Evgenya Chervatuk in Bad Breisig

Rheinland-Pfalz 1.000 Tage Ukraine-Krieg: Wie eine Ukrainerin in RLP Fuß fasste

Stand: 19.11.2024 11:49 Uhr

Vor zwei Jahren flüchtete Evgenya Chervatuk mit ihrer kleinen Tochter aus der Ukraine nach Rheinland-Pfalz. Sie hat Deutsch gelernt und einen Job gefunden. Doch der Weg war schwer.

Über 50.000 Ukrainerinnen und Ukrainer leben in Rheinland-Pfalz. Die meisten sind vor dem Krieg geflohen, kamen in ein Land, in dem sie vorher noch nie waren. Geht es nach der Politik und Gesellschaft, sollen sie möglichst schnell Deutsch lernen und einen Job finden. Klingt machbar, oder? Doch neben Disziplin und viel Fleiß braucht es auch Glück. Die 37-jährige Evgenya Chervatuk hatte alles und arbeitet mittlerweile in einer Kita.

Eine kleine Wohnung in Bad Breisig. Im Wohnzimmer sitzen Evgenya, ihr Mann und ihre sechsjährige Tochter Olga. Auf dem Tisch stehen selbstgebackener Apfelkuchen, Kekse und Obst. Evgenya spricht leise und überlegt, doch sie lacht auch viel. Die sechsjährige Olga erzählt auf Deutsch munter von ihrem Schulalltag. Eine kleine glückliche Familie, hinter der doch so schwere Jahre liegen.

Familie kommt nach Flucht bei Ehepaar in Bad Breisig unter

Als Evgenya im März 2022 mit ihrer Tochter in Bad Breisig ankam, lag eine fast 2.000 Kilometer lange Flucht hinter ihr. "In unserer Heimat Kiew sind die Bomben immer näher an unserem Wohnhaus eingeschlagen. Zu bleiben war für uns keine Option mehr", erzählt die schlanke Frau mit den langen braunen Haaren. Doch sie und ihre Tochter hätten Glück gehabt und kamen schon kurze Zeit nach ihrer Ankunft in Bad Breisig bei einem Ehepaar unter. Über ein Jahr haben sie dort gewohnt. "Die Leute haben sich rührend gekümmert, haben uns wie einen Teil der Familie behandelt. Und sind uns mittlerweile auch Familie geworden", sagt Evgenya.

Erlernen der deutschen Sprache als erster Schritt

Dennoch: Weder sie noch ihre Tochter sprachen am Anfang ein Wort Deutsch, waren nun in einem Land, das sie nie zuvor besucht hatten. In der Ukraine hatte Evgenya Mathematik und Wirtschaft studiert und als Lehrerin gearbeitet. Das war - ohne wirklich gute Sprachkenntnisse - natürlich nicht möglich in Deutschland, das war ihr klar. Doch Evgenya wollte von Anfang an arbeiten, bewarb sich in Kitas, wollte putzen oder in der Küche helfen. Erfolglos - eine Putzkraft konnte niemand brauchen. Evgenya ging zum Jobcenter.

"Die Beraterin betrachtete meine Qualifikationen und empfahl mir, erstmal zur Ruhe zu kommen und sich ganz auf das Erlernen der deutschen Sprache zu konzentrieren. Dieser Ratschlag ist für mich ein großes Glück gewesen", sagt Evgenya rückblickend.

Nach der Flucht: Quälende Zukunftsängste

Tatsächlich lernte sie schnell, absolvierte die Kurse mit Erfolg. Aber, so Evgenya, leicht sei es nie gewesen. Vormittags fünf Stunden Deutschunterricht, die kleine Tochter war derweil in einer Betreuung, Nachmittags aber musste sie sich um Olga kümmern, ihre Hausaufgaben machte sie nicht selten in der Nacht. Zudem quälten die 37-jährige Zukunftsängste. "Ich hatte keine Idee, was ich arbeiten sollte. Ich habe keinen Weg gesehen, war oft krank und fühlte mich müde."

Olga, damals gerade mal vier Jahre alt, habe sie aufgemuntert. "Einmal, als ich so richtig unten war, hat Olga mich in den Arm genommen und gesagt: Mama, halt die Nase hoch, das wird schon", erinnert sich Evgenya.

Mit vielen helfenden Händen zum Job im Kindergarten

Sie gab nicht auf. Wochenlang habe sie am Computer recherchiert, was sie tun könne, wen sie ansprechen müsse, wer ihr weiterhelfen könne. Und die Suche hatte irgendwann Erfolg. "Man muss eine Idee haben, um weiter zu kommen. Muss wissen, was man will. Die richtigen Fragen stellen. Dann findet man auch Hilfe. Das ist mir irgendwann klar geworden", sagt Evgenya.

Viele Helfer und Helferinnen seien aber nötig gewesen. Unterstützt habe sie beispielsweise das Ehepaar, bei dem sie das erste Jahr gewohnt hat. In der Volkshochschule gab man ihr wichtige Tipps. Berater des Roten Kreuzes empfahlen ihr schließlich ein Förderprogramm des Landes für pädagogische Fachkräfte aus dem Ausland. Berater der Caritas erklärten ihr, welche Unterlagen nötig sind. Viele einzelne Puzzleteile, die Evgenya irgendwann zusammengesetzt hatte. Auch weil sie nicht nachgelassen hat.

Im Januar 2023, nicht mal ein Jahr nach ihrer Flucht, fand Evgenya Arbeit im Kindergarten Sonnenschein in Bad Breisig. Inzwischen ist sie dort als pädagogische Fachkraft unbefristet angestellt. "Die Arbeit macht mir sehr viel Spaß. Als ich ein kleines Mädchen war, wollte ich immer 15 Kinder. Jetzt habe ich eine Tochter und viele Kinder, mit denen ich tagsüber zusammen bin", lacht sie.

Doch Evgenya besucht auch nebenbei weiter Deutschkurse, lernt für die nächsten Prüfungen. Inzwischen ist auch ihr Mann in Bad Breisig. Tochter Olga hat in den vergangenen Jahren ebenfalls Deutsch gelernt und geht in die erste Klasse. Die Familie hat eine Wohnung gefunden, ist endlich angekommen. "Wir wollen bleiben", sagt Evgenya. "Auch wenn es schwer ist,  Familie und vertraute Freunde nicht mehr zu sehen. Aber wir haben hier eine Zukunft, die es in der Ukraine absehbar nicht mehr gibt."