin.

Frauenhaus endlich auch in der Eifel

Ende November soll das Frauenhaus in der Eifel eröffnen. Es bietet Platz für zehn Frauen und ihre Kinder. In der Vergangenheit mussten Frauen aus der Eifel in den Frauenhäusern in Koblenz und Trier anfragen und wurden oft abgewiesen.

Wir freuen uns sehr, dass es jetzt auch ein Frauenhaus in der Eifel gibt. Das ist dringend nötig und darauf haben viele lange gewartet. Aber das neue Haus dort wird das Frauenhaus Trier kaum entlasten, weil es einfach auch so viele Anfragen aus unserer Region und bundesweit gibt. Claudia Berlingen, Frauenhaus Trier

Häusliche Gewalt: In RLP helfen Präventions- und Beratungsstellen

Doch Betroffene von Gewalt bekommen auch an anderer Stelle Hilfe: Zahlreiche Fachberatungsstellen sind spezialisiert auf die Beratung von Opfern unterschiedlichster Gewaltformen. Hinzu kommen Angebote, die noch früher ansetzen. Sie richten sich gezielt an Männer, die in der Vergangenheit zu Tätern geworden sind, oder erst gar nicht dazu werden wollen.

Frauen-Notruf: Für manche Betroffene von sexuellen Übergriffen ist das Aufsuchen einer Beratungsstelle vor Ort eine Hürde. Der erste Schritt kann der Anruf bei einem Frauen-Notruf sein. Das bundesweite Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" ist rund um die Uhr unter 116 016 und via Online-Beratung erreichbar, für Betroffene aller Nationalitäten, mit und ohne Behinderung. Eine Übersicht über die Frauen-Notrufe in RLP ist hier verlinkt.

Interventionsstellen: Interventionsstellen bieten Hilfe für Betroffene von Gewalt in engen sozialen Beziehungen. Auch bei Stalking, also dem beharrlichen Nachstellen und Belästigen im realen und digitalen Raum, können sie Opfer beraten und an andere Unterstützungsangebote weitervermitteln

Warum sprechen wir von Femizid?
Als Femizid bezeichnet man die Tötung einer Frau oder eines Mädchens aufgrund ihres Geschlechts. Wird in Deutschland jemand von seinem (Ex-)Partner oder Ehepartner getötet, ist in über 90 Prozent der Fälle das Opfer weiblich. 2021 wurde rechnerisch alle drei Tage eine Frau von ihrem (Ex-)Partner oder Ehepartner getötet. Das geht aus der polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamts hervor. Ein versuchtes Tötungsdelikt gegen eine Frau durch (Ex-)Partner oder Ehemann gab es rechnerisch sogar fast jeden Tag. In Notfällen könne sich betroffene Frauen auch an das Hilfetelefon unter der Nummer 0800 0116 016 wenden. Woher stammt der Begriff? Der Begriff Femizid wird inzwischen von vielen Frauenorganisationen und Aktivistinnen und Aktivisten, aber auch in der Wissenschaft verwendet. Auch Journalistinnen und Journalisten sprechen verstärkt von Femizid, um beschönigende und irreführende Begriffe wie "Familiendrama", "Ehrenmord" oder "häusliche Gewalt" zu vermeiden und auf das Ausmaß der Gewalt aufmerksam zu machen. Der Begriff geht auf die Soziologin und Feministin Diane E. H. Russell zurück. Er soll verdeutlichen, dass es sich dabei um Hassverbrechen handelt. Diese geschehen laut Russell entweder aus Frauenhass, oder weil Frauen aus traditionellen Rollenvorstellungen ausbrechen. 2011 hat der Europarat die Istanbul-Konvention beschlossen, die seit 2018 auch in Deutschland verbindlich ist. Darin wird geschlechtsspezifische Gewalt als "strukturelles Problem" anerkannt. Die 46 Mitgliedsstaaten des Europarats verpflichten sich durch die Konvention, unter anderem "Gewalt gegen Frauen zu verhüten, zu verfolgen und zu beseitigen". (Europarat und Rat der EU sind leicht zu verwechseln, aber nicht dasselbe - hier wird der Unterschied erklärt.)

Selbstverteidigungskurse: Vielerorts in RLP werden Kurse speziell für Frauen angeboten, so auch in einer Mainzer Taekwondo-Schule. Der Kurs soll ein "Safespace" für Frauen sein, sagt Kursleiterin Lena Hofmann, die den Kurs vor etwa drei Monaten ins Leben gerufen hat.

Hier lernen die Frauen aus unterschiedlichsten Altersgruppen nicht nur Techniken, wie sie selbstbewusster auftreten, sondern auch, wie sie sich als oft körperlich unterlegene Person trotzdem gegen Männer wehren können. Gerade die Fitness werde trainiert, denn: "Die beste Verteidigung ist immer noch, wenn ich schnell weglaufen kann", sagt Hofmann. 

Frühzeitige Aufklärung für Kinder und Jugendliche

Vielerorts gibt es auch Angebote, die sich speziell an Kinder und Jugendliche richten, beispielsweise im Kreis Trier-Saarburg. Die dortige Fachstelle zur Gewaltprävention und Mädchenarbeit des Jugendnetzwerks Konz bietet unter anderem Projekte und Trainings rund um das Thema Gewaltprävention an. Dabei werden die Kinder für verbale und körperliche Gewalt, sowie Mobbing und Diskriminierung sensibilisiert.

Auch für Schulen werden solche Kurse angeboten, zum Beispiel vom Frauenhaus Speyer. Durch die regelmäßigen Workshops werde das sensible Thema Gewalt geöffnet, sagt Leiterin Silvia Bürger: "Es hat sich gezeigt, dass sich durch die Workshops betroffene Kinder tatsächlich bei uns gemeldet haben und von Gewalt in ihrer Familie erzählt haben." Das sei wichtig, denn: "Die gewaltbetroffenen Kinder sind meist die Opfer oder Täter von morgen", so Bürger.

Pro familia in Trier bietet Kurse für Grundschüler der vierten Klasse an, in denen es um Aufklärung und sexuelle Bildung geht. Die Kinder sollen dabei sensibilisiert werden, dass sie selbst über ihren Körper bestimmen dürfen und sollen lernen, Grenzen zu setzen. Das soll sie vor ungewollten Berührungen und potentiellen Übergriffen schützen. Außerdem bildet pro familia Erzieherinnen und Lehrerinnen in Kitas und Schulen in Sexualpädagogik weiter.

Tätern helfen, um Opfer zu schützen

Kurse für Täter: Mittlerweile gibt es an einigen Stellen in Rheinland-Pfalz Angebote für Männer, die in ihrer Beziehung gewalttätig geworden sind. Ein solches Angebot bietet die Beratungsstelle "Contra Häusliche Gewalt" an, die an neun Standorten in Rheinland-Pfalz tätig ist. Täterarbeit sei Opferschutz. Denn um künftige Vorfälle zu verhindern, müsse man sich auch um die gewalttätigen Partner kümmern, so Jonas Marx von "Contra" in Landau.

In den Beratungsstellen können Männer lernen, wie sie anders auf Konflikte reagieren und Gewaltspiralen erkennen. Sowohl in Gruppentherapie als auch in Einzelgesprächen soll ihnen gezeigt werden, wie ein Leben ohne Gewalt möglich ist. "Und das ist alles anonym", so Marx. "Teilnehmer können sich sicher sein, dass alles im geschützten Raum stattfindet." Neben Männern, die von sich aus am Programm teilnehmen, gibt es auch viele, die eine Beratungsauflage von der Justiz und der Polizei bekommen haben.

Beratungsstelle "Contra häusliche Gewalt" in Landau

Bei der Beratungsstelle "Contra häusliche Gewalt" in Landau findet das Gruppentraining immer Montags statt.

Unterstützung für benachteiligte Frauen

Auch für besonders vulnerable Frauen gibt es Hilfe. So ist das Café Haltepunkt in Trier ein offenes Angebot für Frauen, besonders für solche, die wohnungslos oder davon bedroht sind. Träger ist der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF). Die meisten der Besucherinnen hätten Gewalterfahrungen gemacht, berichtet Regina Bergmann vom Träger SkF. Die Frauen können sich im Café beraten lassen oder einfach bei Kaffee, Tee und Freizeitangeboten anderen Frauen begegnen. Vor Ort sind ehrenamtliche Begleiterinnen, die ein offenes Ohr haben. In diesem Jahr haben schon etwa 700 Frauen das Café besucht.

Das Haus Maria Goretti bietet stationäre Hilfen für wohnungslose und psychisch kranke Frauen an. Die Einrichtung hat 32 Plätze. Die Frauen leben dort in kleinen Wohngruppen maximal zu fünft. Damit sie Privatsphäre haben, leben die Frauen in Einzelzimmern. Außerdem gibt es Einzelappartements für Frauen, die nicht in Gruppen leben können. Möglich ist auch, in einer Außenwohngruppe zu leben und im geschützten Rahmen zu erproben, selbstständig zu leben.

Sendung am Mo., 25.11.2024 9:00 Uhr, Der Vormittag, SWR1 Rheinland-Pfalz

Mehr zum Thema Gewalt an Frauen