Poliovirus

Nordrhein-Westfalen Polio-Virus im Abwasser gefunden - Was bedeutet das?

Stand: 05.12.2024 18:08 Uhr

In mehreren deutschen Städten sind Polioviren im Abwasser entdeckt worden. Auch in Düsseldorf, Köln und Bonn. Die Viren können nach einer Schluckimpfung ausgeschieden werden. Hier sind die wichtigsten Fakten.

Bei den entdeckten Erregern handelt es sich laut Robert-Koch-Institut (RKI) um Viren, die auf die Schluckimpfung gegen Kinderlähmung mit lebenden Polio-Erregern zurückgehen. Außer in Düsseldorf, Köln und Bonn wurden solche Impfviren bereits in Kläranlagen in München, Hamburg, Dresden und Mainz entdeckt.

Rückkehr der Polioviren

Die Schluckimpfung ist vor allem in Asien und Afrika weit verbreitet. Dabei werden einige Tropfen mit Lebendimpfstoff (OPV) durch den Mund eingenommen. Die abgeschwächten Impfviren können von Geimpften bis zu sechs Wochen lang ausgeschieden und weiterverbreitet werden.

In Deutschland gibt es die Schluckimpfung nicht mehr. Hierzulande wird ausschließlich ein inaktivierter Polioimpfstoff (IPV) geimpft, der in den Muskel gespritzt wird. Daher vermutet das RKI momentan, dass die Viren durch Menschen ins Abwasser gelangt sind, die im Ausland eine Schluckimpfung bekommen haben.

Zuletzt hatte es eine Aktion mit Schluckimpfungen in Gaza gegeben, wo das Virus entdeckt worden war.

Impf-Polio nach Schluckimpfung möglich

Ein palästinensisches Mädchen erhält eine Polio-Impfung

Polio-Schluckimpfung in Gaza

Das Problem bei der Schluckimpfung: Geimpfte können abgeschwächte Impfviren mit dem Stuhl ausscheiden und durch Schmierinfektion auf andere Personen übertragen. Wenn die Bevölkerung aufgrund zu niedriger Polio-Impfquoten nicht ausreichend geschützt ist, können diese Impfviren über einen längeren Zeitraum zirkulieren, erklärt das NRW-Gesundheitsministerium.

In sehr seltenen Fällen können sich die Impfviren dabei genetisch verändern und wieder Erkrankungen hervorrufen. Diese veränderten Viren werden VDPV genannt (englisch, kurz für vaccine derived poliovirus). Bei den im Abwasserfrühwarnsystem gefunden Viren handele es sich um solche VDPV, so das Ministerium.

RKI: Einzelne Erkrankungen möglich

Anhand der Nachweise könne nicht sicher gesagt werden, ob Polioviren innerhalb von Deutschland zirkulieren oder ob sie ausschließlich von Menschen ausgeschieden wurden, die sich außerhalb von Deutschland infiziert haben, erklärte das RKI. "Es ist jedoch denkbar, dass Menschen hierzulande die Viren weitergeben und - sofern ungeimpft - einzelne von ihnen auch an einer Poliomyelitis erkranken", hieß es.

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) beruhigte in einer Erklärung am Mittwoch: "Die Nachweise von Polioviren im Abwasser müssen uns nicht beunruhigen", sagte er. "Zum Glück haben wir eine hohe Impfquote in Nordrhein-Westfalen." Dennoch solle man wachsam sein: Er empfehle jedem, "einmal in seinen gelben Impfausweis zu schauen und im Zweifel mit dem Hausarzt zu reden".

Und: Wie bei Corona erhöhe auch bei Polio regelmäßiges Händewaschen den Schutz vor einer Infektion.

Letzte Erkrankung 1990

Bei Polio handelt es sich um eine meldepflichtige Erkrankung. Aktuell gibt es laut Gesundheitsministerium keine gemeldeten Polio-Erkrankungen oder Verdachtsfälle in Deutschland. Der letzte Fall in Deutschland wurde im Jahr 1990 registriert. 1992 wurden noch zwei Fälle registriert, bei denen die Infektion aber im Ausland stattgefunden hatte.

Poliomyelitis ist eine hochansteckende Krankheit, die bei nicht ausreichend immunisierten Menschen zu dauerhaften Lähmungen führen kann. Daher sollten bestehende Impflücken geschlossen werden, rät das RKI. Medizinisches Personal und Mitarbeitende im öffentlichen Gesundheitsdienst sollten jetzt eine erhöhte Wachsamkeit bei poliotypischen Symptomen haben.

Dabei ist die Krankheit oft erstmal nicht erkennbar: Die Ansteckung verläuft bei vielen Menschen ganz ohne oder mit nur milden Symptomen - wie Fieber, Schluckbeschwerden, Kopf- und Gliederschmerzen oder Übelkeit und Erbrechen. Aber auch dann sind Infizierte ansteckend. Werden Zellen des zentralen Nervensystems befallen, kann es zu Muskelkrämpfen und Lähmungen kommen, die auch zum Tod führen können.

Impfquote bei 90 Prozent

Polio wird auch Kinderlähmung genannt, weil der Erreger einst so verbreitet war, dass der Kontakt damit meist schon im Kindesalter erfolgte. Vor allem Kleinkinder waren von den poliotypischen Lähmungen betroffen - meist mit bleibenden Schäden fürs ganze Leben. Eine Therapie gibt es bisher nicht.

Die bundesweite Impfquote liegt nach Angaben des RKI bei rund 90 Prozent, in NRW lag sie 2023 bei über 96 Prozent. Die Ständige Impfkommission empfiehlt eine Impfung im Alter von zwei, vier und elf Monaten. Im Alter von neun bis 16 Jahren wird eine Auffrischung der Impfung empfohlen. Menschen, die vollständig gegen Polio geimpft wurden, sind vor der Erkrankung geschützt. Polio gilt aufgrund engagierter Impfkampagnen seit Jahren als weltweit nahezu ausgerottet.

Keine Gefahr durch Trinkwasser

Laut NRW-Gesundheitsministerium droht hierzulande keine Infektionsgefahr durch Trinkwasser. In Deutschland werde das Trinkwasser in einem mehrstufigen Verfahren aufbereitet. Das sorge dafür, "dass möglichst alle Krankheitserreger und Schadstoffe aus dem Wasser entfernt werden".

Unsere Quellen:

  • Robert-Koch-Institut
  • NRW-Gesundheitsministerium
  • Agentur dpa