Nordrhein-Westfalen VW in der Krise: Wie konnte das passieren?
Die deutsche Traditionsmarke Volkswagen hat große Probleme: Es drohen Kündigungen und Werksschließungen - und jetzt ist noch der Gewinn um 63,7 Prozent eingebrochen. Dass es so weit kommen konnte, hat Gründe.
Bei VW folgt eine schlechte Nachricht auf die nächste: Erst am Montag die Ankündigung mehrere Werke in Deutschland zu schließen, heute dann die Botschaft zum Absturz beim Gewinn. Der brach um 63,7 Prozent ein und betrug im dritten Quartal nur noch knapp 1,6 Milliarden Euro - unter anderem, weil es für VW auch im wichtigen Markt China schlecht läuft. Der Umsatz fiel allerdings nur um ein halbes Prozent - auf 78,5 Milliarden Euro.
Bei den Volkswagen-Mitarbeitern brodelt es seit Tagen - seit Betriebsratschefin Daniela Cavallo am Montag vor 25.000 Beschäftigten in Wolfsburg die schlechten Nachrichten überbrachte: Mindestens drei seiner zehn Volkswagen-Werke in Deutschland plane der Konzern zu schließen - darunter auch das Werk in Osnabrück. Die verbliebenen Standorte sollten geschrumpft werden. Zehntausende Arbeitsplätze seien in Gefahr, sagte Cavallo.
Bald keine Aufträge mehr
Derzeit werden in Osnabrück noch Aufträge für die Sportwagenmodelle 718 Cayman und Boxster abgearbeitet, die das Porsche-Hauptwerk in Stuttgart nicht schaffe, sagte die Betriebsratschefin. Ab Frühjahr 2026 habe das Werk in Osnabrück keine Aufträge mehr.
Beschäftigte, die ihren Job behalten, müssten derweil mit kräftigen Lohneinbußen rechnen. Heute ab 11 Uhr verhandeln VW und die IG Metall in einer zweiten Runde über den Haustarifvertrag. Die Forderungen von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite klaffen weit auseinander.
Wie das Handelsblatt am Dienstag berichtete, will Volkswagen den größten Teil seiner Einsparungen über den Lohnverzicht erreichen. Die Zeitung beruft sich auf ein Dokument des Vorstands. Demnach könnte eine Kürzung der Gehälter zusammen mit der Streichung von Boni und Sonderzahlungen jährlich zwei Milliarden Euro bringen - womit die Hälfte des Sparziels erreicht wäre.
VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo
Betriebsratschefin Cavallo hatte schon am Montag gesagt: "Der Vorstand will allen Beschäftigten, egal ob Tarif, Tarif-Plus oder Management, zehn Prozent vom Monatsentgelt wegnehmen. Dauerhaft", fuhr Cavallo fort. Zusätzlich soll es 2025 und 2026 keine Gehaltserhöhungen geben. Werkerinnen und Werker müssten demnach "etwa 18 Prozent Entgelteinbußen hinnehmen".
Wirtschaftsexperten sehen mehrere Ursachen:
- In Schieflage geriet der Konzern schon 2015 durch den Abgas-Skandal, der als größter Industrieskandal der Wirtschaftsgeschichte überhaupt gilt: Mittels einer versteckt eingebauten "Schummelsoftware" generierten die Fahrzeuge bei Schadstofftests deutlich bessere Werte als beim tatsächlichen Gebrauch im Straßenverkehr.
- Die Folgen für den Autobauer: Strafzahlungen in Milliardenhöhe, Staatsanwaltschaften ermittelten, Top-Manager wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt. Erst im September startete der Prozess gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Volkswagen AG, Martin Winterkorn. Die große deutsche Traditionsmarke war ins Zwielicht geraten.
- Grundsätzlich ist der Automarkt geschrumpft. Konzern-Finanzchef Arno Antlitz hatte kürzlich auf einer Betriebsversammlung in Wolfsburg vorgerechnet, dass Volkswagen in Europa pro Jahr inzwischen 500.000 Autos weniger verkaufe als vor der Pandemie.
- VW sei außerdem lange Zeit viel zu träge beim Thema E-Mobilität gewesen, sagen Experten. "Volkswagen hat es bis jetzt nicht geschafft, ein preisgünstiges Elektroauto auf den deutschen Automarkt zu bringen, das auch kostengünstig produziert werden kann", sagte Helena Wisbert, Professorin für Automobilwirtschaft an der Ostfalia Hochschule in Wolfsburg, dem WDR. "Da leidet eben auch die Gewinnmarge und es fehlt Volkswagen ein sehr großes Kundensegment, das der Konzern nicht bedienen kann."
- Volkswagen habe außerdem massive strukturelle Probleme: Das Management sei in der Vergangenheit immer bemüht gewesen, Arbeitsplätze zu erhalten. Seit 1992 waren betriebsbedingte Kündigungen bei VW ausgeschlossen. Die Löhne seien deutlich höher als sonst in der Branche üblich. Gleichzeitig sei die Modellpalette immer weiter zusammengestrichen worden.
- Betriebsratschefin Cavallo sieht vor allem die Konzernchefs in der Verantwortung: "Volkswagen krankt daran, dass der Vorstand seinen Job nicht macht", hatte sie Anfang September erklärt. Anstatt in neue Technologien - zum Beispiel Hybrid-Antriebe - zu investieren, würden Produkte und Projekte "immer wieder" verschoben. Tatsächlich hatte Thomas Schäfer, seit 2022 an der Spitze des Konzerns, Mitte 2023 eingeräumt, dass Strukturen und Prozesse bei VW "zu kompliziert, zu langsam, zu unflexibel" seien.
Ende 2023 hatte die Bundesregierung die Umweltprämie für Elektroautos ersatzlos gestrichen. Das trage auch dazu bei, dass E-Autos von VW weniger gekauft werden, sagen Experten.
Betriebsratschefin Cavallo sagt: "Wir brauchen einen umfassenden Plan aus der Politik, wie die Elektromobilität endlich zum Fliegen kommt. Wir brauchen darüber hinaus auch einen Masterplan für den Industriestandort Deutschland."
Nach einer aktuellen Studie des Verbands der Automobilindustrie (VDA) wird der Umstieg auf E-Mobilität in den kommenden zehn Jahren rund 140.000 Arbeitsplätze kosten. Betroffen seien zahlreiche Berufe, etwa in der Metallbearbeitung oder im Maschinenbau, teilte der Branchenverband am Dienstag mit. Seit 2019 seien in dem Bereich schon etwa 46.000 Arbeitsplätze gestrichen worden.
Gefährdet seien insbesondere Jobs bei Zulieferern, die sich auf das Geschäft mit Verbrennerautos konzentrieren. Neue Stellen würden dagegen etwa in der Elektrotechnik oder in der Kunststoffverarbeitung geschaffen.
Helena Wisbert: "Auch Einschnitte für NRW"
Zwar steht keins der zehn deutschen Volkswagen-Werke in NRW. Dennoch könnten die angekündigten Einschnitte auch hier große Auswirkungen haben. Knapp 200.000 Jobs finden sich bei Zulieferern für die Automobilbranche. "Wir haben in Deutschland sehr viele Zulieferer, die in der Automobil-Industrie unterwegs sind, die insbesondere auch Volkswagen beliefern als größter europäischer Autobauer", sagt Expertin Wisbert, "und das wird dann auch Einschnitte hier in NRW haben".
Volkswagen müsste nun Milliarden investieren in Zukunftstechnologien, Elektrifizierung und Digitalisierung der Autos, sagt Helena Wisbert. Um zu bestehen, müsse das Unternehmen künftig preiswertere E-Autos produzieren - "aber die Produktionskosten von Volkswagen sind zurzeit auf dem Niveau von Premiumherstellern". Das passe nicht zusammen.
Gleichzeitig müsse der Konzern ordentlich sparen, um in Zukunft wettbewerbsfähig zu sein. "Eine sehr schwierige Situation."
Unsere Quellen:
- WDR-Interview mit Helena Wisbert, Professorin für Automobilwirtschaft
- IG Metall
- Nachrichtenagentur dpa