Symbol für Solidarität mit HIV-Infizierten

Nordrhein-Westfalen Weltaidstag am 1. Dezember: Haben wir Aids wirklich im Griff?

Stand: 01.12.2024 06:00 Uhr

Mit dem HI-Virus lässt es sich mittlerweile leben, zumindest in Deutschland. Dennoch sterben nach wie vor Menschen an Aids, vor allem, weil die Menschen sich zu selten testen. Hoffnung macht das Medikament Lenacapavir.

Von Oliver Scheel

Die Debatte um Aids ist aus der Öffentlichkeit weitgehend verschwunden - die Krankheit leider nicht. Immer noch stirbt auf dieser Welt jede Minute ein Mensch an Aids. Allein in Subsahara Afrika infizieren sich jede Woche 3.100 junge Frauen und Mädchen mit dem Virus, der trotz aller Fortschritte immer noch tödlich ist. Darauf weist die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) anlässlich des Welt-Aids-Tags am 1. Dezember hin.

Weltaidstag am 1. Dezember | Aktuelle Stunde

In Deutschland ist es anders. Laut Robert Koch-Institut (RKI) sind es zwar 96.700 Menschen, die mit dem HI-Virus leben. Sie erkranken aber nicht an Aids, weil sie mit effizienten Arzneimitteln behandelt werden. Wer sich heute mit HIV infiziert, kann mit den passenden Medikamenten ein weitgehend normales Leben führen. Bei richtiger Behandlung kann ein Mensch mit HIV das Virus nicht mehr weitergeben. "Selbst beim Sex ohne Kondom kann ich HIV nicht weitergeben. Im normalen sozialen Umgang ist HIV nicht mehr ansteckend", erklärt Patrick Maas, Landesgeschäftsführer der Aidshilfe NRW im Gespräch mit dem WDR.

HIV ist unheilbar, aber gut behandelbar

Eine HIV-Infektion ist also bis heute unheilbar, doch rechtzeitig diagnostiziert gut behandelbar. Macht das die Bevölkerung zu sorglos? Die Infektionszahlen zumindest steigen. Das RKI berichtete von 2.200 Neuinfektionen im Jahr 2023 - ein Plus von 15 Prozent. Die Steigerung ist laut Maas aber in erster Linie auf den Zuzug von Menschen aus der Ukraine zurückzuführen. Dort lebe etwa ein Prozent der Menschen mit dem HI-Virus, so erkläre sich der Zuwachs.

In Deutschland "kann man mit HIV gut leben. Das wichtigste aber ist der Test", sagt Maas und regt dazu an, immer wieder einen HIV-Test zu machen. Diagnostiziere man die Krankheit nicht, komme es zu Aids "und Aids führt immer noch zum Tod", so der Experte.

Auswahl an Arzneimitteln wird größer

Das sieht auch die Deutsche Aids-Gesellschaft (DAIG) so: Mit einer frühen HIV-Diagnosestellung und Therapieeinleitung könnten symptomatische Verläufe und die Übertragung von HIV verhindert werden. Späte Diagnosen seien dagegen der Hauptgrund für die HIV-bedingte Krankheitslast und Todesfälle, so die DAIG.

"Die Auswahl an antiviralen Arzneimitteln wird immer größer, die Nebenwirkungen verringern sich und die Anwendung wird einfacher", berichtet Dr. Pablo Serrano, Geschäftsfeldleiter Innovation und Forschung beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie. So könnten bei rechtzeitiger Therapie "die Betroffenen wie gesunde Menschen leben und haben annähernd die gleiche Lebenserwartung wie Nichtinfizierte".

Neuer Wirkstoff Lenacapavir schützt effektiv vor HIV-Infektion

Als wirksames Mittel im Kampf gegen HIV und Aids hat sich auch die sogenannte Präexpositionsprophylaxe (Prep) erwiesen. Das Medikament wird vor allem von schwulen Männern genutzt, um sich beim Sex vor einer Ansteckung mit HIV zu schützen. Die Tablette hat in vielen Ländern dazu beigetragen, die Infektionszahlen zu senken.

Vor wenigen Tagen wurde im "New England Journal of Medicine" eine Studie vorgestellt, die extrem Hoffnung macht: Eine halbjährliche Spritze mit dem Medikament Lenacapavir schützt demnach effektiv vor einer Infektion mit HIV. Fachleute dringen auf einen breiten Einsatz von Lenacapavir. Die Spritze sei "im Grunde" so wirksam wie eine Impfung, sagt der Forscher Andrew Hill von der Universität Liverpool.

Für Lenacapavir solle nun die Zulassung als HIV-Schutz in zahlreichen Ländern beantragt werden. Gezielt werde an einer Versorgung auch in ärmeren Ländern gearbeitet. Denn da ist HIV und Aids ein weit größeres Problem als in Europa. Nach einem neuen UN-Bericht steigt in 28 Ländern die Zahl der HIV-Ansteckungen. Weltweit leben 39,9 Millionen Menschen mit dem Virus, der Großteil in Afrika südlich der Sahara, wie das UN-Programm UNAIDS mitteilte. 2023 seien 630.000 Menschen im Zusammenhang mit Aids gestorben, 1,3 Millionen Menschen hätten sich neu mit dem HI-Virus infiziert.

Wie ist die Lage in NRW?

Auch in NRW sterben noch Menschen an den Folgen einer HIV-Infektion. 2023 waren 67 Tote zu beklagen - ein Plus von 11,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das seien sieben Todesfälle mehr als 2022, aber 52 weniger als 2013. Mit einem Anteil von rund 82 Prozent starben 2023 laut Statistik deutlich mehr Männer als Frauen an HIV-Infektionen.

Im Schnitt habe das Sterbealter bei knapp 59 Jahren gelegen. In den vergangenen zehn Jahren sei das durchschnittliche Sterbealter um gut sechs Jahre gestiegen. Rein rechnerisch sind im Landesmittel im Jahr 2023 von jeweils einer Million Einwohner vier Personen an den Folgen der HIV-Infektion gestorben.

Die Lust am ungeschützten Sex scheint zu steigen

Dass die guten Behandlungsmöglichkeiten eine gewisse Sorglosigkeit bei sexuellen Kontakten erzeugen, belegen Zahlen der Weltgesundheitsorganisation. Die WHO berichtete im Sommer, dass ein erheblicher Anteil der sexuell aktiven 15-Jährigen in Europa ungeschützten Sex habe. Die WHO warnt vor weitreichenden Folgen für junge Menschen und verweist auf ungewollte Schwangerschaften, unsichere Abtreibungen und ein erhöhtes Risiko, sich mit sexuell übertragbaren Krankheiten zu infizieren. 2022 gab es einen Höchststand bei der Syphilis, so das RKI.  

Kondome schützen - lautete früher der Slogan einer Kampagne gegen Aids/HIV. Aber dieser Slogan ist heute so aktuell wie damals.

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