Nordrhein-Westfalen Sicherheit am Bahnsteig: Was schützt vor einem Sturz aufs Gleis?
Im Hauptbahnhof Köln ist ein Mann auf die Gleise gestürzt und überfahren worden. Wie können solche Unfälle verhindert werden?
Am Hauptbahnhof in Köln hat sich am Mittwoch ein Unfall ereignet: Ein Mann ist nach Angaben der Bundespolizei auf die Gleise gestürzt und von einem einfahrenden ICE überrollt worden.
Die Auswertung der Videoüberwachung am Gleis habe ergeben, dass der Mann am Gleis gerannt und von einem anderen Menschen unabsichtlich angerempelt worden sei. Dadurch sei der Mann an der Bahnsteigkante in das Gleis gefallen.
Gerade an großen Bahnhöfen wie Köln sind die Bahnsteige oft sehr voll. Viele Reisende warten auf ankommende Züge und wollen nach deren Einfahrt möglichst rasch einsteigen. Diese Situation birgt Gefahren - und das wirft Fragen auf.
Auf Anfrage erläuterte die Deutsche Bahn dem WDR ihre Vorsichtsmaßnahmen zur Vermeidung solcher Unfälle wie in Köln: Die weiße Linie auf dem Boden der Bahnsteige kennzeichne den Sicherheitsabstand, den Reisenden einhalten müssten, sagte ein Bahnsprecher am Donnerstag.
"Der Abstand zur Bahnsteigkante liegt in der Regel bei 85 Zentimetern." Zusätzlich seien ausgewählte Bahnsteige "zur Kennzeichnung der freizuhaltenden Fläche mit einer auffälligen Schraffur versehen".
Eine weitere Sicherungsmaßnahme seien "zyklische Durchsagen" an Bahnsteigen, so der Bahnsprecher. "Sie weisen regelmäßig darauf hin, den Sicherheitsbereich erst zu übertreten, wenn der Zug gehalten hat." Denn wenn ein Zug einfahre, entstehe ein Sog zum Zug. "Deshalb ist es wichtig, nicht nur sich selbst zu sichern durch ausreichend Abstand, sondern auch Gepäck und Kinderwagen."
Bahnsteig Barrieren in Japan
In Japan und anderen Ländern gibt es an Bahnhöfen Sperren zwischen Bahnsteigen und Gleisen. Wenn der Zug eingefahren ist, werden die Sperren geöffnet und die Reisenden können ein- und aussteigen. Danach schließen sie sich wieder.
Der Fahrgastverband Pro Bahn sieht eine solche Maßnahme kritisch. Die mehr als 5.600 Personenbahnhöfe in Deutschland mit solchen Sperren auszustatten, sei ein hoher Kostenaufwand. "Außerdem würde das nicht funktionieren", sagte Detlef Neuß von ProBahn-NRW am Donnerstag dem WDR. "Wir haben in Deutschland unterschiedliche Zugtypen im Fern- und im Nahverkehr, die unterschiedlich viele Türen an unterschiedlichen Stellen haben."
Auch die Deutsche Bahn hält nichts von technischen Sperren. "In Deutschland haben wir Mischverkehr", sagte ein Bahnsprecher dem WDR. "Von einem Bahnsteig fahren sowohl Regional- als auch Fernzüge ab – anders als in anderen europäischen Ländern."
In Frankreich und England ist der Zugang auf großen Bahnhöfen mit einer Schranke geregelt: Erst wenn der Zug eingefahren ist, können Reisende die Bahnsteige betreten und so in die Nähe der Gleise gelangen.
Pro-Bahn-Sprecher Detlef Neuß
Doch auch diese Möglichkeit hält der Pro-Bahn-Sprecher Neuß für "nicht praktikabel". In den deutschen Bahnhöfen fehlten die baulichen Voraussetzungen dafür. "Es gibt schlicht zu wenig Platz." Auf großen Bahnhöfen steigen nach seinen Angaben rund 300 bis 400 Reisende pro Zug aus und ein.
Auch ein Zeitproblem gebe es: Wenn die Ein- und Aussteigenden strikt von einander getrennt würden, benötige das rund zehn bis 15 Minuten pro Zug. "Derzeit hält ein ICE durchschnittlich vier Minuten an Bahnhöfen." Eine Schrankenregelung würde deshalb den kompletten Fahrplan durcheinander bringen, so der Pro-Bahn-Sprecher.
Aus Sicht von Pro-Bahn-Sprecher Neuß, ist das so. "Es muss mehr Personal geben, das darauf achtet, dass die Fahrgäste hinter der weißen Linie bleiben, bis der Zug zum Stehen gekommen ist."
Dazu gehöre es auch, dass zur Wagenreihung rechtzeitige und präzise Durchsagen gemacht würden. Das geschehe derzeit leider noch nicht in ausreichendem Maß. "Damit kann vermieden aber werden, dass Reisende während der Einfahrt des Zuges plötzlich von einem Bahnsteigende zum anderen unterwegs sind und sich dabei möglicherweise an der Bahnsteigkante bewegen."
Doch das Unfallrisiko lasse sich letztlich nicht ganz ausschließen, sondern nur minimieren.
Hundertprozentige Sicherheit wird es in vollen und engen Bahnhöfen in der Hauptverkehrszeit nie geben.
Detlef Neuß, Sprecher von Pro-Bahn-NRW
"Reisende halten sich auf Bahnsteigen gerne an Zu- und Abgängen auf, aber auch an Attraktionspunkten wie zum Beispiel Informationstafeln", sagte Maik Boltes, Forscher zur Fußgänger-Dynamik am Forschungszentrums Jülich, am Donnerstag dem WDR.
Um solche punktuelle Zusammenballungen zu verringern, könnten daher solche "Attraktionspunkte" von den Zu- und Abgängen wegverlegt werden. Eine bessere Attraktivität des gesamten Bahnsteiges könne auch durch eine helle gleichmäßige Ausleuchtung erreicht werden.
Zudem könne durch weniger Aufbauten auf dem Bahnsteig mehr Platz geschaffen werden. "Eine Erweiterung der Bahnhöfe selbst sei jedoch oft schwer, da die Gebäude zumeist im dicht bebauten Zentrum einer Stadt liegen", sagte Sicherheitsforscher Boltes.
Was kann ich selbst tun?
Eine weiße Sicherheitslinie im Kölner Hauptbahnhof
"Halten Sie sich auf dem Bahnsteig nicht unmittelbar an der Bahnsteigkante auf", schreibt die Bundespolizei auf ihrer Homepage. "Die weiße Sicherheitslinie auf dem Boden markiert den sicheren Abstand zur Bahnsteigkante."
Was die Wagenreihung betrifft können sich die Reisenden auch selbst informieren: "Bevor man den Bahnsteig betritt, kann man in der Bahn-App nachschauen, welche Waggons in welchem Abschnitt halten", rät Pro-Bahn-Sprecher Neuß.
Die Deutsche Bahn warnt auf ihrer Homepage: "Wer mit Kopfhörern laut Musik hört, ist abgelenkt, überhört Ansagen oder kann von Zugdurchfahrten überrascht werden." Aufmerksamkeit sei auch beim Reisegepäck wichtig. Wer sein Taschen und Koffer zu nah an der Bahnsteigkante abstelle, könne auch selbst rasch in den Gefahrenbereich geraten.
Das sind unsere Quellen:
- WDR-Berichterstattung
- WDR-Anfrage an Deutsche Bahn
- WDR-Anfrage an Pro Bahn NRW
- WDR-Anfrage an Forschungszentrum Jülich
- Homepage der Bundespolizei
- Homepage der Deutschen Bahn
Über dieses Thema berichtet am 31.10.2024 auch die Aktuelle Stunde im WDR-Fernsehen.