Kritik an chinesischen Online-Händler Temu und Shein

Nordrhein-Westfalen Nach Kritik an Temu und Shein: Was könnte sich für Käufer bald ändern?

Stand: 22.10.2024 17:06 Uhr

Die EU erhöht ihren Druck auf Billig-Shopping-Portale wie Temu und Shein. Was bedeutet das für Käufer? Fragen und Antworten.

Von Jörn Seidel

Ob Kleidung, Technik, Spielzeug oder Küchenutensilien - bei beliebten Shopping-Portalen wie Temu und Shein findet man eine riesige Produktvielfalt und niedrigste Preise. Doch mit solchen Direktkäufen in China ist der Ärger oft groß: Es gibt Fälschungen, Schadstoffbelastungen, Irreführungen und Zollhinterziehung. Jetzt erhöht die EU den Druck auf die Portale. Warum genau? Wie? Und mit welchen Folgen für Käuferinnen und Käufer?

Bei Temu, Shein, aber auch bei AliExpress, Ebay oder Amazon Marketplace kann man Produkte direkt von Händlern in China und anderen Ländern bestellen. Dabei kommt es immer wieder zu Problemen, zum Beispiel diesen:

Zollhinterziehung: Zum Teil werden dem Zoll falsche Warenwerte angegeben. Die ARD-Sendung Plusminus zeigte beispielhaft einen Fall in Lüttich: Zollkontrolleure öffneten ein Paket aus China mit einem angegebenen Warenwert von 54 Euro. Im Paket war aber ein Beamer im Wert von 1.270 Euro. 

Ohne die Kontrolle wäre kein Zoll fällig geworden, denn dieser ist nur bei Warenwerten über 150 Euro zu zahlen. Nach Einschätzung des NRW-Finanzministeriums gehen Bund, Ländern und Gemeinden dadurch Einnahmen in Milliardenhöhe verloren.

Schadstoffe und fehlende Produktsicherheit: Im Sommer hat Öko-Test verschiedenen Produkte von Shein geprüft - der Großteil fiel durch. Acht von 21 getesteten Produkten enthielten etwa Rückstände von giftigen Chemikalien. Dabei handelte es sich vor allem Kleidung für Kinder und Jugendliche. 

Der TÜV-Verband bemängelte erst vor wenigen Tagen, dass viele Produkte, die über solche Plattformen direkt außerhalb der EU gekauft werden, "nicht die geltenden Anforderungen an die Produktsicherheit erfüllen". Dazu zählten beispielsweise scharfkantige Spielzeuge, ungenaue Gesundheitstracker, falsche oder gar keine CE-Kennzeichnungen oder fehlende Kontaktinfos.

Manipulative Werbung: In der Vergangenheit hat Temu laut des Verbraucherzentrale-Bundesverbands irreführende Verkaufsmethoden verwendet. Zum Beispiel sah man den Hinweis: "Beeile dich! Über 126 Personen haben diesen Artikel in ihrem Warenkorb". Auch wurden ohne Erklärung durchgestrichene Preise angezeigt. Nach einer Klage des Verbands hat Temu im August eine Unterlassungserklärung abgegeben. Damit verpflichtet sich Temu, solche Regelverstöße zu unterlassen.

Weitere Probleme: Viele Käuferinnen und Käufer, die direkt in China bestellen, beklagen auch, dass Waren oft von schlechter Qualität seien, Pakete teils sehr spät oder gar nicht ankämen und der Kundenservice nur schwer erreichbar sei. Außerdem werde von Käufern teilweise verlangt, Einfuhrumsatzsteuern und Verbrauchssteuern nachzuzahlen, berichtet der Verbraucherzentrale-Bundesverband.

Die EU-Kommission fordert Temu auf, Informationen zu Händlern zu liefern, die illegale Produkte in der EU verkaufen. Für Temu bedeutet das zugleich offenzulegen, was man selbst gegen solche Händler unternimmt. Ist das zu wenig, drohen Strafzahlungen von bis zu zehn Prozent des weltweiten Konzernumsatzes. Das wäre ein harter Schlag. Allerdings ist ein solches Verfahren nach den EU-Digital-Gesetzen sehr langwierig.

Kathrin Schmid

Kathrin Schmid, ARD-Korrespondentin in Brüssel

Daher versuche die EU zugleich auch, "an kleinen Hebeln zu drehen", erklärt Kathrin Schmid, ARD-Korrespondentin in Brüssel. Zum Beispiel kündigte EU-Justizkommissar Didier Reynders am Montagabend vor dem Europäischen Parlament in Straßburg an, die Marktaufsicht zu verstärken. Auch soll es mehr "Mystery Shopping" geben, also Testkäufe, um Mängel aufzudecken.

Außerdem tritt Mitte Dezember die neue EU-Verordnung über die allgemeine Produktsicherheit (GPSR) vollständig in Kraft. Diese verlange den chinesischen Online-Marktplätzen einen entscheidenden Schritt ab, so der Belgier: Sie seien dann verpflichtet, für die einzelnen Produkte "eine verantwortliche Person" zu benennen. Das garantiere "die Rückverfolgbarkeit und Verantwortung für alle auf unserem freien Markt verkauften Waren".

NRW-Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU) forderte im September: Der Kontrolldruck müsse "erheblich erhöht werden - kurzfristig und nachhaltig". Man müsse zweigleisig agieren. "Einerseits braucht es die möglichst schnelle Anpassung des Zollrechts, andererseits müssen die bestehenden Regeln schon jetzt wirksam durchgesetzt werden."

Marcus Optendrenk (CDU), Finanzminister von Nordrhein-Westfalen

Marcus Optendrenk (CDU), NRW-Finanzminister

Optendrenks Vorschlag: "Wenn für einen gewissen Zeitraum wirklich alle Pakete aus Fernost konsequent geöffnet und auf Inhalt sowie Wert überprüft werden, haben wir erstens einen guten Überblick über das Ausmaß des Problems - und wir haben ein vernehmbares Signal nach China gesendet."

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) stellte ebenfalls im September den "Aktionsplan E-Commerce" vor. Dieser sieht unter anderem eine "konzertierte Aktion" der deutschen und europäischen Marktüberwachungsbehörden und des Zolls sowie automatisierte Kontrollen vor.

Debattiert wird auch eine Abschaffung der 150-Euro-Zollfreigrenze. Damit müsste dann jedes Paket verzollt werden.

Kurzfristig wird sich für Käuferinnen und Käufer bei Temu, Shein und anderen Billig-Shopping-Portalen vermutlich nicht viel ändern. Sollte es allerdings wirklich vorübergehend zu den geforderten umfassenden Paket-Kontrollen kommen, könnte sich die Lieferzeit von Paketen eine Weile lang verzögern. Nicht auszuschließen ist auch, dass der Zoll dann vermehrt Nachzahlungen von Paketempfängern verlangt.

Die EU will zwar mithilfe der EU-Digital-Gesetze gegen Regelverstöße hart durchgreifen. Aber bis es möglicherweise zu hohen Strafzahlungen von Temu kommt, "ist es noch ein langer Weg", sagt Kathrin Schmid, ARD-Korrespondentin in Brüssel. 

Langfristiges Ziel der EU ist es, dass die Käuferinnen und Käufer in Europa weniger getäuscht werden, wenn sie bei Shopping-Portalen wie Temu und Shein bestellen, sagt Schmid:

Auf lange Sicht gesehen sollen Verbraucher im Netz wieder mehr ehrliche Angebote finden.

Kathrin Schmid ARD-Korrespondentin in Brüssel

Ein Verbot solcher Billig-Shopping-Portale ist also nicht zu erwarten. Das wurde auch bei der Debatte des Europäischen Parlaments am Montagabend in Straßburg deutlich: "Ich möchte ja nicht den Markt zumachen, überhaupt nicht", sagte Sozialdemokrat Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses im EU-Parlament.

Abzuwarten bleibt allerdings, wie sich durch die angekündigten politischen Maßnahmen die Produktpreise entwickeln. Höhere Produktsicherheit ist in der Regel mit höheren Kosten verbunden. Und sollte auch für Produkte unter 150 Euro Zoll anfallen, wären es letztlich die Käuferinnen und Käufer, die diese Kosten tragen müssten.

Unsere Quellen:

  • ARD-Korrespondentin Kathrin Schmid im Gespräch mit dem WDR-Newsroom
  • Öko-Test
  • TÜV-Verband
  • Verbraucherzentrale-Bundesverband
  • Nachrichtenagentur dpa
  • Bundeswirtschaftministerium
  • tagesschau.de zu Habecks Aktionsplan E-Commerce und den Plänen der EU

Über dieses Thema berichten wir im WDR am 22.10.2024 auch im Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.