Ein Bundeswehr-Rekrut in Uniform blickt durch ein Fernglas.

Mecklenburg-Vorpommern Hamburg Schleswig-Holstein Pistorius stellt neues Wehrdienst-Modell vor - Kritik aus dem Norden

Stand: 13.06.2024 11:54 Uhr

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will die Nachwuchsprobleme der Bundeswehr angehen. Alle 18-Jährigen sollen angeschrieben, einige gemustert, davon ein Teil für den Wehrdienst ausgewählt werden. Die Pläne gehen einigen Verteidigungsexperten nicht weit genug.

Es geht darum, die personell geschwächte Bundeswehr deutlich zu verstärken und angesichts wachsender Bedrohung wie aktuell aus Russland schneller reagieren zu können. Immerhin wird die Personallücke von Experten derzeit auf 20.000 Soldatinnen und Soldaten beziffert.

Grundgesetz: Keine Wehrpflicht für Frauen

Mit dem neuen Modell, dass der Verteidigungsminister am Mittwoch in Berlin vorstellte, will er nun junge Menschen ohne Zwang rekrutieren und setzt größtenteils auf Freiwilligkeit. Dafür sollen alle Männer und Frauen im wehrdienstfähigen Alter angeschrieben werden. Man geht bundesweit von 400.000 pro Jahrgang aus. Männer sind verpflichtet, einen Fragebogen auszufüllen und zurückzusenden. Für Frauen gilt diese Pflicht nicht. Denn für sie sieht das Grundgesetz keine Wehrpflicht vor, wie Pistorius erklärte.

Pistorius will "die Besten und die Motiviertesten"

Auf Basis des Fragebogens erfolgt dann die Einladung zu Musterung. "Wir wollen die Besten und die Motiviertesten", betonte Pistorius. Ob jemand, den Wehrdienst dann leisten will oder nicht, bleibt aber freiwillig. Allerdings heißt es in dem Konzept auch: "Wir wollen ein neues Modell, das vor allem auf Freiwilligkeit setzt, im Bedarfsfall aber auch verpflichtende Elemente beinhaltet."

Wer sich für den Wehrdienst entscheidet, kann einen sechsmonatigen Grundwehrdienst leisten oder sich für insgesamt 23 Monate verpflichten. "Wer sich länger als sechs Monate verpflichtet, wird ausgebildet werden. Das könnte der Lkw-Führerschein sein, es könnte etwas in der IT sein oder ein Bonus für die Leute, die später an die Uni wollen", erklärt Carsten Schmiester aus der NDR Redaktion Streitkräfte und Strategien bei NDR MV live.

Keine Rückkehr zur ausgesetzten Wehrpflicht

Schon im kommenden Jahr sollen so zusätzlich zu den bisher rund 10.000 Freiwillig Wehrdienstleistenden bis zu 5.000 weitere Wehrdienstleistende ausgebildet werden. Das sei eine geringe Zahl, räumte Pistorius ein, aber die machbare Variante. "Die Infrastruktur, die wir vor vielen Jahren mal hatten, ist nicht mehr da. Die Kasernen sind nicht mehr da, die Ausbilder nicht und auch das Gerät ist nicht mehr da", so Schmiester. Grund dafür ist auch die Aussetzung der Wehrpflicht vor 13 Jahren. Eine Rückkehr zu der ehemaligen Wehrpflicht sei das Modell trotzdem nicht. "Boris Pistorius hat den neuen Wehrdienst vorgestellt, nicht die neue Wehrpflicht", so Schmiester. "Es ist ein Anfang, aber bis wieder Kasernen, Material und Ausbilder da sind - das wird wahrscheinlich mehr als zehn Jahre dauern."

CDU-Verteidigungsexperte Wadephul: "Eine verpasste Chance"

Der schleswig-holsteinische CDU-Bundestagsabgeordnete Johann Wadephul kritisierte die Pläne von Pistorius im Interview mit NDR Info als nicht weitreichend genug. "Offensichtlich limitieren ihn seine eigene Partei, die SPD, und auch die Koalitionspartner, insbesondere die FDP", vermutete Verteidigungsexperte Wadephul. Dem Personalbedarf der Bundeswehr werde das vorgeschlagene Modell nicht gerecht. Es sei eine verpasste Chance. Wadephul sagte, die Union sei offen für eine Grundgesetz-Änderung, die dafür sorgen würde, dass auch Frauen verpflichtend den Fragebogen zum Wehrdienst ausfüllen müssen. Pistorius schlage das aber gar nicht erst vor. "Wir leben in einer Zeit, in der wir Menschen sagen müssen: Das Land braucht dich. Sicherheit gibt es nicht auf Knopfdruck", so Wadephul. Er befürwortet eine Wehrpflicht.

Bundeswehrverband: "Wir hoffen, dass noch mehr passiert"

Auch dem Deutschen Bundeswehrverband gehen Pistorius‘ Pläne nicht weit genug. Der stellvertretende Vorsitzende Marcel Bohnert sagte auf NDR Info, das Konzept sei "ein Einstieg und ein Puzzleteil". Die Initiative sei begrüßenswert, aber "wir hoffen, dass im nächsten Jahr noch ein bisschen mehr passiert". Dass der Handlungsbedarf groß ist, unterstrich Bohnert mit folgenden Zahlen: "Schon jetzt fehlen der Bundeswehr 20.000 Menschen aktiv in der Truppe. Wir haben 181.000 Soldaten und müssten über 200.000 sein." Zudem würden die Forderungen der NATO voraussichtlich noch wachsen - die Rede sei von etwa 270.000 aktiven Soldaten. Dafür reiche das vorgesehene Modell nicht aus, betonte Bohnert.

Niedersachsens Ministerpräsident Weil: "Pragmatisch"

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) äußerte sich positiv zu den Plänen des Parteikollegen Pistorius. "Sie sind pragmatisch und vor allem auch an den aktuellen Ausbildungsmöglichkeiten der Bundeswehr orientiert", sagte Weil. Er bezeichnete es als "Fehler der unionsgeführten Bundesregierung, mit der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 auch die Erfassung möglicher Wehrdienstleistender abzuschaffen", so Weil. Deshalb müssten diese Strukturen und die Ausbildungskapazitäten "jetzt mühsam wieder aufgebaut werden".

"Halbherzig" und "verkopft" nannte dagegen der Fraktionsvorsitzende der CDU im Niedersächsischen Landtag, Sebastian Lechner, das neue Modell. Es werde mehr Bürokratie schaffen und die Wehrverwaltung belasten. Lechner warb vielmehr für den Vorstoß seiner Partei: die Aussetzung der Wehrpflicht schrittweise zurückzunehmen und die Wehrpflicht in ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr zu überführen.

Jusos Niedersachsen gegen Rekrutierung von Schulabgängern

Aus Sicht der Jusos in Niedersachsen ist die Rekrutierung von Schulabgängern nicht geeignet, die Bundeswehr zu stärken. Nötig sei hierfür vielmehr eine umfassende Reform des Beschaffungswesens und eine bessere Ausrüstung für Soldatinnen und Soldaten, die sich freiwillig für den Dienst in der Armee entscheiden, sagte die Landesvorsitzende der Jusos Niedersachsen, Ronja Laemmerhirt. SIe hob hervor, dass jungen Menschen in den vergangenen Jahren viel zugemutet worden sei - durch Pandemie, Folgen des Klimawandels und wachsende soziale Ungleichheit. "Ihnen nun zu sagen 'tut mal was für die Allgemeinheit' ist mehr als frech."

Dieses Thema im Programm:
NDR Info | Aktuell | 13.06.2024 | 07:20 Uhr