Syrer feiern das Ende des Assad Reginmes vor dem Koelner Hauptbahnhof

Nordrhein-Westfalen Assad-Sturz: "Darauf gewartet, seit ich in Deutschland bin"

Stand: 09.12.2024 15:39 Uhr

Vor 34 Jahren flüchtete Siruan H. Hossein als Jugendlicher aus Syrien nach Deutschland. Wie er den Sturz des Assad-Regimes erlebte, dazu gibt er im WDR-Interview emotionale Einblicke. Zudem erklärt der Journalist, was das Ende des Diktators für die syrische Community in NRW bedeutet.

Von Lukas Fegers

Der Sturz des Assad-Regimes: Für viele Syrer ist das augenscheinlich so bedeutsam wie für viele Deutsche der Mauerfall. Nachdem islamistische Rebellen am frühen Sonntagmorgen die Kontrolle über die Hauptstadt Damaskus übernommen hatten und Diktator Baschar al-Assad das Land verließ, feierten bundesweit tausende Exil-Syrer den historischen Moment.

Allein in Essen kamen rund 11.000 Menschen zusammen, auch in Wuppertal-Oberbarmen versammelten sich rund 1.000 Personen. "Die Stimmung ist feierlich und ausgelassen", berichtete WDR-Reporter Borhan Akid.

Die Bedeutung des Assad-Sturzes für die Syrer in NRW

Feierlich war die Stimmung auch tausende Kilometer entfernt - auf der ARIJ-Konferenz in der jordanischen Hauptstadt Amman. Dorthin waren am Wochenende arabische Reporter gereist, um über investigativen Journalismus in der arabischen Welt zu diskutieren. Einer von ihnen: Siruan H. Hossein.

Siruan H. Hossein in einer Fußballhalle in Haltern am See

Siruan H. Hossein lebt in Haltern.

Der 47-Jährige war im Oktober 1990 aus Syrien nach Deutschland gekommen, wuchs nach seiner Ankunft hier in Haltern am See auf, wo er auch heute lebt. Beim WDR "lernte er das Radiomachen", sagt er, war dort viele Jahre freier Journalist - und gründete im Jahr 2013 den syrischen Radiosender Arta FM.

Mittlerweile berichtet Arta FM aus fünf Studios im Nordosten Syriens in vier Sprachen: Kurdisch, Arabisch, Aramäisch und Armenisch. Als "einzig demokratischer" Radiosender, so Hossein. Ein deutsches Büro gibt es in Haltern am See.

Im WDR-Interview spricht Hossein jetzt über seine Gefühle nach dem Sturz des jahrzehntelangen Assad-Regimes, die Stimmung in der syrischen NRW-Community sowie die Hoffnung und Sorgen der Menschen.

WDR: Wie haben Sie die Meldungen über den Sturz des Assad-Regimes verfolgt?

Siruan H. Hossein: Ich war gestern auf einer Konferenz am Roten Meer und habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Wir haben die Nachrichten live mitverfolgt, die syrischen und auch alle anderen Teilnehmenden haben mitgefiebert. Die Freude war groß, dass das 54-jährige Regime der Assad-Familie zu Ende ist. Seit 34 Jahren, seitdem ich in Deutschland bin, habe ich auf diesen Tag gewartet. Jetzt ist er endlich gekommen.

WDR: Wie haben Sie aus der Ferne die Stimmung der syrischen Community in NRW erlebt?

Hossein: Viele Tausende sind auf die Straße gegangen, haben gefeiert und die Flagge der syrischen Republik gezeigt, die auch die neue Flagge Syriens ist. Alle haben zusammen gefeiert: Kurden, Araber, Christen, Muslime, Jesiden. Aus allen ethnischen und religiösen Gruppen sind Syrer zusammengekommen und haben gejubelt. Der Sturz des Assad-Regimes war das Ziel von allen, die nach NRW gekommen und geflohen sind. Denn das Assad-Regime war der Grund.

WDR: Uns wurde berichtet, dass vor allem Sunniten gejubelt hätten, andere Minderheiten seien möglicherweise viel zurückhaltender. Wie ist die Gefühlslage bei den verschiedenen Minderheiten?

Hossein: Die Syrer, die Asylanträge in Deutschland gestellt haben, sind meist sunnitische Araber und Kurden. Es gibt auch einige alawitische Asylbewerber in Deutschland, aber die meisten Alawiten leben in Syrien - die Assad-Familie ist alawitisch. Sie haben einen Sonderstatus in Syrien, daher leben von den Alawiten noch viele in Syrien. Diejenigen, die jetzt gewonnen haben, sind Islamisten, teilweise auch radikale Islamisten. Deshalb haben viele Syrer auch Angst, sind skeptisch und haben nicht mit den Massen gefeiert.

WDR: Wie groß ist die Sorge, dass die Rebellen-Allianz bröckelt und vielleicht wieder ein autokratischer Herrscher an die Macht kommt?

Hossein: Eine Diktatur ist vorbei, aber wir haben Angst vor einer religiösen Diktatur wie in Afghanistan. Viele haben Angst vor der Scharia. Das heißt, dass viele Freiheiten, die Syrer aktuell haben, verschwinden könnten - wegen des Weltbildes der islamistischen Gruppe HTS um Anführer Abu Muhammad al-Dscholani.

Siruan H. Hossein mit einem Mikrofon im Studio

Bei der Arbeit: Siruan H. Hossein am Mikrofon des Radiosenders Arta FM.

WDR: Umgekehrt gefragt: Wie groß ist die Hoffnung, dass in Syrien jetzt demokratische Strukturen verankert werden können?

Hossein: Die Hoffnung ist immer da und sie stirbt nie. Dennoch wird es ein harter Kampf werden. Wir werden weiterhin dafür streiten, dass es zu demokratischen Wahlen kommt. Dass es eine Verfassung gibt, die verschiedene Ethnien und Gruppierungen anerkennt. Dass es eine Regierung und ein Parlament gibt.

Dass die Menschen entscheiden, wie das Land aussieht - und nicht religiöse Gruppierungen oder das Ausland wie die Türkei. Die Syrer, die in NRW und Deutschland leben, haben gesehen, wie es besser geht. Ein Zurück in die vergangene Zeit ist etwas, was für sie gar nicht geht.

WDR: Viele Syrer haben sich in NRW gut eingelebt, haben einen Job und Kinder in Kitas oder Schulen. Wie ist das Gefühl bei diesen Familien? Möchten sie bleiben - oder möchten sie jetzt, nach dem Sturz des Assad-Regimes, wieder zurück nach Syrien?

Hossein: Viele Syrer sind eingebürgert, Deutschland ist ihre neue Heimat. Ihre Zukunft ist in Deutschland. Was aber nicht heißt, dass sie Syrien als ihre ursprüngliche Heimat besuchen und es ein Hin und Her gibt.

Es gibt aber auch einige, die sich in Deutschland nicht wohlfühlen, weil sie älter sind oder nicht so eine Perspektive haben - oder weil ihnen das Wetter in Syrien besser gefällt. Also Menschen, die zurückkehren möchten, wenn sich die Lage stabilisiert hat. Es wird so oder so sein.

WDR: Wie schaut das syrische Leben in der neuen Heimat NRW aktuell aus?

Hossein: Alle Großstädte haben eine große syrische Community, vor allem im Ruhrgebiet. Das ist so das Zentrum der Syrer. Aber auch in Münster, Köln und Düsseldorf leben beispielsweise viele Syrer. Die Syrer befinden sich überall. Früher war die Gastronomie dominiert durch Menschen aus der Türkei - das ist heute anders.

Viele Syrer haben Geschäfte übernommen. Weil viele Syrer da sind, gibt es Bedarf an syrischen Lebensmitteln, an syrischen Restaurants. Die Syrer haben das Bild in NRW inzwischen geprägt. Syrische Strukturen sind entstanden, wo früher türkische Strukturen waren.

Unsere Quellen:

Über dieses Thema berichten wir am 09.12.2024 auch im WDR-Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.